Angst vor hohem CO2 – Preis

31. Dezember 2021


Die Klimaabgabe sollte Investitionen in grüne Technologien anstoßen. Doch ein Jahr nach dem Start warnt der industrielle Mittelstand vor verheerenden Folgen.

Knapp ein Jahr nach Einführung des CO2 – Preises in den Sektoren Wärme und Verkehr zieht der industrielle Mittelstand eine bittere Bilanz. Der CO2 – Preis gefährde in Deutschland „in vielen Branchen Tausende Industriearbeitsplätze“, sagte Sybille Kaiser, Präsidentin des Bundesverbands der Keramischen Industrie, dem Handelsblatt. Die nationale Regelung in ihrer jetzigen Form werde „Produktionslinien im Ausland massiv stärken“, sagte Kaiser, die selbst Geschäftsführerin eines Porzellanherstellers ist.


Das Spektrum der betroffenen Unternehmen reicht von Verzinkereien über die Keramikbranche bis zu Teilen der Lebensmittelindustrie. Besonders unter Druck sind Firmen, die ihre Produkte unter hohen Temperaturen und mit entsprechend viel Energieeinsatz herstellen. „Im Moment funktioniert der CO2 – Preis für uns wie eine Bestrafung, weil es an Ausweichmöglichkeiten fehlt“, sagte Martin Kopf, Chef des Unternehmens Zinkpower und Vorsitzender des Industrieverbands Feuerverzinken. Alternativen gibt es meist nicht, weil sich die eingesetzten Brennstoffe wie etwa Erdgas bislang kaum ersetzen lassen.


Der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, Dieter Janecek, hat Verständnis für die Kritik aus der Wirtschaft. Für Gespräche, wie sich Nachteile im internationalen Wettbewerb verhindern ließen, sei man „immer offen“, sagte er. Perspektivisch brauche es einen europäischen Emissionshandel, der Verkehr und Gebäude umfasst und „gleiche Spielregeln für alle schafft“. Klaus Stratmann.


Angst vor hohem CO2 – Preis
Die Hefeindustrie in Deutschland ist keine schillernde Hightech-Branche, für die sich Politiker interessieren. Sie ist vielmehr ein unauffälliger Lieferant für Brot- und Backwarenhersteller. Und da die Branche nur 600 Mitarbeiter umfasst, leidet sie derzeit, ohne groß Beachtung zu finden.


Die Entwicklung sei schmerzhaft, sagt Jan Moormann, Vorsitzender des Deutschen Verbands der Hefeindustrie und Geschäftsführer des Backzutatenherstellers Uniferm. Angesichts der bis 2025 festgelegten Entwicklung des CO2 – Preises sei es „ein kaum darstellbarer Weg, im internationalen Wettbewerb zu bestehen“.


Wie der Hefeindustrie geht es auch vielen anderen Branchen. Gießereien, die Hersteller technischer Textilien – etwa für Filter oder zur Dämmung – , Kunststoffverarbeiter, die Kautschukindustrie oder Metallverarbeiter: Sie alle leiden unter dem am 1. Januar 2021 eingeführten CO2 – Preis für die Sektoren Verkehr und Wärme. Ihr Problem: Sie haben mit dem CO2 – Preis eine Kostenlast aufgebürdet bekommen, die ihre Konkurrenten im Ausland nicht tragen müssen.
Die Einführung eines CO2 – Preises im Wärme- und im Verkehrssektor, der praktisch auf Brenn- und Treibstoff fällig wird, war eine der wichtigsten klimapolitischen Weichenstellungen der vergangenen Legislaturperiode. Die Große Koalition hatte sich nach langem Ringen darauf verständigt. Der CO2 – Preis trat neben den bereits seit 2005 bestehenden europäischen Emissionshandel, der die Energiebranche und große Emittenten in der Industrie erfasst.
Zum Jahreswechsel steigt der CO2 – Preis von 25 auf 30 Euro je Tonne, bis 2025 klettert er auf 55 Euro. Im europäischen und außereuropäischen Ausland gibt es überwiegend keine vergleichbaren Regelungen. Der CO2 – Preis soll Anreize geben, von Öl, Gas und Kohle zu klimafreundlichen Alternativen zu wechseln, also etwa den mit Öl betriebenen Heizkessel durch eine elektrische Wärmepumpe zu ersetzen oder den Diesel-Pkw gegen ein E-Auto zu tauschen.
Die Alternativen fehlen Doch die Lenkungswirkung kann nicht eintreten, wenn die betroffenen Unternehmen zwar die Kosten tragen müssen, brauchbare Alternativen zur Wärmeerzeugung aber fehlen.


