Energie. Die OMV erhielt gerichtlich 230Mio. Euro von Gazprom zugesprochen und will daher vorerst nicht mehr für russisches Gas zahlen. 2025 könnte ohnehin keines mehr nach Österreich fließen. Sind wir vorbereitet?
Österreich und seiner Wirtschaft steht der nächste Härtetest bevor. Denn dieser Winter könnte der erste seit über 50 Jahren werden, in dem kein Gasmolekül aus Russland mehr durch die bestehenden Pipelines ins Land finden wird. Ein Grund dafür ist paradoxerweise ein juristischer Sieg der OMV über Gazprom, der am Mittwochabend bekannt wurde: Das heimische Unternehmen bekam vor Gericht 230Millionen Euro plus Zinsen an Schadenersatz für unregelmäßige Lieferungen des russischen Produzenten zugesprochen. Das österreichische Unternehmen will ab sofort weitere Lieferungen von Gazprom nicht mehr bezahlen, sondern gegen die erstrittene Summe aufrechnen. Nun besteht die Sorge, dass Gazprom gar kein Gas mehr schickt.
Aber selbst wenn sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet, könnte spätestens ab 1. Jänner Schluss sein mit Energielieferungen aus Russland. Denn jeder Kubikzentimeter Erdgas, den Österreich in Moskau kauft, muss durch die Ukraine geleitet werden, bevor er am Gasknotenpunkt in Baumgarten landet. Doch die Route ist ab 2025 voraussichtlich dicht. Kiew hat keine Zweifel daran gelassen, dass der zum Jahresende auslaufende Transitvertrag mit den Russen nicht verlängert werden soll. Damit wird aus dem Gedankenspiel, wie eine Energieversorgung ohne Wladimir Putin aussehen könnte, schlagartig Ernst.
Langfristiger Vertrag
Die EU kann das freilich nicht mehr schrecken. Sie hat bereits geschafft, was vor wenigen Jahren noch als undenkbar gegolten hatte. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar 2022 hat sie den früheren Hauptlieferanten durch alternative Gasproduzenten ersetzt. Vor allem die Mengen an Flüssiggas (LNG) aus den USA sind seither sprunghaft gestiegen und haben sich im Jahr 2023 gegenüber 2021 fast verdreifacht, sodass sie bereits ein Fünftel der europäischen Gasimporte abdecken. Österreich kauft hingegen noch gut zwei Drittel seines Erdgases von Russland. Ein Grund dafür ist eine langfristige Abnahmeverpflichtung bei Gazprom, die noch bis 2040 läuft. Doch dieser Vertrag der OMV könnte rasch platzen, wenn die Ukraine im Jänner wirklich ernst macht und den Transit stoppt. Und damit wird die Frage virulent: Haben sich die heimischen Versorger ausreichend auf diese Situation vorbereitet?
Genau darüber mussten im Oktober von den 30 größten heimischen Gasversorgern jene 15, die bis dato immer noch von einem großen Lieferanten abhängig waren, dem Energieregulator E-Control Rechenschaft ablegen. Alle 15 hätten Lieferkonzepte und Speicherpläne vorgelegt, bestätigt E-Control-Chef Alfons Haber der „Presse“.
„Abhängigkeit eliminiert“
Einige Konzerne haben ihren Abschied von Moskau schon im Vorfeld medial zelebriert: Die Kärntner Kelag etwa rühmt sich, seit Sommer der erste Landesversorger ohne russisches Gas zu sein. Die Wien Energie hat sich zehn Terawattstunden (TWh) an – überwiegend norwegischem – Gas gesichert und will damit all ihre Kunden versorgen können. Die Zusatzkosten verortet Unternehmenschef Michael Strebl im „mittleren einstelligen Millionenbereich“.
Und OMV-Chef Alfred Stern, immerhin der bis dato größte Importeur, sagte jüngst vor Investoren, dass sein Unternehmen „die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen eliminiert“ habe. Die eigene Gasproduktion in Norwegen und etliche langfristige Verträge würden die erforderlichen Mengen garantieren. Zudem habe man sich Transportkapazitäten via Italien und Deutschland für 45TWh im Jahr gesichert. Das ist mehr als die Hälfte des Jahresbedarfs in Österreich. Fällt Russland aus, würde das die OMV einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag kosten, sonst aber nicht viel ändern.
