
Immer öfter werden Kraftwerke gedrosselt oder hochgefahren, um ein Blackout zu vermeiden. Das kostet Geld und verschwendet Strom. Was lässt sich dagegen unternehmen?
Lange ist es her, dass Österreich das letzte Mal mehr Strom exportierte, als es ins Land schleuste. Im vergangenen Jahr war es nach 15 Jahren wieder so weit. Die Wasserkraft lief auf Hochtouren, der PV-Boom tat sein Übriges. So positiv die hohen Stromerträge auch sein mögen, so sehr fordern sie das heimische Stromnetz heraus. Denn Verbrauch und Produktion müssen sich ständig die Waage halten, sonst droht im schlimmsten Fall ein Blackout.
Engmaschig stimmen sich die europäischen Netzbetreiber deshalb ab, um die durch die Erneuerbaren schwankenden Stromflüsse optimal zu steuern. Wie viel werden die Kraftwerke einspeisen? Welcher Bedarf ist zu erwarten? Kommt es trotz aller Planung zu Engpässen im Stromnetz, müssen die Betreiber kurzfristig eingreifen. Im Vorjahr war das an 203 von 365 Tagen der Fall.
Für die Eingriffe zuständig ist die Verbund-Tochter Austrian Power Grid (APG), die das überregionale Übertragungsnetz organisiert. Passiert das an vielen Tagen im Jahr, ist das keine gute Nachricht. Doch seit geraumer Zeit muss immer öfter per Notfallmaßnahme eingegriffen werden, um das Netz zu stabilisieren. Kommen gewisse Stromleitungen an heißen Sommertagen etwa nicht mit dem enormen Ertrag der Wind- und Solarenergie zurecht, werden Kraftwerke vom Netz genommen und andere in der Nähe des Verbrauchs hochgefahren. Abhängig von der Region sind das oft teure Gaskraftwerke oder Pumpspeicher. Selbige sind es auch, die hochgefahren werden, wenn ein eingeplantes Kraftwerk ausfällt.
Betriebe stabilisieren Netz
Den Betreibern werden die Kosten in beiden Fällen ersetzt. Im Vorjahr flossen so 86,5 Millionen Euro, die letztlich der Stromkunde auf seiner Rechnung zu spüren bekommt – genauso wie höhere Börsenpreise, wenn teures Erdgas zur Bedarfsdeckung benötigt wird. Zugleich gehen Kraftwerke aktiv vom Netz, die ansonsten durchschnittlich 4783 Megawattstunden Strom monatlich erzeugen würden. Pro Monat wird also in etwa so viel Strom verschwendet, wie 1000 Vierpersonenhaushalte im Jahr verbrauchen.
Zusehends befinden sich deshalb Projekte in der Pipeline, die versuchen, Verbraucher an der Stabilisierung der Netze zu beteiligen. Bislang läuft diese ja vor allem über Auktionen an den kurzfristigen Strommärkten und Kraftwerksbetreiber, die notfalls einspringen. Das Potenzial aufseiten der Stromkunden wird nur sehr begrenzt angezapft. Wie es in der Industrie gelingen kann, wird aktuell vom Austrian Institute of Technology (AIT) erforscht. „Industry 4 Redispatch“ nennt sich das Projekt, bei dem Übertragungsnetzbetreiber APG ebenso an Bord ist wie regionale Verteilernetzbetreiber und Energieversorger, Universitäten sowie Industriebetriebe um Stahlhersteller Voestalpine, Verpackungsproduzent Mondi und Fleischverarbeiter Wiesbauer.
Flexible Stromspeicher
Kürzlich wurde eine großangelegte Testphase erfolgreich abgeschlossen, erzählt Tara Esterl dem STANDARD. Sie leitet das Projekt, beschäftigt sich am AIT vorrangig mit der Einbindung von Flexibilitäten in das Energiesystem. Über ein Portal zirkulieren die Stromdaten zwischen allen Beteiligten, vom Erzeuger bis zum Kunden, die so im ständigen Austausch miteinander stehen.
Stellt der Übertragungsnetzbetreiber in einer Region einen Engpass fest, kann er das Flexibilitätspotenzial vor Ort einsehen. Das könnte etwa ein Betrieb mit örtlichem Batteriespeicher, flexibler Produktion oder Großwärmepumpe sein. Tatsächlich hat die datengesteuerte Optimierung sogar zu Effizienzgewinnen geführt, sagt Esterl. Es ist also ein monetärer Vorteil daraus erwachsen – obwohl das nicht vorrangig beabsichtigt gewesen war.
„Flexibilitäten zu erschließen und effektiv in den Strommarkt einzubinden ist ein wichtiger Schlüssel für das Gelingen der Energiewende“, sagt Harald Köhler, Leiter der Abteilung für Systemmanagement der APG. Zwei Drittel des Stromverbrauchs gingen schließlich auf Industrie und Gewerbe zurück. Das allein werde das Netz aber nicht stabilisieren, ordnet er ein. Studien würden auf ein Flexibilitätspotenzial von „ein paar Hundert Megawatt“ (MW) verweisen. Esterl spricht etwas konkreter von 200 bis 500 MW. Das entspricht etwa dem monatlichen Zubau neuer PV-Anlagen.
Immer mehr Eingriffe nötig
An einem Ausbau der Netze samt großen Stromspeichern führt damit kein Weg vorbei; selbst wenn auch Haushalte flexibler werden und anderweitig Fortschritte verzeichnet werden. So können etwa innereuropäische Stromflüsse und Wettervorhersagen immer besser prognostiziert werden. Neben entlastenden Faktoren wie einer guten Wasserkrafterzeugung und einem rückläufigen Stromverbrauch hat das dazu geführt, dass die Zahl der Eingriffe zuletzt sogar rückläufig war. Seit 2017 hat sich die Anzahl jener Tage, an denen die APG kurzfristig eingreifen musste, von 309 auf 203 jährlich verringert.
Längerfristig zeigt die Trendkurve aber steil nach oben, auch künftig wird eher an mehr als weniger Tagen eingegriffen werden müssen, warnt APG-Netzexperte Köhler. Schließlich werden Erneuerbare im Gegensatz zu fossilen Kraftwerken nicht vorrangig in der Nähe der Verbraucher errichtet, sondern dort, wo die Sonne scheint und der Wind weht. Längere Transportwege sind die Folge, wofür einige der Netzabschnitte nicht ausgelegt sind.
„Wenn der Netz- mit dem Erneuerbaren-Ausbau Schritt hält, werden wir das gut bewältigen können“, argumentiert Köhler in Richtung der neuen Regierung. Im Regierungsprogramm von Schwarz-Rot-Pink befindet sich der Netzausbau samt Nutzung der „Verbrauchs- und Einspeiseflexibilität“ gleich mehrfach, wichtige Gesetze wie das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) sollen gar bis Sommer umgesetzt werden. Bleibt abzuwarten, ob es diesmal auch wirklich dazu kommt oder ob die Staubschicht auf den Vorhaben noch dicker wird.
Der Standard