
Wien Energie gehört mit der OMV zu den größten heimischen Versorgern, die von russischem zu norwegischem Gas geswitcht sind. Ebendort könnte CO₂ auch verpresst werden.
Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat zu einer Neuordnung der Gasversorgung in Österreich geführt. Statt aus Russland wird der Löwenanteil des benötigten Gases nun über ein weitverzweigtes Netz aus Norwegen bezogen, ein Teil kommt per Pipeline aus Nordafrika, verflüssigtes Erdgas (LNG) auch aus den USA und anderen Weltgegenden.
Verglichen mit Ländern wie Deutschland oder Italien, die ebenfalls viel russisches Erdgas in ihrem Importmix hatten, wenn auch nie ganz so viel wie Österreich, war man hierzulande spät dran mit dem Ausstieg. Die OMV führte die Langfristverträge mit Russlands Gazprom ins Treffen, aus denen man nicht vorzeitig aussteigen könne, wie es lange Zeit geheißen hatte. Bis Gazprom selbst nach einem internationalen Schiedsgerichtsurteil zugunsten von OMV seine Lieferungen nach Österreich Ende 2024 einstellte. Die OMV hat diesen Ausfall durch selbst produziertes bzw. von Dritten zugekauftes Gas aus Norwegen ersetzt.
Wien Energie will mehr
Früher, nämlich 2022, hat Wien Energie, Österreichs größter städtischer Versorger, erstmals dezidiert nicht russisches Gas gekauft – eine Terawattstunde (TWh) in Algerien. In der Heizperiode 2023/24 wurden 30 Prozent des Gasbedarfs für die Fernwärme aus Norwegen bezogen, wie der Vorsitzende der Geschäftsführung von Wien Energie, Michael Strebl, bei einem Lokalaugenschein ebendort sagte. Seit 1. Jänner stammt sämtliches Gas, das in Wiener Haushalten, Kraftwerken oder für die Fernwärme benötigt wird, aus nicht russischen Quellen, zu über 80 Prozent aus Feldern vor der Küste Norwegens.
Weil es bei Gas anders als bei Strom kein Zertifikatesystem gibt, hat sich Wien Energie die nicht russische Herkunft mittels eidesstattlicher Erklärungen bestätigen lassen. Die Mehrkosten in Höhe von rund fünf Millionen Euro habe das Unternehmen geschluckt. Strebl: „Wir trachten, das Ganze zu verlängern.“ Bis spätestens Herbst sollten die Bezugsverträge für 2026 in trockenen Tüchern sein. Es gehe in Summe um zwölf bis 14 TWh Gas.
Am Plan, bis 2040 klimaneutral zu werden, hält man fest, auch wenn sich jede Menge offene Fragen auftun. Es beginnt damit, dass zunehmend Zweifel aufkommen, ob Europa im Allgemeinen und Österreich im Speziellen auf absehbare Zeit mit substanziell weniger Erdgas auskommen wird. Bei Rystad, einem auf Energie spezialisierten Analyseunternehmen in Oslo, hält man das für unrealistisch. „Gas wird noch lange wichtig bleiben“, sagt Vegard Wiik Vollset, Chef des Bereichs Renewables & Power. Gerade in Zeiten der Dunkelflaute, wenn kein Wind weht, keine Sonne scheint und möglicherweise auch die Wasserführung schlecht ist, seien rasch aktivierbare Gaskraftwerke das Um und Auf.
Gleichzeitig scheint aber grüner, mittels erneuerbarer Energien erzeugter Wasserstoff noch für lange Zeit teuer zu bleiben und nicht in der erforderlichen Menge verfügbar zu sein. Auch das könnte Wien Energie zu schaffen machen, die mit schrittweisem Ersatz von Gas durch grünen Wasserstoff ihre Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen CO₂-frei bekommen möchte. Ein Ausweg wäre Carbon Capture and Storage (CCS). Darunter versteht man die Abscheidung von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO₂) und die Verpressung desselben in ausgeförderten Lagerstätten. Noch ist CCS in Österreich anders als etwa in Norwegen verboten. Norwegen hat jahrzehntelange Erfahrung damit und würde abgetrenntes CO₂ in Gesteinsschichten tief unter dem Meeresboden speichern. Es wäre für das Land, das mit dem Verkauf von Öl und Gas reich geworden ist, eine zusätzliche Einnahmequelle.
Kapazitätsmarkt
Wien Energie beschäftigt noch eine andere Sache: Die meisten Gaskraftwerke kommen an ihr Lebensende. Es sei Zeit, eine Diskussion zu beginnen, wie Bau und Betrieb solcher Kraftwerke finanziert werden können, meint Strebl. Er favorisiert ein Kapazitätsmarktmodell, bei dem die Vorhaltung von Leistung bezahlt wird. Andernfalls sei das Risiko zu groß, dass das Geld für die hunderte Millionen Euro, die ein neuer Kraftwerksblock koste, nicht mehr zurückverdient werden könne.
Die Reise nach Norwegen erfolgte auf Einladung von Wien Energie.
Der Standard