
Spezielles Saatgut könnte Klimaschutz und Landwirtschaft neu verbinden. Rückenwind für die Innovation gibt es neben der Agrarlobby von Bayer und dem US-Präsidenten.
In einem Gewächshaus nordwestlich der amerikanischen Großstadt St. Louis wächst der Kraftstoff der Zukunft. Hier hat das Agrarunternehmen Covercress seinen Sitz und tüftelt an Pflanzen der besonderen Art. Aus Hunderten kleinen Töpfen ragen grüne Gewächse hervor, die goldfarbene Samen tragen. „In diesem Frühjahr wurden bereits 2400 Hektar geerntet“, sagt Firmenchef Jim Hedges.
Die Züchtung ist eine Innovation: Die Samen der Pflanze, die genau wie das Unternehmen „Covercress“ heißt, tragen nicht nur besonders viel Öl. Sie wachsen auch zu einer Jahreszeit, in der die Felder sonst brachliegen. Den Landwirten winkt dadurch ein großes Zusatzgeschäft. Zu Biodiesel verarbeitet, können damit Flugzeuge, Schiffe oder Lkw betankt werden.
Kraftstoff aus nachwachsenden Rohstoffen statt aus klimaschädlichem Erdöl – das soll den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich reduzieren. Noch stehen die sogenannten Biofuels am Anfang. Doch Innovationen machen der Industrie neue Hoffnung. In den USA könnte außerdem ausgerechnet Präsident Donald Trump die Produktion der umweltfreundlicheren Kraftstoffalternativen antreiben – allerdings mit einer Konsequenz.
Noch machen Biokraftstoffe nur einen kleinen Teil im Verkehrssektor aus, wie aus einer aktuellen Analyse der Denkfabrik Future Cleantech Architects (FCA) hervorgeht. Im Jahr 2023 belief sich die weltweite Produktion von Biokraftstoffen demnach auf etwa 200 Millionen Tonnen, was knapp fünf Prozent des gesamten Energieverbrauchs im Straßenverkehr entspricht.
Daneben konzentriert sich die Produktion von Biofuels vor allem auf zwei Arten. Etwa 65 Prozent der Gesamtmenge ist Bioethanol. Dieser wird durch die Gärung von Zucker aus Pflanzen wie Mais oder Zuckerrohr mithilfe von Hefe hergestellt. Allein auf die USA entfällt mehr als die Hälfte der weltweiten Produktion, hauptsächlich aus Mais. Biodiesel macht weitere 30 Prozent aus, hergestellt durch die Umwandlung von Pflanzenöl aus Raps, Sojabohnen oder Sonnenblumen, aber auch gebrauchten Speiseölen mithilfe von Methanol.
Biokraftstoff aus Deckfrüchten oder Forstabfällen
Experten sehen in den alternativen Brennstoffen eine große Chance. „Biokraftstoffe haben das Potenzial, den Treibhausgasausstoß in wichtigen Industriesparten signifikant zu reduzieren“, sagt FCA-Analyst René Severens. Einsparungen von bis zu 90 Prozent seien möglich. Die Hoffnung schöpft sich auch aus jüngsten Innovationen: „Wir haben in den vergangenen Jahren viel Fortschritt gesehen im Bereich von Biokraftstoffen, die nicht aus Nutzpflanzen gewonnen werden, sondern etwa aus zellulosem Material oder Deckfrüchten“, sagt der FCA-Analyst. Covercress ist so eine Deckfrucht, ebenso lässt sich Kraftstoff inzwischen auch aus Forstabfällen gewinnen.
Ein Allheilmittel für Klimaneutralität seien die Biokraftstoffe aber nicht, betont Severens. „Nicht in allen Industriesparten, in denen der Einsatz von Biokraftstoffen möglich ist, ist er auch sinnvoll.“ Für den Straßen- und Güterverkehr sei die Elektrifizierung geeigneter, weil sie kostengünstiger sei. Laut dem US-Energieministerium kostete Biodiesel im Januar rund 1,10 Dollar je Liter im Vergleich zum Preis von 0,84 Dollar für herkömmlichen Diesel. Auch würde elektrifizierter Verkehr die Lärmbelastung und Luftverschmutzung reduzieren, sagt Severens.
