Energie. Zur Dekarbonisierung des Energiesystems braucht man nicht nur Geld, sondern auch ein bisschen technische Intelligenz. Deutschland liefert gerade ein Lehrbeispiel dafür, wie es nicht geht.
Während die Delegierten bei der seltsamen Klimakonferenz in der Fossilstadt Baku gerade über noch mehr Industriestaatengeld für den Klimaschutz in „Entwicklungsländern“ wie China diskutieren, liefert der selbst ernannte Energiewende-Vorreiter Deutschland gerade den Beweis dafür, dass Geld allein beim Klimaschutz gar nichts nützt: Dort herrschte kürzlich zwei Wochen lang Dunkelflaute. Sonne und Wind lieferten so gut wie nichts.
Für die Aufrechterhaltung des Stromnetzes glühten also nicht nur die Import-Leitungen zu französischen Kern- und polnischen Kohlemeilern, es mussten auch alte, extrem umweltschädliche Kohle- und Ölkraftwerke im Land selbst wieder angeworfen werden. CO₂-freie funktionierende Kernkraftwerke waren ja aus ideologischen Gründen stillgelegt worden.
Fazit: Nach rund 600 Milliarden Euro Investitionen in die Dekarbonisierung der Stromerzeugung produzierte die größte Volkswirtschaft der EU in den vergangenen Tagen wieder einmal den zweitschmutzigsten Strom Europas. Gratulation!
Wie gesagt: Ohne große Investitionen geht im Klimaschutz nichts. Aber Geld allein schafft die Treibhausgasreduktion leider auch nicht. Es gehören auch ein bisschen technische Intelligenz und Verständnis für die Funktionsweise von Energienetzen dazu. Und daran scheint es zumindest in der westeuropäischen Politik derzeit sehr zu mangeln.
Man hat das in den Reaktionen einiger deutscher Politiker auf entsprechende Vorhaltungengemerkt: Notwendig sei jetzt ein noch viel rascherer Ausbau von Sonnen- und Windkapazitäten, hat es geheißen. Coole Idee. Dann hätte jetzt die doppelte Anzahl an Windrädern und Solarpaneelen keinen Strom geliefert. Die Uralt-Fossilkraftwerke, die das deutsche Netz in den vergangenen Tagen vor dem Zusammenbruch gerettet haben, sollen in den kommenden Jahren übrigens abgeschaltet werden. Im Gegenzug zum forcierten Ausbau der Wind- und Sonnenkapazitäten.
Bilanziell, also im Jahresschnitt, liege man ja trotzdem ganz hervorragend, wurde weiter verkündet. Da sei die Versorgung der Stromkunden mit annähernd 100 Prozent Ökostrom gesichert. Sehr schön. Ein Beispiel, das stark an den Kalauer erinnert, wonach ein Fuß in flüssigem Stickstoff und einer im auf 250 Grad aufgeheizten Backrohr eine ausgesprochen angenehme Durchschnittstemperatur ergibt. Ist mathematisch natürlich richtig. Versuchen sollte man es trotzdem nicht.
Wieso aber versucht man es dann ausgerechnet bei der Stromversorgung, einer der wichtigsten Infrastrukturen für die Wirtschaft? Wieso geben da ausgerechnet Leute, die sonst jeden zweiten Satz mit „Follow the science“ beginnen, solch unwissenschaftlichen Mist von sich?
Besonders aufreizend ist die Sache mit den „bilanziell 100 Prozent Ökostrom“, wie sie ja auch von dem österreichischen Umweltministerium gern proklamiert wird: Wer damit hausieren geht, sollte, wenn es irgendwie geht, von Verantwortung im Energiebereich ferngehalten werden. Und sich im Übrigen nach HTL-Schülern in der Umgebung umschauen, die ihm das hervorragende Lehrbuch „Grundlagen der Elektrotechnik“ borgen (und eventuell erklären) könnten.
Ein Stromnetz funktioniert nämlich nicht bilanziell, sondern muss Energie in der benötigten Menge exakt dann zur Verfügung stellen, wenn sie benötigt wird. Bilanziell im Sinne der derzeitigen Ökostrom-Ideologie bedeutet große Überschüsse im Sommer, die zu hohen Kosten irgendwo abgeladen werden müssen. Meist zu negativen Preisen, also sehr teuer für Stromkonsumenten und Steuerzahler, die das letztendlich begleichen. Und eine große Versorgungslücke im Winter, die, ebenfalls zu hohen Kosten durch fossile Ersatzkraftwerke, die nur in solchen Fällen angeworfen werden, gefüllt werden muss. In nicht unerheblichem Ausmaß natürlich auch durch Importe, was aber nur funktioniert, wenn die Nachbarländer noch eine vernünftige Energiepolitik betreiben.
