Elektrofahrzeuge sollen künftig das Energiesystem entlasten und via Batterie erneuerbaren Strom zur Verfügung stellen. Noch liegt dieses Ziel in weiter Ferne. Ein Forschungsprojekt zeigt jedoch, wie dieses Ansinnen klappen könnte.
Der Strom kommt bekanntlich aus der Steckdose. Doch eines Tages könnte er auch aus Elektroautos kommen. Das ist der Kern einer Vision, die als Vehicle-to-Grid (V2G) bezeichnet wird. Die simple Idee: Weil Autos den Großteil des Tages ohnehin ungenutzt abgestellt sind – laut Verkehrsclub Österreich (VÖC) legt ein Autohaushalt pro Tag durchschnittlich nur 45 Kilometer zurück –, könnte der in einem Elektrofahrzeug gespeicherte Strom bei Bedarf entnommen und ins Stromnetz eingespeist werden.
Dieses Ansinnen scheint auf den ersten Blick widersinnig, weil es doch das Ziel jedes E-Auto-Besitzers zu sein scheint, stets eine möglichst volle Batterie zur Verfügung zu haben. Doch V2G ist auch keine primär konsumentengetriebene, sondern von Stromanbietern und Netzbetreibern gewünschte Innovation. Durch den steigenden Anteil an erneuerbaren Energieträgern lässt sich der Stromverbrauch immer schwerer prognostizieren. Elektroautos stellen hier eine vielversprechende Möglichkeit dar, Strom bei Überangebot im Netz kurzfristig zu speichern und bei erhöhtem Bedarf wieder abzurufen.
Flexibel zur Energiewende
„Diese Flexibilität ist notwendig, damit die Energiewende gelingen kann“, sagt Andrea Edelmann, Leiterin der Abteilung Innovation, Nachhaltigkeit und Umweltschutz beim niederösterreichischen Energieversorger EVN. „Natürlich gibt es auch stationäre Speicher und andere Möglichkeiten. Aber wir sehen ein Potenzial, mithilfe von Autobatterien die Flexibilität zu erhöhen und mehr erneuerbare Energieträger ins Energiesystem zu bringen.“ Edelmann ist zugleich Obfrau und Vorstandssprecherin der Forschungsinitiative Green Energy Lab. Dieses ist Teil des Innovationsprogramms „Vorzeigeregion Energie“ des vom Klimaschutzministerium geförderten Klima- und Energiefonds, das Forschungsprojekte zur zukünftigen Energieversorgung betreut.
Eines dieser Projekte ist das von der FFG geförderte Car2Flex, das noch bis Mitte 2025 läuft. Das vierjährige Projekt hat ein Volumen von knapp 4,8 Millionen Euro, die Leitung liegt bei der Technischen Universität Wien. Gesamt 20 Partner arbeiten an dem Projekt mit, darunter Joanneum Research, FH Technikum Wien, Montanuniversität Leoben und Austrian Institute of Technology. Untersucht wird dabei die Praxistauglichkeit des gesteuerten Ladens und Entladens von Elektroautos anhand verschiedener Anwendungsfälle.
Smarte Nutzung von Carsharing
Ein vielversprechendes Szenario ist etwa die Kombination mit Carsharing. Dafür stehen an zwei Wohnhausanlagen jeweils ein Elektrofahrzeug des Carsharing-Anbieters Fahrvergnügen.at zur Verfügung. Die Autos werden tagsüber mit Strom aus einer Photovoltaikanlage aufgeladen. Die Reservierung der Fahrzeuge erfolgt über die Buchungsplattform des Anbieters. Dadurch weiß das System, wann die Fahrzeuge benötigt werden, und kann darauf basierend den Batteriespeicher nutzen, um beispielsweise die Beleuchtung der Wohnhausanlage oder auch den Lift mit Energie zu versorgen.
Damit auch spontane Fahrten möglich sind, bleibt stets ein Ladestand von mindestens 40 Prozent garantiert. Zudem gibt es ein Anreizsystem: Je früher Autos gebucht werden, desto günstiger ist die Miete. Diese Anwendung wurde von der gemeinnützigen Vereinigung Eurosolar Austria kürzlich mit dem Österreichischen Solarpreis in der Kategorie „Transportsysteme mit erneuerbaren Energien“ ausgezeichnet. Das theoretische Potenzial von Vehicle-to-Grid ist groß. Laut dem Bundesverband Elektromobilität Österreich (BEÖ) gibt es hierzulande aktuell mehr als 188.000 rein elektrisch betriebene Fahrzeuge.
Strombedarf von 3100 Haushalten
Geht man bei diesen Fahrzeugen von einer durchschnittlichen Batteriekapazität von 50 Kilowattstunden aus, ergäbe das aggregiert einen Speicher mit 9,4 Gigawattstunden Kapazität und entspräche dem jährlichen Strombedarf von rund 3100 Vier-Personen-Haushalten. Bis sich V2G allerdings großflächig durchsetzt, dürfte trotzdem noch viel Zeit vergehen. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Zum einen setzen europäische Automobilhersteller auf den CCS-Standard (Combined Charging System). Dieser gilt zwar als dem asiatischen Konkurrenten CHAdeMO technisch überlegen. Allerdings lassen die Hersteller bislang nur das Beladen der Autos zu, nicht das Entladen. Zudem haben Ladesäulen, die bidirektionales Laden ermöglichen, bislang keine Zulassung durch die Netzbetreiber. Für den Privatbereich wären sie außerdem noch viel zu teuer. In Asien oder den USA, wo es bidirektionales Laden bereits gibt, kosten diese Ladesäulen bis zu 10.000 Euro, erklärt Georg Lettner vom Institut für Energiesystem und elektrische Antriebe der Technischen Universität Wien und Projektleiter von Car2Flex: „Für diesen Preis kauft man sich besser eine stationäre Batterie für die Heimanwendung. Wir haben im Rahmen des Projektes eine Erhebung zur Zahlungsbereitschaft der Endkonsumenten durchgeführt. Sie würden maximal 3000 bis 4000 Euro zahlen. Die größte Hürde ist derzeit allerdings, dass es keine Autos mit CCS-Standard gibt, die man entladen darf.“ Autos mit dem CHAdeMO-Standard lassen das zwar zu, spielen in Europa aber zahlenmäßig praktisch keine Rolle.
Hersteller befürchten Risiken
Beobachtern drängt sich der Eindruck auf, dass sich Energieversorger und Automobilhersteller gegenseitig den Ball zuspielen. Das kann man als Ausdruck des Problems unterschiedlicher Erwartungshaltungen aller Beteiligten deuten. Die Energieversorger betrachten die Gesamtheit aller Elektroautos primär als ein großes, dezentrales Energiesystem, das als ein virtuelles Kraftwerk dabei helfen soll, Nachfrageschwankungen im Netz auszugleichen. Gleichzeitig versprechen sie sich neue Geschäftsmodelle für ihre Kunden.
Fahrzeughersteller hingegen sehen derzeit vor allem das Risiko für ihr eigenes Geschäft. Denn jeder Ladezyklus reduziert die Lebensdauer einer Batterie. Zudem reduziert sich ihre Kapazität mit dem Gebrauch. Weil weniger Kapazität in geringerer Reichweite resultiert, fürchten die Unternehmen, dass bidirektionales Laden ihre Reichweitengarantien obsolet machen würde. Clevere Anwendungsszenarien bleiben deshalb bis auf weiteres der Forschung vorbehalten.
Der Standard