Warum Österreich weiter Gas aus Russland beziehen soll. Was er am Bundespräsidenten kritisiert. Warum es auch einen Volksentscheid über die Todesstrafe geben könnte: FPÖ-Chef Herbert Kickl im Gespräch.
Ist Russland, wie die Regierung in ihrer Sicherheitsstrategie meint, ein Sicherheitsrisiko? Herbert Kickl: Ich halte die Änderung der Sicherheitsstrategie in eine Richtung, die uns mehr und mehr hinein in die Nato führt, für hochgradig bedenklich. Wenn Österreich seine Sicherheitsdoktrin auf die Höhe der Zeit bringt, dann ist ein zentrales Element die Neutralität. Ich halte diese für ein großes Zukunftsmodell. Wir haben selbstverständlich den russischen Angriffskrieg verurteilt. Aber ein Neutraler muss überall mit den gleichen Maßstäben messen. Das ist das, was mir fehlt. Wenn wir weiter in einer Eskalationsspirale unterwegs sind, werden wir Teil dieser Spirale sein, anstatt ein Ort zu sein, an dem vermittelt wird und an dem man versucht, diesen entscheidenden Schritt heraus zu machen. Das heißt, die Ukraine sollte nachgeben. Es könnten auch die Russen sein. Irgendeiner von den beiden wird den Schritt machen müssen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass das am Schlachtfeld erledigt werden kann.
Sie beharren auf der Neutralität und lehnen die Teilnahme an Sky Shield ab. Wie soll sich ein Neun-Millionen-Land wie Österreich allein verteidigen? Selbst die Schweiz übernimmt Sky Shield. In der Schweiz ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Was sich dort formiert, ist eine ganz massive Volksinitiative, mit dem Ziel, aufgrund dieses mit der Neutralität nicht kompatiblen Sky-Shield-Projekts die Neutralität noch stärker in der Verfassung zu verankern.Was ist die Alternative zu Sky Shield? Dass wir diese Aufgabe selbst übernehmen.Das ist aber nicht finanzierbar. Dann werden wir es auf einem anderen Niveau machen, aber alles andere bedeutet den Beitritt in ein militärisches System, das nicht von uns gesteuert wird. Es ist nicht auszuschließen, dass ein anderes Nato-Land Österreich angreift. Es soll ja auch Kriege zwischen Nato-Ländern geben – Türkei und Griechenland zum Beispiel.
Eine Aggression aus Russland ist aber viel wahrscheinlicher. Rechnen Sie allen Ernstes mit einem Beschuss durch Russland? Und wenn aus Russland Raketen oder Drohnen aufsteigen, was passiert dann? Dann löst das Nato-Luftabwehrsystem Alarm aus. Dann sind wir aber Trittbrettfahrer. Das ist etwas, was sich aufgrund unserer geografischen Lage ergibt. In dem Fall ist das ein Vorteil, aber die beste Sicherheitspolitik, die wir machen können, ist eine aktive Neutralitätspolitik, denn auch den größten Streithanseln auf der politischen Bühne ist es immer wichtig, einen Ort der Verhandlung und der Mediation zu haben. Wir haben vor zwei Jahren gesehen, wie erpressbar sich Österreich mit der Abhängigkeit von russischem Gas gemacht hat. Soll Österreich weiterhin dieses Gas beziehen? Ja, Österreich soll weiterhin russisches Gas beziehen. Diese billige Energie aus Russland ist ein wesentlicher Faktor für Österreichs Wohlstand. Wer mit moralischen Maßstäben misst, darf auch von verschiedenen anderen Staaten nichts mehr nehmen. Barack Obama mit seinem Friedensnobelpreis hat sieben Länder angegriffen. Wenn wir das Gas aus Aserbaidschan importieren – großartig, das sind diejenigen, die gerade gegen die Armenier vorgehen. Und wenn Sie auf die erneuerbaren Energien setzen, dann müssen Sie auch dazusagen, dass Sie von den Chinesen abhängig sind, wo es um die Menschenrechtssituation auch nicht besonders gut ausschaut. Mit einem Kanzler Kickl gibt es keinen Gasausstieg 2027? Nein. Ich bin auch kein Freund der Abhängigkeit von ausländischen Ressourcen. Das kann man zurückbauen, aber nicht übers Knie brechen. Ich bin auch dafür, dass wir die nachhaltigen Energiemöglichkeiten, die wir haben, nutzen. Aber nicht mit einer Scheuklappe: Windräder, die größte Bodenversiegelung, die es überhaupt gibt, werden von den Gleichen betrieben, die gegen die Bodenversiegelung antreten. Man muss auch die Frage stellen, ob es nicht vernünftiger wäre, die Frage von Fracking zur Erdgasgewinnung neu zu bewerten.Laut Wahlprogramm wollen Sie das System der parlamentarischen Demokratie umbauen. Wie stellen Sie sich das vor? Wir hören von allen Parteien, wie wichtig es ist, dass sich die Bürger engagieren. Es gibt Volksbegehren, damit ein Anliegen ins Parlament kommt. Aber das System ist nicht durchlässig. Das Volksbegehren wird im Parlament entweder auf die lange Bank geschoben oder es gibt eine tolle Plenar-Veranstaltung, nach der nichts geschieht. Unsere Idee einer Volksinitiative sieht eine Durchgängigkeit von einem Volksbegehren zu einem Gesetz vor. Das ist kein Ersatz für die repräsentative Demokratie, sondern eine sinnvolle Ergänzung – wie in der Schweiz. Die ist auch noch nicht untergegangen.In Österreich wurde die Todesstrafe 1950 abgeschafft. Per Volksentscheid könnte sie wieder eingeführt werden? Jedes Gesetz, das im Nationalrat beschlossen werden kann, soll auch in Form einer Volksinitiative beschlossen werden können.
