Ministerrat. Die Regierung einigte sich nach einem Jahr auf ein neues Gas-Gesetz. Wohl nicht zufällig: Dass der russische Gashahn noch offen ist, erregt seit Nawalnys Tod umso mehr Gemüter.
Ein Jahr hat es gedauert, bis sich die Regierung am Mittwoch über einen „guten Kompromiss“ freuen konnte: Das Erneuerbares-Gas-Gesetz (EGG) wurde im Pressefoyer nach dem Ministerrat von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) präsentiert. Die komplexe Materie versuchte sie mit einem recht anschaulichen Vergleich zu erklären: „Jeder Misthaufen wird jetzt zum Kraftwerk“, sagte die Grüne. Das als „Biogas“ bezeichnete biologische Methan wird nämlich aus Holzresten, landwirtschaftlichen Abfällen oder Biomüll gewonnen. Der Anteil von Biogas soll gesetzlich bis 2030 erhöht, bis 2040 der Gasverbrauch dann vollständig durch Biogas gedeckt werden.
Anteil von Biogas erhöhen
Das aber nur, wenn die Regierungsvorlage auch den Nationalrat passiert. Denn das türkis-grüne Gesetz benötigt eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, demnach die Zustimmung von entweder SPÖ oder FPÖ. Das Gesetz sieht vor, dass die Landesgasversorger verpflichtet werden, fossiles Gas durch festgelegte Biogasquoten zu ersetzen. Begonnen wird damit bereits heuer (0,35 Prozent), bis 2030 sollen es 9,75 Prozent sein. Gegenüber dem Status quo bedeutet das mehr als eine Verfünfzigfachung (0,14 TWh auf dann 7,5 TWh). 2040 sollen es dann 100 Prozent sein.
Der Gesetzesvorlage vorangegangen war reichlich Kritik seitens der Versorger an den vorgesehenen Strafen, die fällig werden, sollte der Anteil nicht entsprechend erhöht werden. Darauf reagierte die Regierung: Im Vergleich zum Begutachtungsentwurf wurden die Strafzahlungen gesenkt. Pro fehlender Kilowattstunde müssen 15 Cent als Ausgleichsbeitrag gezahlt werden, zuvor waren 18 Cent vorgesehen gewesen. Die Einnahmen sollen in neue Biogasanlagen und Anlagen für erneuerbaren Wasserstoff fließen. Für die ersten Biogasanlagen gibt es zudem ein befristetes Sicherheitsnetz, das garantieren soll, dass die produzierten Mengen auch abgenommen werden.
Die SPÖ reagierte skeptisch: Energiesprecher Alois Schroll (SPÖ) monierte in einer Aussendung, dass der Entwurf nicht viel „substanziell Neues“ bringe. Unklar seien die Gesamtkosten der Produktion und „vor allem, wer diese Kosten dann tatsächlich berappen muss“. Er befürchtet, dass diese „hauptsächlich auf Haushalte und kleine Gewerbebetriebe abgewälzt werden sollen“. Gewessler hofft dennoch auf Tempo bei den Verhandlungen mit der Opposition.
Das muss sie auch. Denn tatsächlich ist das Gesetz ein wichtiger Baustein für den von der Regierung geplanten Ausstieg aus fossilem Erdgas. Seit dem Tod von Alexej Nawalny steigt der öffentliche Druck auf die Bundesregierung wieder deutlich an, den Gashahn vor allem aus dem Kreml abzudrehen. Derzeit ist jedoch eher das Gegenteil der Fall: Der Anteil von russischem Gas stieg in Österreich im Vergleich zum EU-Schnitt zuletzt wieder an. Das liegt jedoch auch daran, dass insgesamt weniger Gas verbraucht wird. In der Vorwoche legte Gewessler einen Gesetzesvorschlag vor, der die Energieversorger zu mehr Diversifizierung verpflichten soll. Auf EU-Ebene ist ein kompletter Ausstieg aus russischem Gas bis 2027 geplant. „Der Markt geht in die falsche Richtung“, sagte sie am Mittwoch zum weiter hohen Anteil an russischem Gas, „und das überrascht mich, dass die Versorger weiterhin russisches Gas kaufen. Das ist ein Marktversagen.“
EU-Wahltermin fixiert
Vor dem Ministerrat hatte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) Details zum „Superwahljahr“ genannt. Als Chef der Bundeswahlbehörde informierte er darüber, dass der 28. März 2023 Stichtag für die EU-Wahl sein wird. Das bedeutet, dass der geplante Wahltermin 9. Juni 2024 formell feststeht. Etwaige Spekulationen über eine Zusammenlegung der EU- und der Nationalratswahl dürften damit endgültig vom Tisch sein. Wahlberechtigt sind bei der EU-Wahl, anders als bei der Nationalratswahl und den heuer ebenso stattfindenden Landtags- und Gemeinderatswahlen, auch EU-Bürger mit Hauptwohnsitz in Österreich.
Gipfel mit Vereinen
Im Kanzleramt stand am Mittwoch auch der Kinderschutzgipfel (siehe nebenstehenden Artikel) auf dem Programm, zu dem Familienministerin Susanne Raab und Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm luden. Beide verwiesen im Vorfeld auf das türkis-grüne Kinderschutzpaket, das u. a. höhere Strafen bei sexuellem Missbrauch und ein Tätigkeitsverbot für Täter beinhalte. Plakolm kündigte eine neue Fachstelle für sexuelle Gewalt im Internet an. Zudem versprachen Raab und Plakolm 1,2 Millionen Euro Projektförderung. Weitere drei Millionen Euro, betonte Raab, seien zuvor schon für die strukturelle Förderung von Familienberatungsstellen paktiert worden.
von Julia Wenzel
Die Presse