Elektroautos allein sind nicht die Lösung

28. November 2022

Mobilität. Die aktuelle Energiekrise verschärft die Debatten darüber, wie das Mobilitätsbedürfnis der Menschen in Zukunft intelligent und ressourcenschonend befriedigt werden kann. Ein Blick auf E-Mobilität und Sharing-Lösungen.

Rund 70 Prozent der Primärenergie werden in Österreich nach wie vor aus fossilen Quellen gewonnen. Das Hauptthema bei der Energiediskussion ist und bleibt demnach, wie man sich von der fossilen Energie abwenden kann. „Egal, ob Wasserstoff, Kohle oder Strom — die Frage muss sein: ,Wo kommt die Energie her, und sind es nachhaltige Quellen?'“, sagt dazu Bernhard Geringer, Leiter des Instituts für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik der TU Wien. Bei Fahrzeugen etwa helfe die Diskussion um Antriebssysteme demnach kaum weiter.

„Wir müssen vielmehr das Problem der Energiekette lösen“, betonte Geringer Ende Oktober anlässlich einer Expertendiskussion mit Automobilherstellern, Journalisten und Wissenschaftlern. Der Gründer des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK), Rudolf J. Melzer, hatte unter dem Motto „Energie und Mobilität“ zum Talk geladen.

Speicher auf vier Rädern

„Wir müssen uns einschränken, das ist hart, aber anders wird das Problem nicht zu lösen sein. Unsere Industrie ist auf Wachstum ausgelegt, und dafür brauchen wir Strom. Wir müssen also auch unser Wirtschaftsdenken umstellen“, meint Patrizia Ilda Valentini, Business Development Manager EV & New Mobility/Brand Manager Mobilize bei Renault. Die Elektromobilität biete sich hier grundsätzlich als Chance an zu hinterfragen, wo der Strom herkommt und wie dieser wirtschaftlich und sinnvoll eingesetzt werden kann.

Elektroautos einfach unreflektiert auf den Markt zu werfen, sei jedoch ein Fehler, wenn nicht gleichzeitig die Bürger als potenzielle Käufer bei den Themen Speicher und Netzstabilität abgeholt werden. „Man kann nicht erwarten, dass die Bürger alle Investitionen tätigen, ohne ihnen zu zeigen, was sie davon haben, wenn sie ihre Autos als Stabilisator für das Netz zur Verfügung stellen“, bekräftigt Valentini.

Sieht man Elektroautos als Batterien auf vier Rädern, die sehr gut als Speicher nutzbar sind, braucht es dafür adaptierte Stromnetze zum einen und juristische Rahmenbedingungen zum anderen, um die bereits vorhandene Technologie auch erfolgreich auf den Markt bringen zu können.

Mobilität als Dienstleistung

Einig sind sich die Experten weitgehend darüber, dass Elektroautos, wie wir sie jetzt kennen, schon allein aufgrund ihres großen Energiebedarfs in der Herstellung nicht die alleinige Lösung sein werden. Immer stärker in den Fokus rücken daher Sharing-Geschäftsmodelle, die sowohl im Individualverkehr als auch im Güterverkehr vorstellbar sind.
„Das Thema ,Mobility as a service‘ steht für den großen Umbruch in der Automobilbranche. Das Mobilitätsbedürfnis, egal, ob individuelle Mobilität oder Mobilität der Güter, muss im Zentrum der Diskussion stehen, und dann können auch neue, gut funktionierende Geschäftsmodelle entstehen“, ist Sandra Stein überzeugt. Die Leiterin der Forschungskoordination im Center für nachhaltige Produkte und Logistik bei Fraunhofer Austria und Leiterin des Executive-MBA-Programms Mobility Transformation an der TU Wien plädiert dabei für ein Höchstmaß an Nutzerfreundlichkeit: „Der Zugang zu Mobilität muss für jeden genauso leicht machbar sein wie Ein-Klick-Käufe in Onlineshops. Das heißt nicht, dass ich dafür ein eigenes Fahrzeug besitzen muss. Der Trend geht jedenfalls hin zum Sharing, auch bei der Gütermobilität.“

Grenzen des Sharings

Dass die Idee des Teilens nicht uneingeschränkt umsetzbar ist, zeigt sich vor allem in weniger besiedelten Gebieten. „Wenn die Nachfrage gering ist, wird sich das Modell nicht durchsetzen, und Investitionen sind hier nicht attraktiv“, warnt Geringer vor zu viel Euphorie. Die Mühen des Sharinggeschäfts kennt ebenfalls Valentini: „Wir versuchen, mit künstlicher Intelligenz vorherzusagen, wo Nachfrage entsteht, damit die Fahrzeuge intelligent platziert werden können. Es vergehen Jahre, bis sich das wieder rentiert, und man braucht dementsprechend gute Vorfinanzierungen. Banken investieren leider allerdings nicht gern in diese Bereiche.“ Das Problem der Finanzierbarkeit werde auch den Durchbruch von Sharingmodellen im Güterverkehr erschweren: „Sharing klingt zwar gut, aber jemand muss das Fahrzeug auch besitzen und warten. Wer finanziert das? Wer übernimmt das Risiko? Der Staat oder ein Investor?“
Staat in der Pflicht?

„Hier muss einfach der Staat mehr in die Pflicht genommen werden“, fordert in diesem Zusammenhang Sandra Stein — und merkt kritisch an: „Offensichtlich schafft es die Politik nicht, die richtigen Anreize für ein Umdenken zu setzen, sonst würden wir die Pariser Klimaziele fristgerecht erreichen und müssten nicht im schlimmsten Fall 9,3 Milliarden Euro Strafe bezahlen. Eine enorme Summe, die — klug investiert — vorab die Erreichung dieser Ziele sichern könnte.“

von Christian Lenoble

Die Presse

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