Die Chefin der Wettbewerbsbehörde spricht über Monopole im Energiebereich, hohe Preise für Konsumenten und den Reiz an Kartellen.
Marco RIebler Salzburg. Die oberste Wettbewerbshüterin der Republik, Natalie Harsdorf, wuchs in Salzburg auf. In dieser Woche referierte die Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) vor Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Salzburg und sensibilisierte diese für saubere Ausschreibungsverfahren. Im Anschluss daran nahm sich die Juristin Zeit für ein Gespräch.
Die Energiepreise für Strom und Gas explodierten zuletzt. Die Landschaft der Energieversorger ist konzentriert. Muss die Wettbewerbsbehörde nicht viel stärker eingreifen, damit die Preise sinken? Es handelt sich um ein spezifisches Produkt und daher ist das nicht so einfach. Energie ist ein homogenes Produkt. Strom ist Strom. Endverbraucher und Unternehmer sind darauf angewiesen. Wenn in anderen Märkten die Preise steigen, werden die Produkte halt nicht mehr gekauft. Das geht am Energiemarkt nicht. Was ist nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine am Energiemarkt aus Ihrer Sicht passiert? Die regionalen Energieversorger haben sich auf die Kernmärkte zurückgezogen.
Marktteilnehmer haben das Feld verlassen, was den Wechsel des Energielieferanten erschwerte. Kundinnen und Kunden mussten das nehmen, was von Energieversorgern angeboten wurde. So sieht Wettbewerb eben nicht aus. Handelt es sich nicht schlichtweg um ein Marktversagen? Die große Sorge ist, dass der Wettbewerb nicht auf das Niveau vor der Energiekrise zurückgeht. Es muss daher mehr Wettbewerbsdruck am Energiemarkt geben, damit die Preise und Konditionen für die Kundinnen und Kunden günstiger werden. Wie kann dieser Druck entstehen? Ein erster Schritt wäre, Transparenz für die Haushalte und Unternehmen zu schaffen. Eine Taskforce aus BWB und E-Control nennt als Kernpunkt eine verpflichtende monatliche Abrechnung für die Strom- und Gasverbraucher. Dann würden diese, ähnlich wie bei Handytarifen, sehen, was an Kosten anfällt. Wenn die Monatsrechnung hoch ist, ist das auch ein Alarmsignal und die böse Überraschung kommt nicht mehr mit der Halbjahres- oder Quartalsabrechnung. Im Moment müssen Kundinnen und Kunden das aber proaktiv bei den Energieversorgern einfordern. Es braucht daher eine gesetzliche Grundlage.
Zusammengefasst ist Ihr Ziel, dass mehr Kunden von Energieversorgern den Anbieter wechseln, damit Wettbewerb entsteht? Wir sehen, dass 50 Prozent noch nie den Anbieter gewechselt haben. Im Vergleich dazu steht der Lebensmitteleinkauf: Wie viele Kundinnen und Kunden kaufen seit Jahrzehnten ausschließlich bei einer Supermarktkette ein? Niemand. Jeder vergleicht. Die Loyalität zu Energieversorgern erhöht nicht deren Wettbewerbsdruck und lässt die Preise auch nicht sinken.
Die liberalisierten Energieversorger gehören doch vielfach der öffentlichen Hand. Ist das ein Problem? Wettbewerbsrechtlich werden die Unternehmen gleich behandelt. Was aus unserer Sicht den Wettbewerb hemmt, ist, dass es viele Kreuzbeteiligungen bei den Energieversorgern gibt. Heißt, dass der eine Landesenergieversorger am anderen beteiligt ist. Um es mit dem gesunden Menschenverstand zu erklären: Energieversorger tun sich gegenseitig nicht weh.Im Moment prüfen Sie die Fernwärmelieferanten und haben eine neue gesetzliche Möglichkeit, gegen Missbräuche vorzugehen. Gibt es schon Ergebnisse? Die meisten Beschwerden sind auf überhöhte Preise bezogen und haben die Untersuchung auch eingeleitet. Bei der Fernwärme gibt es viele regionale, natürliche Monopole – ohne gesetzliche Regulierung. Es ist daher nicht ersichtlich, wo überhaupt ein Wettbewerb stattfindet. Es besteht eine Abhängigkeit der Kundinnen und Kunden. Es gibt zwar Bestrebungen, auch von den Fernwärmelieferanten Regeln in Form von Compliance zu definieren, damit Transparenz entsteht. Eine Art Fairness-Codex, der gesetzliche Grundlagen enthält. Der Verband der Fernwärmeunternehmen hat 400 Mitglieder. Den Codex haben aber nur 19 Unternehmen der Fernwärmewirtschaft unterzeichnet.
