Kohle machen mit Kohlenstoff

6. November 2023

Der Preis für CO₂-Zertifikate im EU-Emissionshandel steigt und steigt. Kann man mit den Verschmutzungsrechten auch selbst verdienen? Und was bringt das dem Klima?

Das Kohlekraftwerk Bełchatów in Polen hat mit der Fluglinie Ryanair nicht nur gemein, dass beide zu den zehn größten CO₂-Emittenten in der EU gehören, sondern auch, dass sie für jede Tonne an Treibhausgasen, die sie in die Atmosphäre entlassen, ein Emissionsrecht kaufen müssen.

Mehr als 10.000 Anlagen, darunter Kraftwerke, Fluglinien und energieintensive Industriebetriebe, sind derzeit vom EU-Emissionshandel umfasst. Die EU legt eine Obergrenze an CO₂ fest, das ausgestoßen werden darf – und verkauft Emissionsrechte für diese Menge. Da die maximal erlaubte Menge CO₂ jährlich sinkt, kommt es zu einer künstlichen Verknappung.

Die grundlegende Idee: Unternehmen sollen selbst entscheiden, wo CO₂ eingespart wird. Wenn der Preis für eine Tonne CO₂ höher ist als dafür, diese Tonne zu vermeiden – etwa durch modernere Produktionsverfahren –, lohnt sich die Umrüstung.

Mit den umstrittenen CO₂-Zertifikaten, die private Unternehmen für Aufforstungsprojekte verkaufen und mit denen etwa Flüge kompensiert werden, hat der EU-Emissionshandel übrigens nichts zu tun.

Steigende Preise

Kritik am System gibt es dennoch: Die Obergrenze sinke viel zu langsam, um die Klimaziele zu erreichen, zudem sind nicht alle Emissionen vom Handel umfasst, heißt es von Kritikern. In der Anfangszeit wurden zudem viele Zertifikate verschenkt, weshalb der CO₂-Preis jahrelang im einstelligen Euro-Bereich herumdümpelte.

Diese Zeiten sind vorbei. Seit dem Jahr 2021 zog der Preis für rasant an und erreichte im Februar dieses Jahres mit 105 Euro pro Tonne ein Allzeithoch. Manche Prognosen sehen den Preis bis 2050 gar bei 400 Euro.

Das macht das CO₂ auf den ersten Blick auch für Anleger interessant, vor allem in Zeiten, in denen die Aktienmärkte eher schwächeln. „Direkt lassen sich Emissionsrechte als Privatperson nicht kaufen“, erklärt Philipp Fidler von der Wirtschaftsuniversität Wien, der dort aktuell das Forschungsprojekt „Sustainable Finance“ leitet. Die Verschmutzungsrechte lassen sich nur auf speziellen Börsen handeln, zu denen Privatpersonen keinen Zugang haben.
Wer als Anleger am CO₂-Markt aktiv werden will, muss deshalb den Umweg über andere Finanzprodukte gehen, welche die Preisentwicklung an der CO₂-Börse abbilden, sagt Fidler. Wer solche Zertifikate kauft, wird nicht Inhaber der Emissionsrechte, sondern kauft eine sogenannte Inhaberschuldverschreibung – wer die Derivate ausgibt, schuldet dem Anleger daher den aktuellen Preis einer Tonne CO₂. Die verbrieften CO₂-Zertifikate lassen sich wie Aktien oder Anleihen auch auf normalen Börsen handeln, wer am Handel teilnehmen will, braucht also bloß einen Zugang zu einem Broker.

Unberechenbarer Markt

„Der Preis auf dem CO₂-Markt ist aber sehr volatil“, warnt Finanzexperte Fidler. Zwar mag die Tatsache, dass das Angebot an CO₂-Zertifikaten Jahr für Jahr knapper wird, verlockend klingen. Dennoch hänge die Preisentwicklung sehr stark von politischen Entscheidungen ab, sagt Fidler. Denn die EU greift regelmäßig den CO₂-Markt ein, etwa um Preise zu stabilisieren – in beide Richtungen.

Auch die Geopolitik beeinflusst den Preis: Als nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wieder mehr Strom statt mit Erdgas mit der klimaschädlicheren Kohle produziert wurde, stieg der Bedarf nach CO₂-Emissionsrechten – und damit der Preis.

Der Preis für die CO₂-Papiere kann unerwartet in beide Richtungen ausschlagen. Vor allem die Korrelation mit anderen Finanzprodukten, etwa Aktien oder Anleihen, sei gering, sagt Fidler. Deshalb biete sich ein kleiner Anteil an CO₂ auch zur Diversifizierung des eigenen Portfolios an.

Dennoch ist der CO₂-Markt für Privatanlegerinnen und -anleger ein Nischenprogramm. Wer dort handelt, spekuliert eher, als er investiert. „Wenn Ihr einziges Finanzprodukt bisher ein Sparbuch war, sollten Sie nicht gleich Emissionsrechte kaufen“, sagt Fidler.

Und für das Klima? Ist ein hoher CO₂-Preis eher gut, da der Anreiz, Emissionen zu vermeiden, höher ist. Da Privatanleger aber die Emissionsrechte nicht direkt kaufen und damit auch nicht „horten“ können, beeinflussen sie mit ihrem Handel auch nicht den Preis, den Kohlekraftwerke oder Fluglinien für ihre Emissionen bezahlen, sagt Fidler. Er rät: Wer sein Geld für die Klimawende arbeiten lassen will, sei mit grünen Aktien- oder Anleihefonds besser beraten.

Der Standard

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