Kann jedes Thema Gegenstand dieser Initiative sein? Was heißt denn Demokratie anderes? Könnte das Parlament die Todesstrafe einführen? Ja. Also muss es logischerweise auch für eine Volksinitiative möglich sein. Aber bei diesem Prozess muss es natürlich eine entsprechende Teilnahme an Wahlberechtigten geben, das ist schon wichtig.Wären Sie dafür? Ich bin ein klarer Gegner der Todesstrafe.
Laut Ihrem Wahlprogramm sollte die Bundesregierung per Volksentscheid abgesetzt werden können. Das klingt extrem populistisch. Das soll ja nicht etwas sein, das mit ein paar Stimmen geht, sondern wenn eine ganz große Unzufriedenheit da ist. Wir halten uns hier an das Modell, mit dem Arnold Schwarzenegger 2003 Gouverneur von Kalifornien wurde. Das Recall-Verfahren sieht die Abberufung des amtierenden Gouverneurs durch eine Petition und Neuwahlen vor.
Sie haben über die „Inzucht-Partie“ bei den Salzburger Festspielen geschimpft. Die Salzburger FPÖ-Landesobfrau Marlene Svazek ist gern gesehener Gast bei den Festspielen. Ist sie auch Teil dieser „Inzucht-Partie“? Das ist das klassische Beispiel einer manipulativen Berichterstattung. Ich habe keinen Künstler oder Kulturschaffenden angegriffen und nicht das Publikum, sondern den politischen Teil dieser Veranstaltung. Derjenige, der dort eine Festrede hält, spricht von Gräbenschließen und Brückenbauen. Gleichzeitig sagt er, ich muss mir als Bundespräsident überlegen, ob ich den Stimmenstärksten mit einer Regierungsbildung beauftrage. Fällt diesen Herrschaften der Widerspruch nicht auf? Sie sprechen die Regierungsbildung an. Wenn Sie eine Mehrheit bringen, müsste der Bundespräsident Sie doch ohnehin angeloben? Ich habe ein Interview mit dem Bundespräsidenten in Erinnerung, wo er gesagt hat, ob er einen Bundeskanzler angelobt oder nicht, ist seine höchstpersönliche Angelegenheit. Jeder, dem die Demokratie am Herzen liegt, muss ihn da in die Schranken weisen. Eine höchstpersönliche Angelegenheit ist, ob er mit seinem Hund Gassi geht oder seine Frau das erledigt. Aber wenn er als Bundespräsident handelt, dann steht er nicht neben der Verfassung und nicht über der Verfassung, sondern auf dem Boden der Verfassung.
Sind Sie für einen EU-Austritt? Nein, bin ich nicht. Ich halte es aber für politisch unverantwortlich, so etwas auf ewige Zeiten auszuschließen.Es gibt nun wieder Aufregung um die Identitären. Bei einer Veranstaltung soll von einem „Srebrenica 2.0“ für Muslime die Rede gewesen sein. Sehen Sie die Identitären noch immer als „unterstützenswertes Projekt“ und ganz normale „NGO von rechts“? Erstens sind diese Aussagen unerträglich und aufs Schärfste zu verurteilen. Sie verwirklichen eine schwere Straftat, und es wundert mich, dass diese Straftat von den Undercover-Journalisten nicht unverzüglich zur Anzeige gebracht wurde. Die Dreharbeiten liegen länger zurück. Zweitens wirkt es seltsam, dass die besagte Frau offenbar nur während des Zeitraums dieser Reportage in der AfD-Jugendorganisation aktives Mitglied war und danach wieder ausgetreten und seither offenbar spurlos verschwunden ist. Von anderen Teilnehmern der Kundgebung sind keine derartigen Aussagen übermittelt.Das Interview wurde von „Salzburger Nachrichten“, „Kleiner Zeitung“, „Oberösterreichischen Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“, „Vorarlberger Nachrichten“ und „Die Presse“ gemeinsam geführt. Für die SN stellte Andreas Koller die Fragen.
Salzburger Nachrichten