
Die neue Regierung will den Windkraftausbau beschleunigen. Die Novelle einer EU-Richtlinie schafft dafür Spielraum, sagt Anwalt Florian Berl. Seine Warnung: Wird dieser nicht genutzt, werden Windparks oft nicht mehr genehmigt werden.
Florian Berl ist Rechtsanwalt in Wien mit den Schwerpunkten erneuerbare Energie und Naturschutz. Er vertritt Windparkbetreiber in zahlreichen Genehmigungsverfahren in Österreich. Hier erklärt er, welche neuen rechtlichen Maßstäbe Österreich im Naturschutz aus seiner Sicht brauchen würde, um den Windkraftausbau schneller voranzutreiben.
Standard: Die Windkraftbranche will 150 neue Windräder pro Jahr bauen, damit Österreich den Strombedarf bis 2030 komplett mit erneuerbaren Energien decken kann. Bisher ging es nicht so schnell voran. Warum?
Berl: Das Kernproblem ist, dass es in Österreich bei Genehmigungsverfahren keine klaren wissenschaftlichen Standards und anerkannten Maßstäbe gibt. Da geht es um den Natur- und Artenschutz. Ich will betonen, dass mir der Schutz der Natur und der Tiere wichtig ist. Aber Windparkbetreiber haben in Österreich keine rechtlichen Grundlagen, durch die sie wissen, wie im Genehmigungsverfahren entschieden wird.
Standard: Aber es gibt doch die Naturschutzgesetze und Artenschutzverordnungen der Bundesländer.
Berl: Ja, aber die Behörde, die über Windkraftanlagen entscheidet, zieht Sachverständige bei, und jeder Sachverständige hat einen anderen Schwerpunkt und eine andere Sichtweise. Die Standards für die Genehmigung von Windkraftanlagen sind daher nicht nur innerhalb Österreichs unterschiedlich, sondern auch innerhalb einzelner Bundesländer.
Standard: Etwas überspitzt könnte man einwenden: Laut der Interessengemeinschaft (IG) Windkraft stehen inÖsterreich rund 1500 Windräder, es dürften also trotzdem viele Genehmigungen gelungen sein.
Berl: Stimmt. Es wurden allerdings zunächst Windparks in Gebieten gebaut, die naturschutzfachlich weniger Konfliktpotenzial haben. Dabei wurde immer schon auf den Naturschutz, insbesondere auf Vögel, geachtet. Ein Paradebeispiel ist die Großtrappe im Burgenland. Bisher wurden Windkraftanlagen allerdings vor allem in Gebieten geplant, wo man naturschutzfachlich noch vergleichsweise einfach eine Genehmigung bekommen konnte. Aber mit dem zunehmenden Ausbau der Windenergie wird es für neue Anlagen immer schwieriger. Die Windkraft steht bei neuen Projekten mit dem Rücken zur Wand.
Standard: In Deutschland gibt es ein Bundesnaturschutzgesetz. Wäre das ein Vorbild für Österreich, um mehr Klarheit zu schaffen?
Berl: Ja, verbindliche naturschutzrechtliche Vorgaben, wann ein Windpark eine Genehmigung bekommt, fehlen in Österreich. Ob man das wie in Deutschland mit einem Bundesgesetz regelt oder hier auf Landesebene macht, ist dabei nicht entscheidend. Meine Forderung geht aber deutlich weiter.
Standard: Was ist Ihre Forderung?
Berl: Im EU-Recht gibt es eine vielversprechende Novelle der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III, Anm.). Die eröffnet Österreich einen neuen Spielraum für den Windkraftausbau. Bis Februar 2026 sind sogenannte Beschleunigungsgebiete auszuweisen, und in denen kann man neue Spielregeln festlegen. Man könnte sagen: In diesen Beschleunigungsgebieten darf tatsächlich fix Windkraft errichtet werden, soweit im Gegenzug Artenschutzprogramme durchgeführt werden. Wenn ich derzeit zu einem Genehmigungsverfahren gehe, hat oft allein mein Ordner für die naturschutzfachliche Bewertung 300 Seiten. Bei Beschleunigungsgebieten mit klaren Regeln wäre dies alles hinfällig.
Standard: Wie realistisch ist das?
Berl: Davon sind wir derzeit offenbar noch meilenweit entfernt. Ich glaube, da fehlt in Österreich noch das Problembewusstsein. Bei den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen besteht die virulente Gefahr, dass für Windparks keine Genehmigungen mehr möglich sind. Die Adlerpopulationen entwickeln sich in Österreich übrigens positiv. Das ist extrem erfreulich, zugleich macht es den Ausbau der Windkraft noch schwieriger.
Standard: Von der IG Windkraft heißt es, derzeit müssen Windparkbetreiber für die Genehmigung ihrer Projekte den Schutz von Individuen, also von einzelnen Vögeln, nachweisen können. Die IG Windkraft fordert: Um den weiteren Ausbau der Windkraft zu beschleunigen, sollte der Fokus vom einzelnen Tier auf den Populationsschutz verlagert werden. Ein Windkraftbetreiber soll demnach anderswo mit Tierschutzprojekten einen Ausgleich schaffen. Wie sehen Sie das?
