23 Grad -mit gutem Gewissen

12. Jänner 2024

Der Weg vom Stadtzentrum zur Wärmepumpe des Kraftwerks Simmering führt an den runden Gasometern vorbei.

Einst dienten sie zur Speicherung des Stadtgases, heute bieten sie hinter ihren Ziegelsteinfassaden Platz für Wohnungen und Unterhaltung. Dann ziehen die hohen Schornsteine des Gaswerks die Blicke an. Daneben, in einer äußerlich unauffälligen Halle, geht es um die grüne Zukunft der Energieerzeugung. Die größte Wärmepumpe Mitteleuropas nutzt die Abwärme von Kraftwerksanlagen -und kann bis zu 25.000 Wiener Haushalte mit CO₂-freier Fernwärme versorgen.

Abwärme aus der Kläranlage

Alte und neue Technologien für die Erzeugung von Strom, Wärme und Kälte geben sich in Simmering gleichsam die Hand. Im Mai 1900 beschloss der Wiener Gemeinderat den Bau eines Kraftwerks, dazu schreibt die Wien Energie: „Aufgrund des sich laufend weiterentwickelnden Energiesektors und des wachsenden Strombedarfs glichen die Kraftwerke einer ständigen Baustelle.“ Das ist bis heute so; jetzt heißt das Ziel Klimaneutralität bis 2040. Bei der Dekarbonisierung ist die Wärmepumpe ein wichtiger Player: „Die Abhängigkeit der Fernwärme vom Erdgas und das Bewusstsein für die Einseitigkeit des Portfolios ist bei uns seit mehr als zehn Jahren ein großes Thema“, sagt Rusbeh Rezania, Abteilungsleiter bei Wien Energie. Den Umstieg soll u.a. die Wärmepumpe des Kraftwerks Simmering ermöglichen; ebenso wie eine neue Großwärmepumpe, die künftig Abwärme aus der Kläranlage nutzen wird. Der Weg zur Klimaneutralität führt auch unter die Erde: Thermalwasser soll aus über 3000 Metern Tiefe gepumpt und mittels Wärmetauscher in das Fernwärmenetz gespeist werden. Später wird das abgekühlte Wasser zurückgeleitet, um den Kreislauf der Tiefengeothermie zu schließen. „Pro hundert Metern Tiefe gibt es drei Grad Temperaturanstieg. Wenn ich höhere Temperaturen brauche, muss ich tiefer graben“, erklärt Rezania. „Aber das klingt einfacher, als es ist.“ Seit 2012 versuchte man mit Bohrungen, seismischen Messungen und riesigen Datenanalysen bis zu hundert Grad heißes Wasser zu finden. 2021 wurde man endlich im Aderklaaer Konglomerat fündig. Die erste Geothermieanlage soll 2027 in Aspern in Betrieb gehen.

Wärmepumpen ziehen Energie aus der Umgebungsluft, dem Erdreich oder dem Wasser und machen die gewonnene Wärme für Heizung und Warmwasser nutz-
Die Wärmepumpe ist die Zukunft der Raumwärme. Dann muss ich nichts mehr mit tausend Grad verbrennen, damit ich es zu Hause warm habe.

Christian Köfinger, AIT bar. Weil sie die kostenlose Umgebungswärme als Energiequelle nutzen, brauchen sie nur wenig Strom. Damit erzeugen Wärmepumpen drei bis vier Mal mehr Energie, als sie verbrauchen. Die Funktionsweise folgt dem Prinzip eines wohlbekannten Küchengeräts, des Kühlschranks: Während dieser dem Innenraum Wärme entzieht und sie nach außen leitet, wird hier Wärme von außen ins Innere transferiert.

Europa muss weg vom Gas

Etwa 50 Prozent des gesamten Energieverbrauchs der EU werden laut Eurostat zum Heizen und Kühlen verwendet. Mehr als 70 Prozent stammen noch aus fossilen Brennstoffen, hauptsächlich Erdgas. Um die Energiewende im Sinn des „Green Deal“ voranzutreiben, setzt man auf Wärmepumpen. Unterstützend gibt es den „Heat Pump Action Plan“ der EU: Dieser Aktionsplan umfasst Maßnahmen wie Kommunikation, damit die Bevölkerung weiß, warum Wärmepumpen sinnvoll sind. Es geht um Partnerschaften und Ausbildung für Fachkräfte in der Industrie, damit Wärmepumpen produziert und installiert werden können. Auch gesetzliche Grundlagen müssen geschaffen werden -und es soll Finanzierungsprogramme für einen leistbaren Umstieg geben. Auf dem Forum der Interessenvertretung EHPA („European Heat Pump Association“) nannte EU-Energiekommissarin Kadri Simson den Aktionsplan „einen ersten Schritt“. Für ein umweltfreundlicheres Energiesystem müsse die Einführung von Wärmepumpen beschleunigt werden.

