Autokrise: Brüssel lenkt ein

7. März 2025

Mehr Spielraum bei CO2-Grenzwerten und neue Fördermittel sollen die Hersteller wieder auf die Überholspur bringen.
Thomas Sendlhofer Brüssel. Rückläufige Absatzzahlen, Werksschließungen, Sparmaßnahmen, dazu der Konkurrenzdruck durch wesentlich günstigere Elektroautos aus China und Zolldrohungen von US-Präsident Donald Trump: Die europäische Automobilindustrie hat zuletzt starken Gegenwind verspürt. Weiter getrübt wurden die Aussichten durch mögliche Strafzahlungen in Milliardenhöhe, weil die von der EU für 2025 geforderten Grenzwerte für den CO2-Ausstoß der neu zugelassenen Wagenflotte für viele Hersteller außer Reichweite geraten sind. Ein Grund dafür ist die eingebrochene Nachfrage nach E-Autos.

Die EU-Kommission kommt nun der angeschlagenen Branche entgegen. Bußgelder sollen auf Geheiß von Präsidentin Ursula von der Leyen kein Thema sein, zumindest vorerst. Sie will die Abgasvorschriften aufweichen. Dafür ist eine Gesetzesänderung nötig, der die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament zustimmen müssen: Die Hersteller sollen demnach nicht im laufenden Jahr die geforderten Grenzwerte erreichen müssen, sondern in einem dreijährigen Zeitraum bis 2027. „So könnten sie Defizite in ein oder zwei Jahren mit Überschüssen in anderen Jahren ausgleichen, während das Gesamtziel für 2025 erhalten bleibt“, teilte die Kommission am Mittwoch mit.

Das sieht derzeit bei Neuwagen eine Reduktion des durchschnittlichen CO2-Ausstoßes von 115 Gramm pro Kilometer auf 93,6 Gramm vor. 2030 sinkt der Grenzwert auf 49,5 Gramm. Ab 2035 sollen dann keine Pkw mehr auf den europäischen Markt kommen, die zusätzliche Treibhausgase verursachen. „An diesen Zielen halten wir fest“, bekräftigte Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas.

Um die Vorgaben zu erreichen, will die Kommission die Nachfrage nach Elektroautos steigern, die derzeit rund 15 Prozent des EU-weiten Absatzes ausmachen. Dafür sieht sie die EU-Staaten in der Pflicht: Diese könnten Anreize setzen in Form von Steuererleichterungen beim Umstieg auf elektrisch betriebene Fahrzeuge. Das gilt vor allem für die Unternehmensflotten, die rund 60 Prozent der Neuzulassungen in der EU ausmachen. „Zudem könnte dieser Ansatz gegenüber direkten Kaufzuschüssen den Vorteil bieten, die öffentlichen Haushalte weniger zu belasten, da bestehende steuerliche Maßnahmen gezielter zugunsten von emissionsfreien Fahrzeugen genutzt werden könnten“, so die Empfehlung aus Brüssel.

Während Porsche angekündigt hat, künftig wieder stärker auf Autos mit Verbrennungsmotor zu setzen, will die Kommission dafür sorgen, dass der Ausbau der Elektromobilität nicht auf der Strecke bleibt. 1,8 Milliarden Euro sollen bereitgestellt werden für die Sicherung von Rohstoffen, die es für die Produktion von Batterien braucht. Die Kommission will Verhandlungen mit Partnerländern fortsetzen, um Marktzugang und Beschaffungsmöglichkeiten für die Automobilindustrie zu verbessern.

Inwieweit Fahrzeuge, die mit aus erneuerbaren Energien hergestellten synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) angetrieben werden, dazu beitragen sollen, die Emissionsziele zu erreichen, ist noch nicht geklärt. Von der Leyen hat sich auf Druck aus ihrer Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP), in den politischen Leitlinien für ihre zweite Amtszeit dazu bekannt, dass ein „technologieneutraler Ansatz“ erforderlich sei, „bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden“. Diese Überprüfung soll statt 2026 bereits heuer stattfinden, kündigte Tzitzikostas an.

Die Kommission strebt an, die Entwicklung von vernetzten und autonomen Fahrzeugen mithilfe künstlicher Intelligenz auszubauen. Neben Förderungen sollen neue EU-Gesetze die Erprobung automatisierter Fahrsysteme und Fahrassistenzsysteme vor der Einführung auf öffentlichen Straßen erleichtern. „China und die USA sind vor uns und testen bereits die Vermarktung“, sagte der Kommissar.

Apropos China und USA: Die EU-Behörde will weiter auf Handelsschutzinstrumente wie Antisubventionsmaßnahmen setzen, um europäische Hersteller vor unfairem Wettbewerb zu schützen. Auf Importe von chinesischen E-Autos wurden deswegen im Vorjahr Ausgleichszölle von bis zu 35 Prozent verhängt. Umgekehrt hat Trump gedroht, dass Pkw aus EU-Produktion mit Aufschlägen belegt werden könnten – deutsche Autobauer überlegen als Reaktion darauf, ihre Produktionskapazitäten in den Vereinigten Staaten zu erhöhen.

Die Präsidentin des deutschen Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, bezeichnete die Ergebnisse des Dialogs, den die Branche mit der Kommission geführt hat, als „erste Schritte in die richtige Richtung“. Sie forderte eine zügige Umsetzung der angekündigten Maßnahmen. Politisch fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Der EU-Parlamentarier Jens Gieseke (CDU) sah „viele positive Elemente“, vermisste jedoch Klarheit bei der Überarbeitung des Verbrennerverbots, das die EVP lockern will. Auch bei den CO2-Reduktionszielen für Lkw seien Anpassungen nötig.

„Wenn wir nicht zeitnah handeln, droht in einigen Jahren eine Welle noch höherer Strafzahlungen, die die Branche in eine existenzbedrohende Krise stürzen könnte.“ Die grüne Europaabgeordnete Lena Schilling kritisierte hingegen einen „Kniefall vor der Autoindustrie“ und ein „Einknicken vor Lobbyinteressen“ zulasten des Klima- und Umweltschutzes.

Salzuburger Nachrichten