„Sonnenstrom rentabler als Maisfeld“

14. Juli 2021

Quelle: Salzburger Nachrichten am 13.07.2021 (S. 14)

Umweltwissenschafter Ernst Ulrich von Weizsäcker fordert intelligente Ökosteuern mit sozialem Ausgleich, er hält die Klimaschutzziele Österreichs für machbar und er glaubt, dass die Verkehrswende auch mit Methanol-Autos erreichbar ist.


Er ist zwar schon 82 – aber immer noch eine mahnende Stimme gegen den Klimawandel: Der Physiker und Biologe Ernst Ulrich von Weizsäcker. Er war dieser Tage beim Expertentalk zum Thema „Green Deal – von der Kreislaufwirtschaft über Remanufacturing“ im makerspace der Salzburg Wohnbau zu Gast. Am Rande dessen gab er den SN ein Interview.

Der Klimavertrag von Paris wurde als Errungenschaft gefeiert, weil er erstmals Ziele enthält, für deren Nichterreichung es Sanktionen gibt. Aber geht er Ihnen weit genug? Weizsäcker: Schon die erste Lobpreisung stimmt nicht ganz. Die US-Amerikaner haben seit Ronald Reagan keinen internationalen Vertrag unterschrieben, der ihnen Verpflichtungen auftrug. Präsident Barack Obama durfte daher wegen des Kongresses nichts unterschreiben, was mehr ist als eine Selbstverpflichtung. Und zur zweiten Frage, ob die Ziele hoch genug sind: Da gab es schon 2019 eine Grafik im „Guardian“, in der die Umsetzung der Klimaziele gezeigt wurde. Da zeigt sich: Es gibt Länder, die gar nichts gemacht haben. Andere Länder – vor allem europäische – haben das Richtige versprochen, aber es hapert in der Umsetzung. Weltweit verlangt der Klimavertrag also viel zu wenig. Nur zu den Zielen Europas würde ich vorsichtig Ja sagen.Sollte Österreich das Klimaabkommen nicht einhalten, muss es bis zu 9,2 Milliarden Euro Strafe zahlen bzw. um diesen Betrag Zertifikate kaufen. Aber ist das nicht viel zu wenig angesichts eines jährlichen Staatshaushalts von 80 bis 90 Milliarden Euro – und der langfristigen Schäden, die zu erwarten sind? Das kann sehr leicht sein. Meine Strategie war sowieso nie, zu sagen: „Wir müssen mit dem CO2 -Wert genau dieses Ziel erreichen.“ Wenn man in kleinen, aber langfristig steigenden Schritten es immer rentabler macht, das klimapolitisch Richtige zu tun – das wäre die richtige Strategie. Denn heute werde ich immer reicher, wenn ich klimapolitisch das Falsche mache. Wie etwa die Bergwerksfirmen – die florieren ohne Ende. Aber auf mich hört ja keiner (lacht). Denn im „World Energy Outlook“ (Publikation der Internationalen Energieagentur, Anm.) liest man jedes Jahr, wie viele Hundert Milliarden US-Dollar in die Subventionierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe gehen. Es wird also noch subventioniert, das Falsche zu machen. Allein der Arabische Frühling hat rund 200 Milliarden Dollar gekostet an Subventionierung billiger Energie. Denn wenn das Volk rebellisch wird, ist es mit billiger Energie wieder ruhiggestellt. Das ist Bestechung! Denn die Wiederwahl der Regierung ist der dortigen Politik wichtiger als der Klimaschutz.


Österreich will bis 2030 seinen Stromverbrauch zu 100 Prozent aus ökologischen Quellen erzeugen; bis 2040 soll das Land ganz CO2-neutral funktionieren. Was muss man tun, dass man bei diesen ehrgeizigen Zielen auch die Bevölkerung mitnimmt? Österreich ist relativ gut dran: Erstens gibt es hier viel Wasserkraft, zweitens hat man relativ früh angefangen, im Baugewerbe vor allem in Vorarlberg, aber auch sonst wo, Passiv- und Solarhäuser zu bauen. Dadurch ist der Bedarf an Öl- und Gasheizungen viel geringer als in fast allen anderen Ländern. Es gibt auch Ideen zu Windkraft, auch aus Holz kann man in gewissen Grenzen Bioenergie erzeugen. Und es gibt auch in Östereich – in Bayern noch stärker – Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Ich habe gehört, dass pro Hektar die Photovoltaik zehn Mal so viel Ertrag bringt wie ein Maisfeld. Noch dazu ist ein Maisfeld alles andere als ökologisch. Deswegen glaube ich schon, dass Österreich gute Chancen hat, diese Versprechen einzuhalten. Auch Deutschland wird das einigermaßen hinkriegen – dank des Kohleausstiegs.


