95 Prozent der Produktionsfirmen sind laut der Global Oil & Gas Exit List der Umweltorganisation Urgewald weiter auf Expansionskurs. Die österreichische OMV ist mit Neptun Deep vorn dabei.
Die weltweite Öl- und Gasproduktion hat nach dem Corona-bedingten Einbruch ab 2020 und den Folgejahren neue Höchststände erreicht. Mit 55,5 Milliarden Fass (je 159 Liter) Öläquivalent (bboe) sind im Vorjahr rund um den Erdball so viele Kohlenwasserstoffe aus dem Boden geholt worden wie noch nie. Das geht aus der am Dienstag veröffentlichten Global Oil & Gas Exit List (Gogel) hervor – einer Datenbank, in der die deutsche Umweltschutzorganisation Urgewald seit etlichen Jahren schon die Aktivitäten der globalen Öl- und Gasindustrie festhält.
„Dieser Negativrekord ist alarmierend. Wenn wir die fossile Expansion nicht aufhalten und keinen kontrollierten Produktionsrückgang einleiten, wird das 1,5-Grad-Limit unerreichbar. Hier müssen wir bei den Klimaverhandlungen in Baku vorankommen“, sagt der Leiter der Öl- und Gasrecherche bei Urgewald, Nils Bartsch.
Das 1,5-Grad-Ziel geht auf die Weltklimakonferenz 2015 in Paris zurück, bei der sich die Staatengemeinschaft darauf verständigt hat, den Anstieg der Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit unter diesem Limit zu halten. 1,5 Grad deshalb, weil ein höherer durchschnittlicher Temperaturanstieg unabsehbare, jedenfalls kaum bewältigbare Folgen für das Leben auf dem Planeten haben würde. Laut Daten des EU-Klimadienstes Copernicus lag die weltweite Durchschnittstemperatur erstmals in einer Zwölfmonatsperiode (Februar 2023 bis Jänner 2024) mit 1,52 Grad darüber.
Neptun Deep
Die von Urgewald geführte Liste umfasst insgesamt 1769 Unternehmen, darunter auch OMV Petrom. Der teilstaatliche Konzern treibt mit Neptun Deep vor der Küste Rumäniens zusammen mit Hälftepartner Romgaz derzeit eines der größten Gasförderprojekte in Europa voran. Erstes Gas aus dem Feld tief unterhalb des Schwarzen Meeres soll 2027 fließen, mit entsprechend starker CO₂-Belastung über das Jahr 2060 hinaus, wie die Umweltschutzorganisation moniert.
Rund 95 Prozent der gelisteten Unternehmen, die ihrerseits für rund 95 Prozent der weltweiten Öl- und Gasproduktion verantwortlich zeichnen, befinden sich weiter auf Expansionskurs, schreibt Urgewald. 578 Förderunternehmen arbeiteten aktuell daran, knapp 240 Milliarden Fass Öläquivalent aus bisher unerschlossenen Feldern in Produktion zu bringen. Einige der Felder, die derzeit erschlossen werden, wie beispielsweise das Willow-Projekt von Conoco-Phillips in Alaska mit einem Volumen von 600 Millionen Fass, könnten noch über das Jahr 2100 hinaus Öl produzieren.
Die sieben Unternehmen mit den größten kurzfristigen Expansionsplänen sind laut Gogel Saudi Aramco (19,6 bboe), Quatar Energy (17,8 bboe), die an OMV beteiligte Adnoc (9,5 bboe), Exxon-Mobil und Gazprom (beide 9,4 bboe), Total Energies und Petrobras (beide 8,0 bboe). Fast zwei Drittel dieser kurzfristigen Expansionspläne überschreiten demnach den Fahrplan der Internationalen Energieagentur (IEA) für Netto-Null-Emissionen bis 2050.
Bei verflüssigtem Erdgas (Liquified Natural Gas; LNG), das durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine gerade in der EU als Ersatz für Pipelinegas an Wichtigkeit gewonnen hat, drohten Überkapazitäten bei der Infrastruktur, schreibt Urgewald. Allein in Europa planen demnach Unternehmen den Ausbau von LNG-Importterminals, der die bestehenden Kapazitäten von 209 Millionen Tonnen pro Jahr (Mtpa) um 68 Prozent steigern würde.
Überkapazitäten
Die Unternehmen mit den größten Ausbauplänen sind laut Gogel die an Gas Connect Austria beteiligte Snam mit Sitz in Italien (9,8 Mtpa), die Deutsche Energy Terminal (9,6 Mtpa), Tree Energy Solution (7,7 Mtpa) aus Belgien, GRTgaz (6,2 Mtpa) mit Sitz in Frankreich sowie das US-Unternehmen New Fortress Energy (6,1 Mtpa).
Die Expansionspläne der Unternehmen stünden in starkem Widerspruch zu einem Nachfragerückgang für LNG, der unter anderem vom Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA), einem Thinktank mit Sitz in den USA, spätestens für das Jahr 2025 prognostiziert wird. Zuletzt lag die durchschnittliche Nutzungsrate bestehender LNG-Importterminals in Europa bei weniger als 60 Prozent.
Der Standard