„Wenn Europa weg vom Gas und hin zu Wärmepumpen wechseln möchte, braucht es viele Maßnahmen, die der Aktionsplan unterstützen soll“, bestätigt Business Manager Christian Köfinger vom Austrian Institute of Technology (AIT). Das Team des AIT forscht am Ersatz von Gasthermen, gefördert als FFG-Projekt vom Klimaschutzministerium. Das Potenzial ist groß, denn viele Haushalte nutzen hierzulande Gas für Heizen oder Warmwasser. „Mit unserem Projektpartner Ochsner Wärmepumpen arbeiten wir daran, dass unser System bald auf den Markt kommt. Dabei wird die Wärmepumpe einfach an den Platz der Gastherme gehängt und an die bereits vorhandenen Leitungen angeschlossen“, erklärt Köfinger. Im stillgelegten Rauchfang werden Leitungen in den Keller gelegt, um die Erdwärme zu nutzen; oder auf das Dach als Luftwärmepumpe. Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen können sich einzelne Parteien, Gruppen oder das ganze Haus für eine Wärmepumpe entscheiden, denn ein zentraler gemeinsamer Heizkeller ist in diesem Konzept nicht mehr nötig. Und es gibt noch einen großen Vorteil, betont Köfinger: „Wir haben die wärmsten Jahre seit es Messaufzeichnungen gibt: Der Bedarf an Kühlung wird steigen und Wärmepumpen sind das einzige Heizsystem, das auch kühlen kann.“ So haben Haushalte im Sommer mehr Komfort und müssen nicht zusätzlich Geld für eine Klimaanlage ausgeben.

Das AIT ist hierzulande die größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Bereits viele Jahre forschen Köfinger und seine Kolleginnen und Kollegen an der akustischen Optimierung von Wärmepumpen: „Kein technisches Gerät ist absolut leise, man hört ja auch das Gasverbrennungsgeräusch einer Therme“, so Köfinger. „Private Wärmepumpen sollten jedoch nicht lauter als ein Kühlschrank sein, diesen Schall ist man gewohnt.“ Bei der Auswahl müsse man zwischen Premiumprodukten, wo mehr in Akustikoptimierung investiert wird, und günstigeren Geräten unterscheiden.

Spitzenforschung in Wien

Im Forschungsbereich industrieller Großwärmepumpen hat das AIT als Vorreiter die ersten Geräte gebaut, die 160 Grad für Industrieprozesse zur Verfügung stellen können. Denn hier werden höhere Temperaturen benötigt als zum Heizen von Wohnungen -dort genügen rund 50 Grad. Bereits 2015 hat man sich im Projekt „Green Heat Pump“ mit natürlichen Kältemitteln befasst -die ein wichtiger Bestandteil für das Funktionieren von Wärmepumpen sind. Dabei wird die Bedeutung des Forschungsstandortes Österreich für Wärmepumpen auch weltweit gesehen. Nicht durch Zufall entschied die Internationale Energieagentur, dass die nächste große Fachkonferenz zu Wärmepumpen 2026 in Wien stattfinden wird.

Im großen Bereich Heizen und Kühlen von Räumen können Wärmepumpen jedenfalls ihre Stärken ausspielen, weil sie hier am effizientesten sind. Studien von AIT und TU Graz zeigen, dass die meisten Ein-und Mehrfamilienhäuser in Österreich schnell auf Wärmepumpen umrüsten könnten. „Aus unserer Sicht ist die Wärmepumpe das System der Zukunft für die Raumwärme“, resümiert Christian Köfinger. „Denn dann muss ich nichts mehr mit tausend Grad verbrennen, damit ich es zu Hause 23 Grad warm habe.“

Die Furche

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