Einen Gasengpass müsse heuer niemand in Österreich fürchten, sind sich Fachleute einig. Das liegt einerseits am vergleichsweise niedrigen Verbrauch – milde Temperaturen und eine strauchelnde Industrie drücken den Gasbedarf heuer auf 71 bis 76TWh. Andererseits sitzt ganz Europa auf enormen Gasreserven. Die europäischen Speicher sind zu 92,6Prozent gefüllt. In Österreich sind es sogar 93,3 Prozent. Zum Vergleich: Vor Ausbruch des Ukraine-Krieges waren die Speicher nur zu 30Prozent gefüllt.
Die Frage des Preises
Entsprechend gering sind laut einer Studie der Energieagentur und der E-Control auch die erwarteten Auswirkungen eines plötzlichen Lieferstopps durch die Ukraine. Viele Länder wie Italien oder Ungarn, die durch die Lieferungen nach Österreich früher mitversorgt werden mussten, stehen inzwischen auf eigenen Beinen. Und selbst wenn Österreich im Ernstfall mehr Gas an seine Nachbarländer liefern müsste, würden die Speicherstände nie unter 50Prozent fallen, so das Ergebnis der Untersuchung.
Doch was ist mit den Kosten? Alternative Gasrouten verschlingen Geld, das zeigt auch das Beispiel Wien Energie. Auch der Transitstopp mit Jahreswechsel wird Auswirkungen haben. „Aktuell sind die Preise konstant, auch mit Blick auf das kommende Jahr“, erklärt Alfons Haber. „Wir gehen aber davon aus, dass es kurz- und mittelfristige Preissprünge geben wird“, sagt Studienautor Leo Lehr. Um zehn bis zwanzig Prozent könnte der Gaspreis nach oben gehen.
Unter höheren Preisen leidet Europa bereits seit Beginn des Ukraine-Krieges. Grund dafür ist die sukzessive Loslösung von russischen Gasimporten, die lange billiger waren als Importe aus anderen Ländern. „Von diesen Preiserhöhungen war nur Europa betroffen, während die anderen Regionen das gar nicht so mitbekommen haben“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), zur „Presse“. Das mindere die Wettbewerbsfähigkeit gerade gegenüber den USA, wo Gas einen Bruchteil koste.
Daten der Finanznachrichtenagentur Bloomberg zufolge zahlen Europa und die Türkei 2024 im Schnitt 320,3 Dollar je 1000 Kubikmeter für russisches Pipelinegas – das sei mehr als China (257 Dollar), aber weniger als der Preis für LNG. Der durchschnittliche LNG-Preis, der von der EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) auf der Grundlage des niederländischen Gashubs TTF ermittelt wird, betrug im zweiten und dritten Quartal umgerechnet 381,5 Dollar je 1000 Kubikmeter – um 19 Prozent mehr als russisches Pipelinegas. Die Preisdifferenz droht sich in den kommenden Monaten zu vergrößern. Nicht zufällig ist der Anteil russischen Gases, der vor dem Krieg über 40 Prozent am europäischen Gasimport ausmachte und danach bis 2023 auf unter 15 Prozent fiel, in den ersten neun Monaten 2024 wieder auf 20 Prozent gestiegen, wie ACER vorrechnet. Gewiss, die EU importiert inzwischen auch mehr russisches LNG vom dortigen Konzern Novatek. Aber es fließt eben auch noch Gazprom-Gas durch die Ukraine.
Joker Aserbaidschan
Schon wegen des Preisvorteils käme es mehreren europäischen Ländern gelegen, wenn es bis zum 1.Jänner doch noch eine Lösung für den Gastransport durch die Ukraine gäbe. Dass auch die Russen daran interessiert sind, versteht sich von selbst, würden sie bei einem Transitstopp doch jährlich 6,5 Mrd. Dollar verlieren, zumal sie keinen Ersatzmarkt für die Gasmenge haben. Aber auch die Ukraine würde nach Schätzungen von Mykhailo Svyshcho, einem Analysten der Kiewer Firma ExPro Consulting, um jährlich bis zu 800 Millionen Dollar an Transitgebühren umfallen, schreibt Bloomberg.
„Alle suchen daher eine Lösung, um den Transit mit irgendwelchen Mittlerstrukturen zu gewährleisten und trotzdem das Gesicht nicht zu verlieren“, erklärt Sergej Vakulenko, ehemaliger russischer Gasmanager und nun Senior Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin, der „Presse“. Als Lösungsvariante steht im Raum, dass formalvertraglich Aserbaidschan über die Ukraine liefert, realiter aber weiter Russland, indem es die entsprechende Exportmenge formal mit Aserbaidschan tauscht (Swap-Geschäft). Auf dieser Variante besteht auch die Ukraine. Aserbaidschan selbst könnte die Produktion ohnehin nicht schnell steigern, zudem fehlen Exportrouten.
Die Presse