Warten auf Wasserstoff

21. Jänner 2025, Linz

Die Industrie setzt zunehmend auf eigene H2-Erzeugung. Linde-Gas-Österreich-Chef Martin Haslinger sieht dafür gute Gründe.

Laut EU-Klimastrategie soll CO2-frei erzeugter Wasserstoff eine zentrale Rolle in der Energiewende spielen und Erdgas insbesondere in der Industrie schrittweise ersetzen. Wo das flüchtige Gas in den benötigten Mengen und zu bezahlbaren Kosten herkommen soll, beschäftigt nicht nur den deutschen CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, sondern auch die heimische Wirtschaft, wobei unklar ist, wie eine künftige FPÖ-ÖVP-Regierung mit der Frage umgehen wird.

Sollte die wasserstoffverbrauchende Industrie bis 2035 rund 60 Prozent ihres aus Erdgas erzeugten Wasserstoffs durch „grünen“ ersetzen müssen, „wird das eine große Aufgabe“, sagt Martin Haslinger, Geschäftsführer von Linde Gas Österreich. Dass die Pipelines für den Import bis dahin da sind, sieht er skeptisch. „Ich bezweifle, dass der Zeitplan gehalten werden kann“, sagt er zu den SN. Der Rahmen dazu fehle in Österreich und anderen EU-Ländern. Zudem müssten Leitungen durch teils politisch instabile Länder gehen; auch Umwidmen bestehender Gas-Pipelines sei schwierig, weil nicht selten ein zweiter Strang gebaut werden müsse.

Wasserstoff-Großverbraucher setzen daher laut Haslinger auf ihre eigenen Elektrolyseure, vor Ort gebaut, betrieben und gewartet von Linde. Für den Lieferanten von technischen Gasen aller Art, der bisher Dampfreformer zur Produktion von Wasserstoff aus Erdgas geliefert hat, geht es ums Geschäft. 80 Elektrolyseure betreibt der US-Konzern weltweit, mehr als die Hälfte davon in Europa, meist kleinere mit ein bis zwei Megawatt (MW). Der größte wird mit 24 MW derzeit bei Leuna in Deutschland gebaut.

In Österreich errichtet Linde einen 4-MW-Elektrolyseur beim Hochleistungswerkstoffhersteller Plansee in Tirol, der dort die Hälfte des Bedarfs an hochreinem Wasserstoff decken soll. Die Anlage ist ausbaufähig. „Wir wollen wie bei den Dampfreformern mit unseren Industriekunden wachsen“, sagt Haslinger – und Wasserstoff in der richtigen Reinheit, Qualität, Menge und mit dem richtigen Druck erzeugen. Linde gehe als Konzern auch Joint Ventures für die Infrastruktur ein. In den USA hat Linde ein Pipelinenetz von über 1000 km mit einem Speicher in einem Salzstock betrieben. Für ein derartiges Projekt wäre laut Haslinger insbesondere Oberösterreich prädestiniert – vom Chemiedreieck Burghausen bis Linz, Heimat von potenziellen Großabnehmern wie dem Stahlkonzern Voestalpine oder Österreichs größtem Einzelverbraucher von Erdgas, LAT Nitrogen. Die frühere Borealis-Düngemittelsparte will zehn Prozent der Ammoniak-Produktion umstellen und braucht allein dazu einen 60-MW-Elektrolyseur. „Ich glaube, es gibt in Europa kaum eine Gegend, die besser geeignet wäre“, ist Haslinger überzeugt. Für die Investition von Hunderten Millionen brauche es jedoch eine Anschubfinanzierung und langfristige Abnahmeverträge.

Die zersplitterte Fördersituation in Österreich habe sich durch das Wasserstofffördergesetz und den Fokus auf die EU-Hydrogen-Bank verbessert. „Die Frage ist, preist sich Europa mit dieser ganzen Strategie nicht überhaupt raus?“, warnt der Linde-Österreich-Chef. Amerika bleibe bei grauem (Erdgas) und blauem (mit Erdgas und CO2-Abscheidung) Wasserstoff. Der arabische Raum setze auf blauen Wasserstoff, habe aber auch genügend Sonne und riesige Speicher in alten Gas- und Ölfeldern für den grünen Wasserstoff. Europa könne derzeit nicht mithalten, denn grüner Wasserstoff sei hier „um den Faktor vier bis fünf teurer“ – und Förderung unbezahlbar.

In der nächsten Zukunft brauche es „viel mehr Drive und Pragmatismus“ beim Umgang mit Wasserstoff, so Haslinger. „Man darf auch wieder mal auf die Industrie hören.“ In der bisherigen Regierung standen die Grünen bei den Einsatzmöglichkeiten für Wasserstoff auf der Bremse, weil bei der Erzeugung Unmengen an Strom benötigt werden.
Nach Ansicht des Managers ist Österreich mit seinen Wasserstoffprojekten und Versuchsanlagen im europäischen Vergleich durchaus weit vorn. Beim Feldtest zur Beimischung von Wasserstoff im Gaskraftwerk Donaustadt der Wien Energie ist Linde dabei, ebenso wie bei der Betankung von Wasserstoffbussen in Kärnten. „Wir haben klein und fein gestartet“, sagt Haslinger, „während andere diskutieren, setzen wir bereits konkrete Projekte um.“ Deutschland könne seine Ideen nur „besser verkaufen“ und auch die Milliardenprojekte von Ländern wie Saudi-Arabien würden noch dauern. „Ich glaube, dass wir hier fast am weitesten sind, auch technologisch.“

Für Wasserstoffproduktion in Österreich spricht seiner Ansicht nach der hohe Anteil an Strom aus erneuerbarer Energie. Denn ab 2028 gilt Wasserstoff in der EU nur dann als CO2-frei, wenn für die Stromversorgung der Elektrolyse neue, zusätzliche Wind- oder Solarparks errichtet werden – außer, ein Land hat mehr als 90 Prozent Ökostrom-Anteil. Ein Wert, den Österreich voriges Jahr wegen der guten Wetterbedingungen für Wasser und Windkraft und des konjunkturbedingt geringeren Verbrauchs der Industrie als eines der wenigen Länder erreicht hat.

von Monika Graf

Salzburger Nachrichten