Anders sei dies in der Luftfahrt: „Die derzeit verfügbaren Batterien und auch Wasserstofftanks reichen nicht aus, um Energie in einem Maße bereitzustellen, das mit Gewichts- und anderen Beschränkungen im Luftverkehr vereinbar wäre“, sagt Severens. Deshalb sollte die Luftfahrt für den Einsatz von knappen und teuren Biokraftstoffen priorisiert werden, rät der Experte.
Allerdings sind auch Biokraftstoffe nicht zwangsläufig klimaneutral, kritisieren Umweltverbände. „Bei der Feldarbeit mit Landmaschinen, bei der Stickstoffdüngung sowie der Herstellung von Mineraldünger entstehen große Mengen Klimagase“, heißt es etwa von Greenpeace. Die Weiterverarbeitung der Ernte zu Ethanol oder Biodiesel benötige nochmals viel Energie, also im Zweifel auch Strom aus fossiler Produktion.
Die Umweltschützer kritisieren daneben immer wieder, dass die Pflanzen für den Biokraftstoff den Anbau von Lebensmitteln verdrängen würden. In den USA zeigt sich das beim Mais: Zur Jahrtausendwende wurden gerade einmal acht Prozent der Ernte zu Bioethanol verarbeitet, inzwischen ist es fast die Hälfte.
Innovatoren wie Covercress-Chef Hedges wollen hierfür eine Lösung gefunden haben. Denn seine Pflanze konkurriert nicht mit dem Lebensmittelanbau. Sie zählt zu den sogenannten Zwischenfrüchten. Diese werden erst nach der Haupternte im Spätsommer ausgesät und sollen den Boden wieder mit Nährstoffen versorgen, bis dann im Frühjahr der nächste Hauptanbau ansteht.
Anders als bei den meisten Zwischenfrüchten können Landwirte die Ölsaaten von Covercress nun zusätzlich zu Geld machen. Fünf Kilogramm der Pflanzensamen werfen einen Liter wertvolles Öl ab. Das biete „Flexibilität bei der Ernte“ ohne nennenswerte Ertragseinbußen, schwärmt Hedges.
Längst sind auch große Konzerne auf das Potenzial aufmerksam geworden. Der deutsche Chemie- und Agrarkonzern Bayer ist Mehrheitseigner bei Covercress, auch der Agrarkonzern Bunge und der Ölgigant Chevron sind am Unternehmen beteiligt. Der Bedarf an nachhaltigen Kraftstoffen könne „ohne innovative landwirtschaftliche Lösungen und neue Nutzpflanzen nicht gedeckt werden“, sagt Frank Terhorst, Nachhaltigkeitschef der Bayer-Agrarsparte.
Covercress ist dabei nicht die einzige Wette, die der Konzern eingegangen ist. Im Januar hat Bayer eine strategische Partnerschaft mit Neste geschlossen, einem finnischen Hersteller von erneuerbaren Kraftstoffen. Beginnend in den südlichen Great Plains, der Prärie östlich der Rocky Mountains, wollen beide nun den Anbau von Winterraps vorantreiben.
Daneben hat Bayer zuletzt in das Geschäft mit Leindotter investiert, einer weiteren vielversprechenden alternativen Ölpflanze. Zusammen mit der Ausweitung des Winterrapsanbaus in den USA sowie Covercress sieht der Konzern in dem Segment Potenzial für bis zu 400 Millionen Euro Nettoumsatz bis 2034.
Noch stehen die neuartigen Pflanzen erst am Anfang der Kommerzialisierung. Covercress hat bislang mit ausgewählten Farmern im Mittleren Westen zusammengearbeitet und will in diesem Herbst mit dem Vertrieb von pflanzfertigem Saatgut beginnen. Die Markteinführung seiner hybriden Winterrapssorte plant Bayer für das Jahr 2027.
