Undurchsichtige Verträge, seltsame Rabatte, kryptische Rechnungen: Die Landesenergieversorger nützen die Treue ihrer Abnehmer aus.
Soll keiner sagen, die Wien Energie bemühe sich nicht um ihre Kundschaft. Dieser Tage ist das Unternehmen dabei, sein Serviceangebot auszubauen, und sucht dafür emsig Personal. Anfang September sind zwei sogenannte Check-in Days geplant. Interessenten würden erst einen Einblick in die Tätigkeit bekommen, danach stehe das persönliche Kennenlernen im Mittelpunkt, heißt es auf der Homepage. „Und wir finden in 15 Minuten heraus, ob wir zusammenpassen.“ Bewerber müssten nicht unbedingt Vorkenntnisse mitbringen. Wichtiger sei die Fähigkeit, gut mit Menschen umzugehen.
Eine gewisse Resilienz im Umgang mit persönlichen Beleidigungen sollten die angehenden Mitarbeiter wohl auch mitbringen. Ich habe keine einschlägige Studie bei der Hand, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Manieren der Anrufer am Kundentelefon seit einiger Zeit zu wünschen übrig lassen – und zwar bei sämtlichen Landesenergieversorgern. Wer nach stundenlangem Brüten über kryptisch formulierten Rechnungen oder Vertragsangeboten und quälendem Zappeln in der Warteschleife endlich einen Ansprechpartner hat, muss ja erst einmal Dampf ablassen. Da hilft es auch nicht, wenn das Tarifmodell wie bei der Wien Energie den Namen „Optima entspannt“ hat.
Der Beratungsbedarf in Wien wird sich jetzt wohl deutlich erhöhen. Bis 20. September müssen Privatkunden entscheiden, ob sie das neue Angebot des städtischen Energiekonzerns annehmen und sich für zwölf Monate binden wollen. Die Wien Energie macht seit Wochen Werbung dafür, und ebenso lang gibt es Kritik – unter anderem von Konsumentenschützern und der Regulierungsbehörde E-Control. Geboten werden etwa 190 Tage Gratisstrom. Klingt großartig, nicht wahr? Aber es gibt einen Haken: Die restlichen 175 Tage sind dafür umso teurer. „Der neue Stromtarif von Wien Energie gibt Rätsel auf“, schrieb der „Standard“. Beruhigend, dass es den Kollegen auch so geht. Nach ausführlichem Addieren, Subtrahieren und Bruchrechnen soll irgendwann ein Preis von 20,28 Cent brutto je verbrauchter Kilowattstunde herauskommen, zuzüglich Grundentgelt. Darauf sollte man lieber nicht Haus und Hof verwetten: „Was die 190 Gratis-Energie-Tage konkret an Ersparnis in Geld bringen, ist nicht ersichtlich. Es lässt sich auch nicht errechnen“, schlussfolgert der „Standard“.
Warum senkt Wien Energie nicht einfach den Preis ihres Produkts, wie das jeder andere Kaufmann tun würde, wenn er den Eindruck hat, er sollte billiger werden? Das lasse sich juristisch leider nicht machen, weil man an den Strompreisindex gebunden sei, sagte Konzernchef Michael Strebl im „Falter“. Wenn das so ist, sind die Gratistage ein klarer Fall von Umgehung. Es steht auch nirgends, dass man die Kunden zu zwölf Monaten Vertragsdauer nötigen muss. Sensible Menschen könnten leicht den Eindruck gewinnen, dass sie über den Tisch gezogen werden – und das von einem Unternehmen der Stadt Wien.
Die Landesenergieversorger haben es im vergangenen Jahr geschafft, das Vertrauen ihrer Kunden nach Kräften zu erschüttern. Dass Unternehmen der Daseinsvorsorge unbedingt einen starken öffentlichen Eigentümer brauchen, lässt sich nach den jüngsten Erfahrungen nicht mehr so leicht behaupten. Undurchsichtige Knebelverträge kriegt man zur Not auch bei Anbietern, deren Chefs nicht mit dem Landeshauptmann per Du sind.
Natürlich tragen die Kunden eine Mitschuld: Der Wechsel des Energielieferanten gilt in Österreich nach wie vor als Nachweis größtmöglicher Verwegenheit. Nicht wenige Menschen halten ihre Geschäftsbeziehung mit EVN, Bewag oder Wien Energie für ebenso schicksalhaft wie den Vornamen des jeweiligen Landesheiligen. Solche Tree macht erpressbar. Ein paar Seitensprünge mehr würden dieser Branche wahrscheinlich guttun.
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Der Wechsel des Energielieferanten gilt in Österreich nach wie vor als Nachweis größtmöglicher Verwegenheit.
Zur Autorin:Rosemarie Schwaiger ist freie Journalistin und Autorin. Sie lebt in Wien und im Burgenland.
Morgen in „Quergeschrieben“: Anna Goldenberg
von Rosemarie Schwaiger
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