Wie will der größte Versorger des Landes die Energie- und Wärmewende schaffen? Und warum sind Strom- und Fernwärmerechnungen gar so intransparent? Wien-Energie-Chef Michael Strebl im Gespräch.
Dieser Konzern hat einiges vor. Um die Energiewende zu bewältigen, stellt sich die Wien Energie, größter Versorger Österreichs, in vielen Bereichen neu auf. Michael Strebl spricht über die Herausforderungen der Zukunft, hohe Investitionen und die Vorwürfe der Intransparenz bei Strom- und Fernwärmerechnungen.
STANDARD: Herr Strebl, welchen Stromtarif haben Sie privat?
Strebl: Den Optima Entspannt. Es ist ein sensationelles Angebot, mit dem wir die niedrigen Energiepreise im Großhandel frühzeitig an Kunden weitergegeben haben.
STANDARD: Aber kennen Sie sich auch aus?
Strebl: Natürlich.
STANDARD: Viele andere nicht. Es gibt ein intransparentes Gewirr an Bonustagen und Rabatten, was die Vergleichbarkeit mit anderen Tarifen schwierig macht. Warum?
Strebl: Stromverträge sind schon allein deswegen relativ kompliziert, weil sie sich in zwei Komponenten teilen, Energie und Netz. Abgesehen davon trägt auch das Konsumentenschutzrecht ein Stück dazu bei.
STANDARD: Inwiefern?
Strebl: Es war uns – selbst in der schlimmsten Energiekrise – wichtig, unsere Verträge nicht zu kündigen, im Gegensatz zu manch anderem Versorger. Deshalb haben wir gewisse Rabatte eingeführt, um fallende Preise sofort an die Kunden weitergeben zu können – denn einseitig dürfen wir Verträge nicht ändern, selbst nicht auf günstigere Tarife. Das war rechtlich nicht anders möglich.
STANDARD: Der nächste kritische Punkt ist die Fernwärme, bei der die Wien Energie der größte Versorger in Österreich ist. Institutionen von der Arbeiterkammer bis zur Regulierungsbehörde E-Control kritisieren, der Markt für Fernwärme sei intransparent. Man wisse kaum, wie die Preise zustande kämen. Stimmen Sie zu?
Strebl: Gerade die Wien Energie hat auf den Intransparenzvorwurf stark reagiert. Wir haben im letzten Halbjahr unheimlich viel unternommen, um für die Kunden eine größere Übersichtlichkeit herzustellen, von Erläuterungen zu den Tarifen bis hin zu Erklärvideos auf unserer Website. Es gibt auch einen neuen Transparenzkodex des Fachverbands für Wärmeindustrie, dem wir als Erste beigetreten sind. Da verpflichten wir uns, den Kunden faire Preise und sämtliche Informationen, die sie brauchen, zu geben.
STANDARD: Dieser Kodex ist ein Instrument der Branche. ÖVP und Grüne wollen darüber hinaus, dass der Fernwärmesektor von der E-Control beaufsichtigt wird. Wären Sie dafür?
Strebl: Das ist Sache der Politik.
STANDARD: Sie sind aber der wichtigste Akteur auf dem Markt.
Strebl: Wir können die Rahmenbedingungen nicht selber setzen – das wäre erst recht intransparent. Es ist natürlich wichtig, dass die Fernwärme beaufsichtigt wird. Das geschieht aber bereits: Es gibt ein Preisgesetz in Wien, dem die Fernwärme unterliegt. Es gibt in Wien neben nur wenigen anderen Städten einen Preisbescheid. Es ist weiters ein Auftrag des Klimaschutzministeriums an die Energieagentur ergangen, eine Transparenzdatenbank zu erstellen. Somit wird die Situation analysiert und ein neues System geschaffen. In Summe ist die Fernwärme nicht schlecht geregelt. Und nicht zu vergessen – unterm Strich gehört die Wien Energie zu den günstigsten Fernwärmeanbietern im Land.
STANDARD: Trotzdem klagen viele, dass sie, wenn sie Auskünfte in Sachen Fernwärme verlangen, in eine Schleife aus Energiezwischenhändlern, Hausverwaltungen, Bauträgern und Energieversorgern geraten – und scheitern.
Strebl: Fernwärmeverträge werden mit dem ganzen Haus geschlossen, nicht mit der jeweiligen Partei. Es gibt Bereiche, wo wir als Wien Energie selber die Abrechnung machen – es gibt aber auch Fälle, wo unser Vertragspartner entscheidet, dass er das selbst machen oder jemandem anderen übertragen möchte. Das können wir dann nur begrenzt beeinflussen. Wir versuchen, auf sämtliche Kundenwünsche einzugehen: Wenn jemand mit der Abrechnung nichts zu tun haben will, respektieren wir das und machen sie – genauso, wie wenn jemand es selbst machen will.
