
Grüner Wasserstoff. Mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert, kann Wasserstoff in der Energiewende eine wesentliche Rolle spielen.
In Österreich wird in allen schwer zu elektrifizierenden Bereichen grüner Wasserstoff zur Anwendung kommen“, so die Einschätzung von Jürgen Rechberger, Vizepräsident Wasserstoff und industrielle Energie des Grazer Forschungsunternehmens AVL. Zuallererst in jenen Industrieprozessen, in denen heute Erdgas verwendet wird, primär bei der Stahlproduktion wie auch in Raffinerien, bei Chemikalien, Kunststoffen und Düngemitteln, die derzeit einen hohen CO2-Abdruck haben. „Dieser kann mittels grünen Wasserstoffs stark reduziert werden,“ sagt Rechberger. Ein weiteres Einsatzgebiet sei die Mobilität, etwa bei Luftfahrt und Langstrecken-Lkw. Airbus entwickelt gerade zu 100 Prozent mit Wasserstoff betriebene Flugzeuge, die AVL im Bereich Brennstoffzelle unterstützt. „Diese Typen werden nur für die Kurzstrecke geeignet sein, Wasserstoff hat zu wenig Speicherdichte für Langstrecke“, schränkt Rechberger ein. Jedoch auch für die Langstrecke liege die Lösung im Wasserstoff, da daraus synthetisches, CO2-neutrales Kerosin hergestellt werden kann.
„Im Mobilitätsbereich ist Wasserstoff ein vielversprechender Treibstoff dort, wo die Elektromobilität an ihre Grenzen kommt, beispielsweise bei weiten Strecken mit schweren Lasten. Im Schwerlastverkehr hat ein Brennstoffzellenantrieb besonderes Potenzial. Ein Kilogramm Wasserstoff hat in etwa so viel Energie in sich wie drei Liter Benzin. Das heißt, ich kann viel Energie auf relativ wenig Platz und mit wenig Gewicht speichern, was für den Anwendungsbereich Schwerlastverkehr sehr vorteilhaft ist“, erklärt Wien-Energie-Sprecher Alexander Hoor. Wien Energie erzeugt in der ersten Wiener Wasserstoff-Erzeugungsanlage seit April vergangenen Jahres grünen Wasserstoff aus Ökostrom. Wasserstoff werde auch dort sinnvoll eingesetzt, wo bestehende fossile Gase nicht gut durch andere Technologien ersetzt werden können. In der Industrie betreffe das unter anderem auch die Zementindustrie, so Hoor.
Speicher für Ökostrom
Grüner Wasserstoff wird mithilfe von Elektrolyse produziert und per Pipeline oder Containerschiff transportiert. So kann Energie aus erneuerbaren Stromquellen wie Solar oder Wind gespeichert und dann wieder in Strom umgewandelt werden. Oder man kann aus dem Wasserstoff Ammoniak und synthetische Kraftstoffe herstellen, erklärt Marco Alverà, CEO und Mitbegründer des grünen Wasserstoff-Unternehmens TES und Autor des Buchs „The Hydrogen Revolution“. Europa befinde sich in einer Energiekrise, grüner Wasserstoff sei laut Alverà die Lösung dafür. Außerdem könne man die bereits vorhandenen Gaspipelines für grünen Wasserstoff verwenden. Allerdings verringert Wasserstoff die Dehnbarkeit der Pipelines und erhöht so die Gefahr von Rissen.
Effizienz und Kosten
Das ist nicht die einzige Hürde für grünen Wasserstoff. Dessen Produktionskosten sind derzeit noch relativ hoch. „Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagte Rechberger. „Die Kosten der Herstellung werden langfristig sinken.“ Ein weiteres Manko ist der Wirkungsgrad bei der Umwandlung von Strom zu Gas und dann wieder zurück zu Strom (Power-to-Gas-to-Power), der mit 30 bis 40 Prozent relativ niedrig ist.
Der jährliche Stromverbrauch beträgt in Österreich derzeit 70 Terrawattstunden (TWh), dieser werde sich bis 2040 im Zuge der Dekarbonisierung auf 140 TWh verdoppeln. Der Bedarf an grünem Wasserstoff werde sich demzufolge in dieser Zeitspanne auf das Vier- bis Fünffache steigern. In Österreich selbst gibt es zu wenig erneuerbaren Strom, um den nationalen Bedarf an grünem Wasserstoff langfristig zu decken, so Rechberger. „Bis zu 70 Prozent werden Importe sein.“ Nordafrika könne den gesamten Energieverbrauch Europas durch Solarstrom decken, so eine Vision.
Pipelines in Planung
Es gebe vier Korridore, mit dem Fokus auf Pipeline- anstatt Schiffstransport aus Kostengründen. In Planung sei eine Wasserstoffpipeline von Tunesien über Italien nach Österreich, diese soll 2030 in Betrieb genommen werden. Außerdem sei eine Verbindung über Marokko, Spanien und Frankreich geplant. Zwei weitere Routen umfassen die skandinavischen Länder und die Ukraine. „Die Ukraine verfügt über zahlreiche freie Flächen, die optimal für Wind- und Solaranlagen geeignet wären“, berichtet Rechberger. Derzeit sei Europa bezüglich Forschung und Know-how gut positioniert, es brauche jedoch „viel mehr Budget, um mit der Skalierung von China mithalten zu können“. Denn: Der asiatische Megastaat strebe laut chinesischem Regierungsprogramm an, Weltmarkführer im Bereich Wasserstoff zu werden.
von Alexandra Abaza
Die Presse