EZB nimmt Handel mit Strom und Gas unter die Lupe

11. November 2022, Frankfurt
Die EZB will genau prüfen - Frankfurt/Main, APA/Deutsche Presse-Agentur GmbH

Die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt Insidern zufolge den milliardenschweren Handel von Energiekonzernen mit Strom, Gas und weiteren Derivaten unter die Lupe. Die EZB-Experten wollten herausfinden, inwieweit durch diese Deals eine Gefahr für die Stabilität des Finanzmarktes entstehen könnte, sagten drei mit den Plänen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters.

Ausgelöst worden ist die Untersuchung nach den Angaben von zwei der Insider durch die Krise des größten deutschen Gashändlers Uniper, der nach einem Verlust von rund 40 Milliarden Euro verstaatlicht werden soll. Ein Teil der Verluste stammt aus milliardenschweren Derivate-Geschäften, mit denen sich der Versorger gegen Preisschwankungen absichern wollte. Die EZB lehnte einen Kommentar zu dem Reuters-Bericht ab.

Energieunternehmen sind zwar dafür bekannt, dass sie Öl, Strom oder Gas kaufen und weiterverkaufen. Weniger bekannt ist aber, dass sie auch eine Reihe von Aktivitäten im Handel mit Derivaten betreiben. Hierzu gehören etwa Optionen für den Kauf und Verkauf von Brennstoffen zu einem festen Preis und einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft.

Die Energiekrise hat die Brisanz solcher Termingeschäfte verschärft, die Einsätze gehen in schwindelerregende Höhen. Die Wien Energie musste – wie andere Versorger in Europa auch – für den Börsenhandel mit Strom und Gas infolge der Preissprünge hohe Sicherheitsleistungen hinterlegen und konnte diese ab dem Sommer nicht mehr aus eigener Kraft finanzieren.

Die EZB wolle nun der Frage nachgehen, inwieweit der Derivatehandel in einem weitgehend unregulierten Bereich eine Rolle bei Schieflagen spielen könnte, sagten zwei Insider. Den Einstieg bei Uniper habe die deutsche Regierung als Rettungsaktion für ein durch den russischen Gaslieferstopp in Not geratenes Unternehmen präsentiert. Die EZB-Experten wollten aber den Blickwinkel auf die Energiebranche in Europa erweitern und prüfen, ob es Domino-Effekte geben könnte. Mit den ersten Ergebnissen der Untersuchung sei in den kommenden Tagen zu rechnen.

Egal, ob spekulativ oder nicht, Derivate seien immer riskant, sagte einer der Insider. Dies sei noch dadurch verstärkt worden, dass die Summen für die Absicherung dieser Deals, sogenannte Margin Calls, durch die Gaspreisexplosion in die Höhe geschossen seien. Uniper hatte dies bereits im vergangenen Jahr zu spüren bekommen. Um die notwendigen Milliardensummen aufzubringen, wurde der Konzern bei dem finnischen Mutterkonzern Fortum und der deutschen Staatsbank KFW vorstellig. Durch den russischen Gaslieferstopp verschärfte sich die Lage noch extrem. Das deutsche Wirtschaftsministerium, das derzeit an den Details der Verstaatlichung Unipers feilt, hält sich zurück. „Zu eventuellen Geschäftsvorgängen der Uniper SE und damit im Zusammenhang stehende Geschäftsrisiken kann ich keine Angaben machen“, erklärte ein Sprecher.

Die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin erklärte dagegen, der Derivatehandel von Energieunternehmen sei schon lange und nicht erst seit der jetzigen Krise ein Thema und unterliege Regeln. Ohne eine Lizenz sei der Handel verboten. Energieunternehmen seien oft von großer Bedeutung für die Wirtschaft und stellten ein Risiko für die Finanzstabilität dar. Die BaFin stehe daher im engen Austausch mit weiteren Aufsichtsgremien.

Die Energie-Unternehmen verweisen darauf, dass sie mit den Derivaten sich selbst gegen Preisschwankungen absichern. Experten vermuten, dass sie auch mit Spekulationsgeschäften Profit machen wollen. Das sei gefährlich. Die EZB ist zwar nicht dafür verantwortlich, solche Geschäfte zu stoppen, ist jedoch um die Stabilität des europäischen Finanzmarkts bemüht. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte erklärt, dass sie bereit sei, Banken mit Liquidität zu versorgen. Für Energieunternehmen gelte das so nicht.

Während die EZB sich mit Äußerungen zu dem Derivatehandel zurückhält, sind andere deutlicher. Die Ratingagentur Moody’s erklärte Reuters, dass die Versorger keine ausreichenden Informationen über solche Geschäfte offenlegten. Dies sei ein Grund zur Besorgnis. „Ein Unternehmen zu bewerten, das viele Handelsgeschäfte betreibt, ist extrem schwierig“, erklärt Moody’s-Experte Knut Slatten. Es sei schwer zu unterscheiden, welche Geschäfte üblicher Natur seien und welche spekulativ. Informationen über den Partner in dem Handelsgeschäft oder das Timing seien häufig Fehlanzeige. Die Versorger sagten in der Regel, dass sie nur in geringem Maße spekulativ unterwegs seien.

Moody’s hatte sich kürzlich in einem Bericht über Derivate zum Fall von Uniper geäußert und Kritik an den deutschen Versorgern E.ON und RWE geübt. E.ON betonte, sein Vorgehen sei transparent. RWE erklärte: „Wir sind in einem fortlaufenden und vertrauensvollen Austausch mit unseren Ratingagenturen, auch im Hinblick auf die Auswirkungen der aktuellen Entwicklung der Rohstoffpreise und der Ukraine-Krise.“ Zu den Hedging-Aktivitäten wolle sich der Konzern nicht im Detail äußern, da es sich hier um geschäftssensible Daten handle.

Uniper betont, es gehe nicht um spekulative Handelsgeschäfte. „Die Kosten der Gasersatzbeschaffung und damit – wenn Sie so wollen – der Kosten für die Rettung Unipers liegen an den zukünftigen Gaspreisen, da wir die von Gazprom vertraglich vereinbarten Mengen nicht mehr bekommen und am Markt kaufen müssen.“ Die veröffentlichten Kosten der Ersatzbeschaffung von rund 31 Milliarden Euro seien eine Momentaufnahme zum Stichtag Ende des dritten Quartals und basieren auf einem Set verschiedener Szenarien.

APA/ag

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