Wie die Energiewende gelingen soll

25. Mai 2023

Mit dem großflächigen Umstieg auf erneuerbare Energien entstehen noch nie dagewesene Spitzenlasten. Ein gesamtheitlicher Plan für Österreich soll nun dafür sorgen, dass die Klimaziele der Regierung auch erreicht werden.

Wärmepumpen, Elektroautos sowie die energieintensive Produktion von grünem Wasserstoff für die Industrie: Der Strombedarf steigt an. Und zumindest auf dem Papier wird dem erwarteten Anstieg und der grünen Wende in Österreich auch schon Rechnung getragen. Bereits in sieben Jahren soll die gesamte heimische Stromversorgung aus erneuerbarer Produktion stammen. Zehn Jahre später, im Jahr 2040, möchte man hierzulande klimaneutral sein.
Während die Zielsetzung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene klar ist, ist die Umsetzung aber noch mit vielen Fragezeichen verbunden. So fehlen aus Sicht von Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer vor allem konkrete Fahrpläne zur Erreichung der Vorgaben. Diesen Fahrplan möchte die Wirtschaftskammer daher nun mit rund 200 Stakeholdern ausarbeiten. Gemeinsam mit den Sozialpartnern, dem Klimaschutz-, Finanz- und Wirtschaftsministerium, den Energieerzeugern, fünf der neun Bundesländer sowie der Wissenschaft und Forschung soll bis zum Herbst 2024 ein Energiemasterplan ausgearbeitet werden. „Dieser soll die Zielvorgaben sowie deren Wechselwirkungen, die dadurch entstehen, integrieren“, sagt Mahrer am Dienstag. Der ehemalige Grazer Bürgermeister Sigfried Nagl (ÖVP), der hauptverantwortlich für diesen Masterplan ist, ergänzt: „Es geht darum, die Dekarbonisierung der Gesellschaft wirtschaftlich und sozial verträglich zu gestalten.“

Einen solchen Gesamtplan wünscht man sich seitens der Austrian Power Grid (APG), dem Betreiber des österreichischen Übertragungsnetzes, schon länger. „Wir können nur planen, wenn wir wissen, wo produziert wird, wenn klar ist, wo beispielsweise Windkraftanlagen stehen. Dazu kommt die Frage, wo werden zukünftige Stromspeicher entstehen“, sagt Christoph Schuh, Kommunikationschef der APG.

Ein Plan für mehr Planungssicherheit

Im Zweijahresrhythmus evaluiert der Netzbetreiber gemeinsam mit dem Bundesministerium für Klimaschutz (BMK), welche Infrastruktur in Zukunft benötigt wird. Neben einem überarbeiteten „Österreichischen integrierten Netzinfrastrukturplan“ (Önip) soll es im Herbst dieses Jahres ergänzende Informationen darüber geben, wie Klimaneutralität bis 2040 aus Sicht des Netzbetreibers geschafft werden kann.

Die Herausforderungen dafür liegen laut Schuh vor allem in der Dauer der Genehmigungsverfahren, der Digitalisierung, den regulatorischen Rahmenbedingungen und der Verortung der Erneuerbaren-Anlagen sowie bei der Sicherstellung für künftige Leitungstrassen: „Wenn eine Eisenbahnstrecke geplant wird, dann wird diese immer freigehalten, das ist bei uns nicht so, aber das bräuchten wir natürlich für eine Planungs- und Projektsicherheit.“ Mit der UVP-Novelle soll es außerdem gelingen, Genehmigungsverfahren schneller abzuwickeln, denn „10 bis 15 Jahre von der Planung, über die Genehmigung bis zum Bau werden wir uns in Zukunft nicht leisten können“, sagt Schuh. „Die Weinviertelleitung hat nur sechs Jahre lang gedauert.“

Neue Spitzenlasten durch erneuerbare Energie

Um das Ziel, 100 Prozent erneuerbaren Strom im Jahr 2030 zu erreichen, sollen aus den rund 55 Terawattstunden (TWh) Grünstrom des Jahres 2020 bis 2030 mehr als 80 TWh werden. Weil die Wasserkraft aber vielerorts als nahezu ausgebaut gilt, nimmt diese mit einem Ausbauziel von nur rund 5 TWh die kleinste Rolle ein. Wesentliche Ausbauprojekte gibt es deshalb vor allem bei der Wind- und Sonnenergie. Doch mit der Umstellung des Energiesystems auf Erneuerbare gehen auch neue Spitzenlasten einher, auf die sich Netzbetreiber einstellen müssen.
Wichtig ist laut Schuh deshalb, die Digitalisierung des Stromnetzes voranzutreiben. „Wir müssen ganz genau wissen, wo wann und wie viel Strom erzeugt wird. Denkbar ist dann zum Beispiel, dass eine Energiegemeinschaft bestehend aus vier oder fünf Häusern tagsüber Strom produziert und diesen dann an die Bäckerei in der Nachbarschaft abgibt, wenn die diese Energie in der Nacht braucht“, sagt Schuh. Auf diese Weise würden regionale Verbraucher dafür sorgen, dass erzeugte Spitzenlasten lokal verbraucht werden und „gar nicht auf die Netzebene kommen“.

Mit fortschreitender Digitalisierung könnten dann auch neue Tarifoptionen entstehen. „Einerseits ist es im Energiesystem der Zukunft möglich, dass ich überschüssig produzierten Strom an meinen Nachbarn verkaufe, wenn dieser meinen Strom braucht. Andererseits kann ich dann aber auch mit meinem Anbieter ausmachen, dass beispielsweise mein E-Scooter nur zwischen zwei und fünf Uhr Früh geladen wird, damit die Anbieter Spitzenlasten auch über den Preis steuern und verteilen können“, sagt der APG-Sprecher.

Batterien von E-Autos als lokale Speichermöglichkeiten

Eine maßgeschneiderte Verteilung des Verbrauchs ist auch bei der fortschreitenden E-Mobilität zu erwarten. „Die Batterien der Autos könnten künftig in der Nacht für die Netzbetreiber zur Verfügung stehen“, sagt Schuh. Modelle, wie das funktionieren könnte, gibt es als Pilotprojekte bereits in Norwegen, wo Batterien von Fährschiffen zu Stehzeiten von den Netzbetreibern genutzt werden. „Je mehr Speicher es in Österreich gibt, je digital flexibler sowohl die Angebots- als auch die Verbrauchsseite agieren kann, desto besser wird der Umstieg auf so ein System funktionieren“, so der APG-Sprecher.

Bis es so weit ist, dass es für einzelne Verbraucher wie das E-Auto oder den E-Scooter eigene Tarifoptionen gibt, werden jedoch noch ein paar Jahre vergehen. Ein Zeithorizont ist aber absehbar: „Das ist kein Lichtschalter, den man auf- und abdreht, sondern ein Prozess, der sicherlich noch acht bis 15 Jahre dauern wird, wenn es eine Gesamtplanung gibt. Wenn es die nicht gibt, wird der Prozess länger dauern und deutlich teurer sein“, sagt Schuh.
Der Umstieg auf ein erneuerbares Energiesystem stellt auch die Netzbetreiber vor Herausforderungen.

von Julian Kern

Wiener Zeitung

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