Aber: Die Wasserkraft ist nicht sehr viel weiter ausbaubar. Und bei Windenergie gibt es viele lokale Konflikte. Und bei der Photovoltaik braucht man viele Metalle, die sehr selten sind – wie Indium. Das ist das einzige Metall, das in einer bestimmten Fassung durchsichtig ist. Das ist für Solarenergie wunderbar. Aber Indium wurde früher nie abgebaut, das war ein Nebenprodukt bei einem anderen Metall. Daher gibt es da gewisse Grenzen. Die völlig unausgereizte Chance ist aber Effizienz: Das Potenzial, den Energiebedarf zu vermindern, ist gigantisch. Aber es ist unpopulär. Warum ist es unpopulär? Weil alle Regierungen der Welt Wachstum, Wachstum, Wachstum wollen. Denn Wirtschaftswachstum heißt Arbeitsplätze. Und das ist die Karte, die sticht. Es wird gar nicht mehr nachgefragt, ob nicht auch Energie- und Rohstoffeffizienz Arbeitsplätze schaffen. Ich habe seinerzeit im Deutschen Bundestag mitgeholfen, eine ökologische Steuerreform einzuführen. Da wurde das Benzin pro Liter um sechs Pfennige teurer; die Einnahmen wurden in die Senkung der Lohnnebenkosten gesteckt. So wurden 300.000 Jobs geschaffen oder gesichert, weil der Faktor Arbeit dadurch billiger geworden ist. Das war gut für das Land und für die Prosperität. Aber trotzdem ist eine Energiesteuer wahnsinnig unpopulär. Die „Bild“-Zeitung hat gebrüllt. Ich bin persönlich beschimpft worden. Aber Populismus ist Naturschädigung! Ich wäre glücklich, wenn es nicht so wäre. Aber es ist so. Österreich plant auch eine ökologische Steuerreform ab 2022. Wenig verdienende Haushalte sollen hier aber sogar Geld zurückbekommen, ähnlich wie in Schweden, damit sie nicht überproportional belastet werden. Kann das funktionieren? Ja, das kann funktionieren. Die Schweiz und Kanada machen das ähnlich. Und es macht das Land wohlhabender, weil die Armut abnimmt. Diejenigen, die draufzahlen, sind die, die es sich ohnehin leisten können. Denn durch gut dimensionierte Ökosteuern wird ein Land reicher – und die Natur auch. Zurück zu Österreichs Energiezielen: Um sie zu erfüllen, muss binnen 9,5 Jahren fast drei Mal so viel Strom aus Windkraft erzeugt werden und fast neun Mal so viel aus Photovoltaik wie derzeit. Experten aus der Strombranche halten das nicht für machbar. Sie schon? Diese Verneunfachung bei der Photovoltaik ist wohl am leichtesten zu erreichen, weil diese Technologie erstaunlich billig geworden ist. Windkraft hat das Verbilligungspotenzial erschöpft. Und das hängt oft am Geld. Daher nehme ich an, dass österreichische und internationale Investoren hier auch entstiegen. Daher wird dieser geplante Ausbau am ehesten ein Flächen- und nicht ein Geldproblem. Österreich hat viele Hausdächer, wo man noch viele Anlagen draufmontieren kann.
Vor einiger Zeit hat Äthiopien eine Ausschreibung gemacht für eine Stromfabrik – mit einem Preislimit von zwei Eurocent: Gewonnen hat hier nicht Kernenergie, Kohle, Öl oder Gas – sondern Photovoltaik, ausgerechnet von einem Konzern aus Saudi-Arabien. Saudi-Arabien und andere Länder denken um und überlegen, Solarstrom nach Europa zu transportieren – und auch das Desertec-Projekt in Nordafrika (mit dem Solarstrom in großem Stil für Europa produziert werden sollte, Anm.) könnte wieder was werden. Denn viele Leute glauben, dass der Individualverkehr ökologisch ist, wenn er nur elektrisch fährt. Aber was fehlt, ist die Alternative Methanol. Methanol ist derzeit ein nicht wahnsinnig effizientes Benzin. Aber wenn man mit Solarstrom ökologischen Wasserstoff erzeugt, entsteht also H2 . Wenn man das mit CO2 verbindet, dann wird der Wasserstoff zum CO2 -Fresser. Und H2 plus CO2 ergibt Methanol. Und auch ein ganz einfacher Automechaniker in Kamerun kann einen Verbrennungsmoter so umbauen, dass er mit Methanol fährt. Dann hat man die Klimaneutralität nicht durch E-Mobilität, sondern durch klimaneutrale Verbrennungsmotoren erreicht.
Ernst Ulrich von Weizsäcker ist seit mehr als 25 Jahren Mitglied des Club of Rome und dessen Ehrenpräsident. Er war unter anderem Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Er saß für die SPD von 1998 bis 2005 im Deutschen Bundestag und später im EU-Parlament. Weizsäcker ist vielfacher Buchautor (etwa „Faktor vier“, „Faktor fünf“).

von Stefan Veigl

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