Berl: Ich sehe das genauso. Das ist auch ein Aspekt der Novellierung der EU-Richtlinie RED III. Derzeit sieht man sich im Zusammenhang mit dem sogenannten Tötungsverbot ein konkretes Tier an und schätzt dessen Tötungsrisiko, wie es das Gesetz vorgibt. Da geht es zum Beispiel um den Seeadler, Kaiseradler oder Rotmilan. Ich wünsche mir im Sinne der RED III, dass der Beurteilungsraum weiter gezogen wird.
Standard: Was würde das bringen?
Berl: Ich weiß als Projektbetreiber, aber auch als Umweltorganisation oder Behörde verlässlich, dass in einem gewissen Gebiet ein Windpark möglich ist. Im Gegenzug wird in anderen Gebieten zum Beispiel die Population des Kaiseradlers gefördert. Das müssen in diesen anderen Gebieten dann fundierte Artenschutzprogramme sein, die diesen Namen auch verdienen und für die natürlich auch Experten zugezogen werden.
Standard: Würde die Umsetzung der Forderung also bedeuten, dass an der einen Stelle, wo Windkraftanlagen entstehen, mehr Vögel, zum Beispiel Greifvögel, zu Tode kommen und dafür an anderer Stelle mehr Vögel geboren werden?
Berl: Ja, wobei man wissen muss: Wenn wir von einem Tötungsrisiko sprechen, sind das naturschutzfachliche Annahmen. Wenn Sie drei Biologen über das Tötungsrisiko von einem Rotmilan fragen, bekommen Sie sieben Antworten. Das heißt, auch der Individualschutz, den wir derzeit haben, fußt auf fachlich umstrittenen Annahmen. Wir sprechen auch jetzt über Risiken, nicht über Tötungen.
Standard: Aber wenn man vom Individualschutz des Tieres auf einen Populationsschutz umstellt und es ein höheres Tötungsrisiko gibt, wird sich das ja in konkreten Fällen niederschlagen, oder?
Berl: Natürlich, diese Annahme wird vermutlich zutreffen: Wenn man ornithologisch kritische Gebiete für Windkraft nutzt, wird es dort ein erhöhtes Tötungsrisiko für Vögel geben. Das muss man dann eben auch akzeptieren, wenn man die Energiewende vorantreiben möchte. Mein Ansatz wäre, dass wir uns als Gesellschaft in Zukunft darum kümmern, in anderen Regionen den Artenschutz umso stärker zu forcieren.
Standard: Eine Studie der deutschen Universität Hohenheim hat gezeigt, dass mehr als 20 Prozent der Amerikaner glauben, dass Windräder mehr CO₂ ausstoßen, als sie einsparen, sowie Dürren auslösen. Beides sind Falschbehauptungen. In Österreich ist die Zahl wohl kaum anders. VerzögernEinsprüche von Verschwörungsgläubigen Ihre Verfahren?
Berl: Mir begegnen in Genehmigungsverfahren diese und noch andere Kuriositäten. Das reicht vom Infraschall über die Kohlefaser der Rotorblätter, die vermeintlich die Umgebung verseucht, bis zum vermeintlich gefährlichen SF6-Gas in den Schaltanlagen. Weil sich diese Einwendungen wiederholen, haben wir aber mittlerweile Standardbeantwortungen dafür. Das kostet in den Verfahren praktisch keine Zeit.
Standard: Sie haben eine Anfechtung der Kärntner Volksbefragung zur Windkraft vor dem Verfassungsgerichtshof eingebracht. Am 12. Jänner hatten sich die Kärntner knapp für ein Verbot von weiteren Windkraftanlagen „auf Bergen und Almen“ ausgesprochen. Ihre Anfechtung kam erst danach, wäre es vorher nicht besser gewesen?
Berl: Ja, tatsächlich. Ich bin aber erst nach der Volksbefragung auf die Formulierung der Frage („Soll zum Schutz der Kärntner Natur (einschließlich des Landschaftsbildes) die Errichtung weiterer Windkraftanlagen auf Bergen und Almen inKärnten landesgesetzlich verboten werden?“, Anm.) und ihre Anfechtung angesprochen worden. Der Zeitpunkt danach hat leider den schalen Beigeschmack, dass es so aussieht, als gefalle mir nur das Ergebnis nicht. Es geht mir allerdings um die Fragestellung, und die ist wertend und manipulativ.
Florian Berl (41) ist Partner bei der Wiener Anwaltskanzlei Onz & Partner. Nach seiner HTL-Matura arbeitete er zunächst in der elterlichen Baufirma in Niederösterreich. Er ist Mitglied im Alpenverein und geht gern in die Berge.
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