Zeigt uns das Beispiel auf den heimischen Energiemärkten nicht, dass eine Verstaatlichung in für die Gesellschaft wichtigen Bereichen sinnvoll wäre? Wir haben uns in Europa für das Modell der freien Marktwirtschaft entschieden. Das Gegenmodell wäre, dass der Staat bestimmt, wer auf welchen Märkten agiert und erfolgreich sein darf. Das war historisch von wenig Erfolg geprägt. Das Prinzip Wettbewerb bringt am Ende das beste Ergebnis. Das innovative Unternehmen mit dem besten Angebot gewinnt eine Kundin oder einen Kunden. Nur weil Unternehmen verstaatlicht sind, heißt es nämlich nicht, dass die Kosten für den Staatsbürger geringer sind. Die Kosten sind halt ein Teil des Gesamtbudgets des Staates und daher weniger transparent. Die Liberalisierung hat sich bewährt. Aber: Die erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt haben ein extrem strenges Wettbewerbsrecht.
Und ein staatliches Eingreifen bei einem Marktversagen ist dienlich? Es muss sicherlich immer wieder regulatorisch in Märkte eingegriffen werden, wenn ein Marktversagen auftritt. Das ist vor allem bei früheren staatlichen Monopolen (Post, Energie, Bahn, Anm.) der Fall.
Fördern Krisen Preisabsprachen und Kartelle? Sie können einerseits Kartelle auflösen, da mehr Druck in den Wettbewerb führen kann. Andererseits kann der Preisdruck zur Bildung von Kartellen führen. Wachsam muss man in Krisenzeiten dort sein, wo viel öffentliches Geld in die Hand genommen wird. Vor allem Ausschreibungen für große Beschaffungen sind anfällig für Kartellbildungen. Wie genau gehen Sie in Salzburg vor, um an Informationen über mögliche Preisabsprachen zu kommen? Wir sind nur erfolgreich, wenn wir Hinweise von Menschen aus den Märkten bekommen. Hinweise sind vor allem auch aus der öffentlichen Verwaltung heraus relevant. Wir arbeiten daher nun verstärkt mit dem Landesrechnungshof zusammen. Dieser prüft, was auf Landesebene passiert, und kann Hinweise an uns weitergeben. Das kann zu Ermittlungsschritten führen.Ist das Recht, gegen Kartelle und Preisabsprachen in Österreich vorzugehen, aber nicht trotzdem zu milde? Die USA sind als Wiege des modernen Kartellrechts zu bezeichnen. Es gibt viel schärfere Strafen, wenn Kartelle gebildet werden, mit hohen Haftstrafen bei Beteiligungen. Das haben wir so in Europa nicht. Aber: Auch in den USA gibt es weiterhin Kartelle.
Warum ist es weiterhin so reizvoll, Kartelle zu bilden und Preisabsprachen zu machen? Es ist betriebswirtschaftlich reizvoll. Kurzfristig können die Margen und Profite erhöht werden. Kartelle wird man nie verhindern können, aber zumindest eine hemmende Wirkung erzielen als Wettbewerbsbehörde. Teil einer fairen Marktwirtschaft ist der Wettbewerb. Kartelle können auch dazu führen, dass Märkte für neue Unternehmen verschlossen werden.
Sind Sie als Wettbewerbshüterin nicht vor allem gegenüber den großen internationalen Technologieriesen (Amazon, Facebook und Co.) machtlos? In diese Märkte muss verschärft eingegriffen werden. Es geht um das Interesse der Bürgerinnen und Bürger und auch um den Schutz von deren Daten. Die Wettbewerbsbehörden in Europa sind sehr gut vernetzt. Auf Ersuchen der BWB haben schon Hausdurchsuchungen in den Niederlanden, Portugal und Frankreich stattgefunden. Wir haben gemeinsam mit dem Bundeskartellamt in Deutschland Ermittlungen gegen Amazon aufgenommen. Das Unternehmen hat noch vor Abschluss die Geschäftsbedingungen weltweit geändert, auch für die österreichischen Händler. Es ist aber klar, die großen Verfahren müssen in Brüssel geführt werden. Sie betreffen alle Mitgliedsländer. Auf lokaler Ebene sind Sie auf Kronzeugen und Whistleblower angewiesen. Wo liegt im Moment die größte Gefahr von Kartellen und Preisabsprachen in Österreich? Von der Dimension her war sicher das Baukartell, das zu Rekordstrafen geführt hat, der größte Fall. Es hat über eine lange Zeit sehr gut funktioniert und ist erst 2017 bei uns aufgeschlagen. Wir müssen aber ehrlich sein. Für ein Kartell, das aufschlägt, schlagen zehn nicht auf.
Persönlich gesprochen. Was treibt Sie an, Wettbewerbshüterin zu sein? Das Tätigwerden der Wettbewerbsbehörde wirkt sich positiv auf die Menschen und die Wirtschaft aus. Das Handeln stärkt den Wohlstand und bringt schlussendlich Armutsbekämpfung mit sich. Wettbewerb bestimmt, was der Verbraucher für sein Leben bezahlt. Das ist meine Motivation und mein Antrieb.
Die Presse