Rute im Fenster der Stromversorger

16. Mai 2023

Gebührenstopp für Gemeinden, niedrigere Strompreise und billigere Lebensmittel in den Supermärkten: Die Regierung erhofft sich davon einen Dominoeffekt. Das ist unrealistisch.

Die Regierung steht unter Druck. Die Inflation ist hoch wie in wenigen anderen Ländern Europas, eine Abschwächung nicht absehbar. Obwohl der reguläre Wahltermin erst in eineinhalb Jahren ist, hat der Vorwahlkampf auf Bundesebene bereits begonnen. Der Kitt zwischen Türkis und Grün scheint noch die Angst vor einer übermächtigen FPÖ und, nach den Wahlerfolgen in Salzburg, einer möglicherweise auch im Bund erstarkenden KPÖ zu sein.

Gemeinsam haben ÖVP und Grüne die Bösen benannt, die für den fast zweistelligen Preisanstieg verantwortlich sein sollen: die Energieversorger. Nach dem ergebnislosen Lebensmittelgipfel am Montag hieß es am Mittwoch, man stelle den Stromunternehmen die Rute ins Fenster. Sollten diese nicht rasch die Preise senken, werde man ihre Gewinne noch mehr abschöpfen.

Am Donnerstag hieß es, von den Gewinnen würde auf jeden Fall mehr abgeschöpft, unabhängig davon, ob die Preise gesenkt werden oder nicht. Und nein, gegengerechnet könnten Verluste aus dem Vertriebsgeschäft, die sich bei größeren Unternehmen heuer auf dreistellige Millionen-Euro-Beträge summieren dürften, nicht werden. Dennoch wird die Erwartung geweckt, dass dank dieser Androhung die Strompreise für Endverbraucher und -verbraucherinnen sofort und spürbar sinken; und dass auch Lebensmittel in der Folge günstiger werden. Das wird es aber nicht spielen.
Es stimmt zwar, dass der Handel immer wieder die teure Energie ins Treffen führt, wenn es darum geht, die überdurchschnittlich stark gestiegenen Lebensmittelpreise zu begründen. Tatsache aber ist, dass die großen Lebensmittelketten im Land zunehmend selbst Strom erzeugen bzw. elektrische Energie in großem Stil an der Börse zukaufen oder zukaufen lassen. Der Handelskonzern Rewe (Billa, Penny, Bipa, Adeg) beispielsweise macht das über die Energie Handelsgesellschaft (EHA), und das schon seit langem und sehr professionell.

Börsenpreis

Nicht nur Lebensmittelhändler, nahezu alle größeren Stromverbraucher haben eigene energiewirtschaftliche Geschäftseinheiten, die das machen und zu Großhandelspreisen einkaufen. Die Unternehmen, die angeben, unter den hohen Energiepreisen zu leiden, haben in aller Regel schon von den gesunkenen Großhandelspreisen profitiert. Sie werden das weiterhin tun, sofern die Börsenpreise weiter sinken.

Das hat aber nichts mit der Rute zu tun, die von der Regierung ins Fenster gestellt wurde, sondern mit Angebot und Nachfrage auf den Strommärkten in Europa und dem Mix aus erneuerbaren und fossilen Energien, den es zur Deckung des Strombedarfs braucht. Je mehr Grünstrom im Netz ist, desto günstiger wird es, weil man sich Kosten für Öl, Gas und Kohle zur Stromerzeugung in Kraftwerken samt zugehörigen CO₂-Zertifikaten erspart.

Und wie sieht es bei Haushaltskunden aus, ist da mit Preissenkungen zu rechnen? Tendenziell ja, abhängig vom Zeitpunkt, zu dem der jeweilige Stromversorger eingekauft hat. Wirtschaftlich würden sich Preissenkungen erst im Laufe des nächsten Jahres ausgehen, hört man in der Branche. Zumal im Vorjahr gerade in der Hochpreisphase viel Strom eingekauft und teilweise auch Gas eingelagert worden ist, um Kunden auch für den Fall eines länger anhaltenden Energieengpasses beliefern zu können.

Öffentlicher Druck

Der öffentliche Druck und die Tatsache, dass die allermeisten Energieversorger ganz oder teilweise im öffentlichen Eigentum stehen, werden wohl dazu führen, dass die Preise schon heuer sukzessive gesenkt werden. Ankündigungen gibt es, und das schon seit längerer Zeit.

Warum machen Vertriebsgesellschaften auch dann Verlust, wenn der Strom aus Wasserkraft, Wind oder Sonne fast zum Nulltarif produziert wird? Weil die Kraftwerksgesellschaften den Strom an den eigenen Vertrieb ebenfalls zu Marktpreisen verkaufen. Würde Strom zum Ausrufungspreis null versteigert, landete man binnen Sekunden beim Marktpreis, heißt es.

Um all das müssen sich Quereinsteiger weniger scheren. Sie haben sich auf dem Höhepunkt der Krise vieler Kunden entledigt, sind vom Markt verschwunden. Nun kommen sie langsam wieder zurück – zum Ärger der etablierten Versorger. Sie fahren den Landes-EVUs schon wieder mit Kampfpreisen um die Ohren. Kommentar Seite 48

Der Standard

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