STANDARD: Reden wir über den ökologischen Aspekt. Die Fernwärme stützt sich noch immer bis zu 65 Prozent auf die Verbrennung von Gas. Gas schadet nicht nur dem Klima, es kommt auchüberwiegend aus Russland. Wie wollen Sie da raus?
Strebl: Vorweg, trotz des Gasanteils: Fernwärme eignet sich besonders gut, um die Stadt zu dekarbonisieren. Denn bei Fernwärme muss man nur die Quelle dekarbonisieren, ohne am System etwas zu ändern. Ich heize privat leider immer noch mit Gas: Wenn ich da rauswill, geht das zwar, aber ist natürlich mit Bauarbeiten verbunden. Bei Fernwärme hingegen braucht es sie nicht. Deshalb profitieren wir heute bei unseren Dekarbonisierungsbemühungen davon, dass in Wien in den vergangenen Jahren die Fernwärme massiv ausgebaut wurde.
STANDARD: Was sind die nächsten Schritte?
Strebl: Wir haben in Simmering die größte Wärmepumpe Mitteleuropas gebaut. Im Vollausbau wird sie Wärme für 110.00 Haushalte liefern. Mit dieser einen Anlage dekarbonisieren wir in einer Größenordnung von ganz Linz – ohne dass die Kunden davon irgendwas mitbekommen. Das entspricht 14 Prozent der Energie für die Fernwärme. Überhaupt muss ich schon sagen, dass wir in Sachen Energiewende nicht nur über ferne Ziele reden, sondern die Dinge tatsächlich auf die Straße bringen: Wir haben im Vorjahr ganze 320 Millionen Euro in klimafreundliche Energie investiert. 40 Millionen Euro davon flossen in den weiteren Ausbau der Fernwärme; 50 Millionen in den Photovoltaikausbau. Was die Fernwärme betrifft, planen wir, sie im Jahr 2040 mit Großwärmepumpen, grünem Gas, Abwärme aus Müllverbrennung und Geothermie zu betreiben – nicht mehr mit Gas.
STANDARD: In Sachen Geothermie will die Wien Energie noch heuer im Norden Wiens mit den Bohrungen beginnen; 2027 soll die Erdwärme dann ins Netz fließen. Hält der Plan?
Strebl: Ja, der hält. Alles in allem nehmen wir in den kommenden fünf Jahren 2,6 Milliarden Euro in die Hand, die in den Umbau des Energiesystems auf Erneuerbare fließen.
STANDARD: Sie haben Ihre gasbeheizte Wohnung erwähnt. Was soll in einer solchen Wohnung passieren? Es sind vornehmlich Altbauten, in denen Gasthermen hängen. Auch wegen der zerspragelten Eigentümerverhältnisse lassen sie sich viel schwieriger zentral dekarbonisieren als etwa viele Neubauten mit Fernwärme.
Strebl: Grosso modo werden alle Wohnungen innerhalb des Gürtels früher oder später auf Fernwärme umgestellt werden. Und wo sich der Fernwärmeausbau wegen der geringeren Dichte nicht lohnt, dort werden wir mit Wärmepumpen, integrierten Wärmesystemen und Grätzellösungen arbeiten. In diesen Fällen muss man sehr spezifisch berücksichtigen, wie die Baustruktur und das Viertel aussehen. Aber es findet sich für alles eine Lösung.
STANDARD: Laut einer neuen EU-Richtlinie muss der Anteil erneuerbarer Energie in der Wärme bis zum Jahr 2030 verdoppelt werden. Diese Vorgabe bezieht sich zwar nicht nur auf Wien – aber sie ist extrem steil. Wird sich das ausgehen?
Strebl: Die Geothermie, die Großwärmepumpe, die Abwärmeprojekte – wegen alldem wird sich das für uns ausgehen.
ZUM UNTERNEHMEN
Die Wien Energie GmbH ist der größte Energieversorger Österreichs mit rund zwei Millionen Kundinnen und Kunden. Über die Wiener Stadtwerke steht die Wien Energie im Alleineigentum der Stadt, was unter Österreichs Energieversorgern eher eine Ausnahme darstellt. Das Unternehmen betreibt auch eigene Kraftwerke, unter anderem in Simmering und der Donaustadt.
ZUR PERSON
Michael Strebl (59) ist seit 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung der Wien Energie. Zuvor fungierte der gebürtige Salzburger und zweifache Vater, der unter anderem technische Physik in Graz und Wien studierte, als Chef der Salzburg Netz und war für Siemens in den USA tätig. Seit 2022 ist er auch Vorsitzender des Energieexpertennetzwerks Austrian Association for Energy Economics.
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