Kurz vor der Europa-Wahl legt ein geleakter Entwurf der neuen Strategie-Agenda eine komplette Wende nahe. In Wien feilten Kanzler, Ratspräsident und Staatenchefs daran.
Bundeskanzler Karl Nehammer (rechts) und EU-Ratspräsident Charles Michel luden zum Gipfel in Wien
Alle fünf Jahre legen die EU-Staaten in einem gemeinsamen Papier ihre Gesamtstrategie an. „Green Deal“ und der Klimawandel waren damals das unumstößliche Hauptanliegen.
Doch in der neuen Strategie-Agenda ist davon so gut wie keine Rede mehr. Zwar kann der Entwurf noch geändert werden, doch die Verhandlungen mit Ratspräsident Charles Michel sprechen eine klare Sprache. Sie zeigen, wie sich im Zuge des Ukraine-Krieges die Prioritäten geändert haben. Das Motto jetzt: Kugeln statt Klima sowie Sicherung des Wohlstandes und der Wirtschaft.
Die EU wird zunehmend von chinesischer und amerikanischer Konkurrenz verunsichert. Energiekrise, Russland, illegale Migration, Terror und Extremismus bedrohen Europas Existenz. So einigten sich die Regierenden auf entschiedenere Außenpolitik, Verteidigung, Erweiterung der Union und die Bekämpfung der illegalen Fluchtbewegungen (Stichwort: Asyl- und Migrationspakt).
Ein Punkt sticht hervor, in dem von der Verteidigung von Interessen und Werten gesprochen wird. Diese Formulierung kann durchaus als Signal an Drittstaaten verstanden werden – mit der Botschaft: „Entweder ihr nehmt illegale Migranten zurück, oder es gibt keine Entwicklungshilfe mehr“, analysiert ein Brüssel-Insider.
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach dem Gipfel mit Michel und mehreren Staatenchefs in Wien: „Für mich ist klar, was oben auf die Agenda muss: der Kampf gegen illegale Migration. Und wir müssen unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger für den Weltmarkt machen. Durch weniger Verbote, mehr Freiheiten und mehr Fokus auf Forschung und Innovationskraft.“
Vom Verbrenner-Verbot ab 2035 ist im Papier keine Rede mehr, vielmehr heißt es: „In Stromnetze investieren und die Umstellung auf erneuerbare Energien beschleunigen sowie die Forschung zu fördern, um Europa dabei zu helfen, Klimaneutralität zu erreichen und es auf die neuen Realitäten, die sich aus dem Klimawandel ergeben, vorzubereiten.“ Bemerkenswert: Alle EU-Staatenchefs erkennen immerhin den bedrohlichen Klimawandel an.
Ein Zugeständnis gibt es an Landwirtschaft und Bauern, die wütend Straßen mit Traktoren blockiert haben, um gegen grüne Vorschriften zu protestieren.
Was hingegen fehlt, ist eine Vision über Freihandel, die Rede ist nur von Rohstoffsicherung und Energiediversifizierung.
Österreichische Umweltorganisationen riefen zum Protest auf: „Die Themen Klimakollaps, Naturzerstörung und Umweltverschmutzung werden weitgehend ignoriert“, sagt Jasmin Duregger von Greenpeace.
Kronen Zeitung