Trump lockert Spielregeln für Biokraftstoff-Produktion
Experten wie David Zilberman sind deshalb noch nicht vollends von den neuen Rohstoffquellen überzeugt. „Sie werden irgendwann funktionieren, aber es wird Zeit brauchen“, sagt der Agrarökonom der University of California in Berkeley dem Handelsblatt. Zilberman spricht sich stattdessen für mehr Gentechnik aus, um den Ertrag von Pflanzen zu steigern – und damit die Preise zu senken. Doch die Regulierungen in Europa und anderen Ländern würden das verhindern. Bislang sind die Äcker in der EU weitgehend frei von gentechnisch veränderten Pflanzen.
Im März hat sich jedoch eine Mehrheit der EU-Länder dafür ausgesprochen, die Hürden für die Erforschung und den Verkauf von genetisch veränderten Pflanzen zu senken. Denn die moderne Gentechnik wie die sogenannte „Genschere“ Crispr-Cas bietet präzisere Eingriffe als die klassische Biotechnik.
Auch unter US-Präsident Trump dürften Biofuels eine vielversprechende Zukunft haben. Das große Haushaltsgesetz, das derzeit vom US-Senat verhandelt wird, sieht sogar eine Ausweitung der Steueranreize für nachhaltigen Kraftstoff vor. Die sogenannten Clean Fuel Production Credits – das sind Gutschriften für Biokraftstoffe pro Gallone – würden eigentlich 2027 auslaufen. Nun soll die Maßnahme bis 2031 verlängert werden.
Allerdings ist die US-Regierung dabei, die Spielregeln für Biofuels zu verändern, weiß Leslie Abrahams. „Die Methode zur Berechnung der Gesamtemissionen für Biokraftstoffe wurde geändert“, sagt die stellvertretende Direktorin für Energiesicherheit und Klimawandel am Center for Strategic and International Studies dem Handelsblatt.
Konkret soll die indirekte Landnutzung künftig nicht mehr einbezogen werden, erklärt Abrahams. Gemeint sind die Folgen der Umwandlung von Flächen für die Produktion von Biokraftstoff, die zu höherem Ausstoß von Treibhausgasen führen können. Mancherorts werden etwa Wälder gerodet, um Flächen für den Anbau zu gewinnen.
Covercress will Anbaufläche verdoppeln
„Ohne die Berechnung der indirekten Landnutzung sieht es so aus, als ob Biokraftstoffe viel besser für die Umwelt seien“, sagt Abrahams. Die Expertin sieht den Grund vor allem in der starken Agrarlobby, die stets gute Beziehungen zu Trump pflegte. „Insbesondere solche Biokraftstoffe, die unter Berücksichtigung der Landnutzung weniger Umweltvorteile haben, wie beispielsweise Maisethanol, treiben die Maisproduktion in die Höhe“, so Abrahams. Gleichzeitig würden durch die geplante Änderung mehr Arten von Kraftstoffen für die Steuergutschriften infrage kommen. Und nicht zuletzt hat Trump auch seine eigenen Farmer im Gesetz bedacht: Steuergutschriften gibt es künftig nur noch, wenn die Rohstoffe für die Produktion aus den USA, Kanada oder Mexiko stammen.
Bei Covercress in St. Louis sieht sich Jim Hedges auf einem guten Weg. „Die Landwirte haben in den vergangenen Jahren großes Interesse gezeigt, und wir sehen erhebliche Wachstumschancen“, sagt er. Für das kommende Jahr hat sich der Unternehmer ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: eine Verdoppelung der Anbaufläche auf rund 5000 Hektar.
ZITATE FAKTEN MEINUNGEN
1,10 Dollar kostete ein Liter Biodiesel in den USA im Januar. Herkömmlicher Diesel lag bei 84 Cent. Quelle: US-Energieministerium Greentech Serie „Diese grünen Ideen könnten die Welt verändern“: Von Wellenkraftwerken, CO2-freiem Zement und Solaranlagen im Weltraum bis zu energiespendenden Algenarten. Wir stellen einige der interessantesten Innovationen vor. Wissenschaftlich begleitet wird die Serie von dem unabhängigen Thinktank Future Cleantech Architects.
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