Die Kunst eines zu 100 Prozent auf Ökostrom basierenden Systems, wie es Deutschland offen anstrebt, wäre es, mit dem Sommerüberschuss die Winterlücke zu füllen. Dann geht es natürlich. Das ist theoretisch möglich, praktisch aber nicht. Die einzige Möglichkeit dafür bieten derzeit Wasser-Speicherkraftwerke. Davon gibt es nicht genug. Nicht einmal in Österreich, wo es noch zahlreiche Gebirgstäler zu fluten gäbe, geschweige denn in Deutschland, wo die Topografie nur wenige Gelegenheiten für solche Projekte bietet. Batterien, die dafür im Prinzip auch geeignet wären, sind eine feine Sache, um kurzzeitige Lücken zu schließen, aber für die saisonale Speicherung nicht geeignet. Nicht nur wegen der Kosten. Und die Wasserstoffspeicherungin diesen Größenordnungen ist, abgesehen von den Kosten, auf lange Zeit noch Science-Fiction.
Was heißt das jetzt für Wind und Sonne? Ausbau, klar, sie sind ein wichtiger Teil des Energiemixes. Aber nur in verkraftbarem Ausmaß, also parallel mit dem Netz- und Speicherausbau. Und natürlich (wie es ja auch die Deutschen planen) Bereitstellung ausreichender (möglichst gut steuerbarer) konventioneller Kapazitäten zum Ausgleich der Ökostromschwankungen. Diese Ersatzkapazitäten sind klarerweise fossil, wenn man auf Kernkraft verzichtet. Die Energiewende wird also noch sehr lang am Erdgas hängen. Da könnte man sich ruhig auch einmal ernsthafter mit der Hebung mitteleuropäischer Gasreserven befassen.
Vor allem aber muss das völlig kontraproduktiv gewordene Fördersystem umgebaut werden, das den wahren Preis für Sonnen- und Windstrom derzeit durch die Wolken in lichte Höhen treibt und die Netze destabilisiert. Speziell die nachfrageunabhängigen Einspeiseförderungen im Verein mit unbegrenzten Abnahmegarantien lassen die Ökostromkosten derzeit dramatisch explodieren. Deutschland etwa gibt heuer schon deutlich mehr als 20 Mrd. Euro aus, um die Differenz zwischen den garantierten Einspeisetarifen und den (im Sommer oft negativen) Verkaufserlösen für den gelieferten Strom abzudecken. Dieses System hat sich überlebt.
Ein vernünftiges System wäre es, die an der Strombörse erzielbaren Preise auf die Produzenten durchschlagen zu lassen. Das ist im digitalen Smartmeter-Zeitalter keine unlösbare Raketenwissenschaft. Damit wäre das Problem der sehr teuren Sommer-Stromüberschüsse weitgehend eingefangen. Denn niemand wird freiwillig Strom ins Netz einspeisen, wenn er dafür bezahlen muss. Das jetzige Fördersystem, das direkt in eine Art Ökostrom-Agrarwirtschaft führt, fördert solche Unsinnigkeiten, statt sie zu verhindern. Da muss man jetzt Markt wagen.
Was gefördert gehört, sind nicht Produktionsanlagen (davon gibt es für das bestehende Netz schon mehr als genug), sondern Speicher. Vor allem auch bei der wachsenden Zahl der privaten PV-Kleinanlagenbesitzer. Wenn es gelänge, die Haushalte mit ausreichend dimensionierten Akkulösungen in ausreichender Zahl auszustatten, wären die Sommerspitzen wohl ziemlich stark geglättet. Für die Winterlücke gibt es auf absehbare Zeit ohnehin nur fossile Lösungen. Oder Kernkraft.
Mit anderen Worten: Was wir brauchen, sind mehr Marktwirtschaft in der Ökostrombranche und ein realistischer koordinierter Ausbau von regenerativer Energieerzeugung. So kann die Energiewende ohne große wirtschaftliche Verwerfungen gelingen. Und ein bisschen Basismathematik. Etwa, dass eine Multiplikation mit null immer null ergibt. Dass also die dreifache Anzahl von Windrädern bei Flaute auch nicht mehr liefert. Wird der aktuelle Ideologie-vor-Technik-Weg fortgesetzt, dann wird das ein teurer Flop. Das deutsche Beispiel sollte Warnung genug sein.
Mail: josef.urschitz@diepresse.com
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