Verbund-Chef Michael Strugl warnt vor einer schlecht gemanagten Energiewende. Bei den höheren Energiekosten sei die Politik am Zug.
Die Energiekrise war Europa und Österreich eine Lehre, sagt der Chef des größten Stromkonzerns. Die Transformation holpert.
Der Lieferstopp für russisches Gas an die OMV hat die Märkte kurz irritiert, offenbar macht er aber keine Probleme. Was erwarten Sie zu Jahresende? Michael Strugl: Man hat gesehen, dass Europa wesentlich besser vorbereitet ist auf eine solche Situation als vor zwei Jahren. Die Menge, die nach Baumgarten kommt, hat sich nicht wesentlich verändert und der Preis hat sich schon seit Jahresbeginn nach oben bewegt, das heißt, der Markt hat schon einiges eingepreist. Bei einem Stopp des Transits durch die Ukraine sind die Preisausschläge schwer vorherzusehen. Es gibt zwei Aspekte, die die Sache entspannen: der Füllstand der Speicher, der sehr hoch ist, und die alternativen Gasströme aus dem Süden und dem Westen. Insgesamt wird in der Branche nicht damit gerechnet, dass es zu Verwerfungen kommt wie 2021 und 2022. Eine Krise wie 2022 ist also nicht mehr möglich? Diese Situation wird so nicht mehr eintreten, weil Europa es in kurzer Zeit geschafft hat, seine Gasbezüge zu diversifizieren. Es ist natürlich teurer geworden im Vergleich zum Vorkrisenniveau. Eine Gasmangellage ist aber eher unwahrscheinlich.
Außer es fliegt ein Flüssiggas-Terminal in die Luft… Wenn etwas passiert, das die Gasmengen in Europa massiv einschränkt, würde das natürlich den Preis nach oben treiben und auch den Strompreis. Grundsätzlich gibt es nach wie vor diese Korrelation. Der Effekt wird nur abgeschwächt, wenn mehr erneuerbare Erzeugung dafür sorgt, dass in möglichst vielen Stunden der Bedarf gedeckt wird und nur in wenigen Stunden Gaskraftwerke preissetzend sind. Das sehen wir zum Teil schon. Gas- und CO2-Preis haben aber weiter einen Einfluss auf den Strompreis.Was hat man sonst noch gelernt aus der Krise? Dass man nicht von einer Bezugsquelle abhängig sein soll. Es war klar, dass Flüssiggas, das ein global gehandeltes Gut ist, teurer ist. Der Preis steigt, wenn etwa die Konjunktur in China anzieht, das bringt Europa unter Druck. Und man hat gelernt: Will man weniger abhängig sein, muss man selbst mehr mit erneuerbaren Energien erzeugen.
Der schwierig ist. Es ist nicht die berühmte gemähte Wiese, aber der Ausbau von erneuerbarer Erzeugung, Infrastruktur und Speichern ist die richtige Antwort. Auch das ist ein Learning. Weiters, dass wir den Strompreis besser von den fossilen Energien entkoppeln müssen, mit langfristigen Lieferverträgen und sogenannten Differenzverträgen, die dafür sorgen, dass Investitionen weiter attraktiv sind, aber es nach oben und nach unten Grenzen gibt.Auch die Haushalte scheinen aus der Krise gelernt zu haben: Sie versuchen, so unabhängig zu sein wie möglich, mit PV, Wärmepumpe und Speichern. Was heißt das für Stromerzeuger und Nachfrage? Die Nachfrage steigt ohnehin. Der Unterschied ist nur, dass Haushalte selbst erzeugen, daher sinkt der Netzbezug. Auch das hat seine Konsequenzen, beispielsweise auf die Netztarife. Wir gehen in unserer Modellierung davon aus, dass durch die Dekarbonisierung Strom auch für Mobilität, Raumwärme, in der Industrie und zur Wasserstofferzeugung eine Rolle spielen wird. Der Verbrauch wird sich bis 2040 auf 145 Terawattstunden verdoppeln. Aber die Aufbringung wird anders sein. Wenn heuer wieder zwei Gigawatt Photovoltaik auf Österreichs Dächern installiert werden, hat das Folgen. Wir müssen PV sinnvoll und netzdienlich ins Gesamtsystem integrieren.Passiert das jetzt nicht? Wir haben schon Situationen, wo wir nicht wissen, wohin mit dem Strom, zum Teil, weil Speicher auf den niedrigen Netzebenen fehlen, zum Teil, weil die Netze darauf nicht vorbereitet sind und auch nicht dafür gebaut wurden. Das heißt, wir brauchen einen systemischen, integrierten Ansatz für einen Hochlauf.Wird das die nächste Regierung hinkriegen? Das muss sie.
Und wenn nicht? Dann werden wir Instabilitäten im System haben.Sie meinen Blackouts? Das ist der Extremfall, wenn man es nicht mehr beherrschen kann und es zu Abschaltungen kommt. Davon gehe ich nicht aus. Aber eine schlecht gemanagte Transformation wird teuer. Eine Studie erwartet in so einem Szenario 30 Prozent höhere Kosten bis 2050. Die Botschaft ist: Ein gut gemanagter, effizienter Umbau würde uns sehr helfen, sonst wird es sehr teuer. Die steigenden Stromrechnungen 2025 durch höhere Netzkosten und auslaufende Staatshilfen regen auf. Was sollte man tun? Darüber werden sich jetzt alle den Kopf zerbrechen. Das passiert in Europa unter dem Titel „Wettbewerbsfähigkeit der Industrie“. Die EU-Kommission hat in den ersten 100 Tagen dazu einen Aktionsplan angekündigt. Auch die österreichische Regierung wird sich mit dem Thema beschäftigen. Wir weisen schon länger darauf hin, dass das kommen wird. Und wenn man sieht, woraus sich die Rechnung zusammensetzt – die reinen Energiekosten, die Netzkosten und Steuern und Abgaben –, dann kann man schauen, an welchen Schrauben man drehen kann, um die Stromrechnung runterzubringen. Wie viel Spielraum sehen Sie beim reinen Energiepreis? Der Spielraum ist, was die Beschaffungsstrategie hergibt. Die ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Grundsätzlich müssen alle mit Marktpreisen kalkulieren. Verbund hat die Tarife gesenkt und damit die Spielräume ausgenutzt. Es ist ja bekannt, dass wir mit den Endkunden nichts verdienen, sondern mit der Erzeugung.
von Monika Graf
Salzburger Nachrichten