„Jenseits der Grenzen stellt sich die Kostensituation ganz anders dar“, sagt Paul Niederstein, geschäftsführender Gesellschafter von Coatinc. Coatinc verzinkt Stahl etwa für die Bau- und die Automobilindustrie. Die Verzinkung dient dem Korrosionsschutz.


Coatinc wurde 1502 als Stahlschmiede in Siegen gegründet und gilt als ältestes Familienunternehmen Deutschlands. Niederstein führt das Unternehmen mit 1500 Mitarbeitern in der 17. Generation. „Wir stehen bereit, CO2 – frei zu werden“, sagt der Chef des Traditionsunternehmens. „Die Politik darf uns aber nicht die Luft zum Atmen abschnüren“, ergänzt er. Man brauche die politischen Rahmenbedingungen, um wettbewerbsfähig Stahl zu verzinken. „Vor allem in grenznahen Regionen wird das künftig schwierig“, sagt Niederstein.


Martin Kopf, Vorsitzender des Industrieverbands Feuerverzinken, spricht von einer „Bestrafung“ der Branche, die kurzsichtig sei. Er rechnet vor: „Ein CO2 – Preis von aktuell 25 Euro je Tonne mag moderat erscheinen. Für unsere Branche werden sich die CO2 – Kosten in diesem Jahr allerdings bereits auf etwa 7,5 Millionen Euro addieren. Das ist eine beträchtliche Summe.“ Wenn Forderungen Realität würden, den CO2 – Preis deutlich zu erhöhen, wären die Folgen für die Branche verheerend, so Kopf. „Das würde unsere Unternehmen ins Mark treffen und in der Existenz bedrohen“, warnt er. „Das kann nicht die Absicht der Politik sein.“

Tatsächlich sind Werte von 150 oder 200 Euro je Tonne in der Debatte. Das Umweltbundesamt beispielsweise kalkuliert mit einem CO2 – Preis von 195 Euro. Die neue Bundesregierung will eine solch starke Anhebung allerdings wegen der insgesamt deutlich gestiegenen Energiepreise zunächst nicht umsetzen. Man halte am bisherigen Preispfad fest, werde aber „einen Vorschlag zur Ausgestaltung der Marktphase nach 2026 machen“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.


Die Energieexpertin der Grünen, Ingrid Nestle, verteidigt die Regelung gegen die Kritik der Wirtschaft. „Es ist höchste Zeit, dass wir alle gemeinsam Tempo machen bei der Umstellung auf eine CO2 – neutrale Wirtschaft – und dabei hilft der CO2 – Preis genauso wie die Rückzahlung von Einnahmen über die Abschaffung der EEG-Umlage“, sagt Nestle. Energiesparsame Technologien und effiziente Stromanwendungen seien für Wärme und Privatverkehr längst verfügbar. Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, Dieter Janecek, verweist auf geplante Entlastungen: „Die EEG-Umlage wird in den kommenden Jahren abgeschafft, auch um die Industrie zu entlasten und strombasierte Anwendungen zu stärken.“ Doch für viele Unternehmen dürfte diese Entlastung nicht ausreichen oder zu spät kommen.


„Dass es ernst ist in der Branche, zeigt die bevorstehende Schließung eines der vier letzten Produktionswerke für Backhefe in Deutschland“, sagt Verbandschef Moormann. „Nach über 160-jähriger Firmengeschichte werden im April nächsten Jahres viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren.“ Das Werk gehöre zu einem international tätigen Unternehmen mit weiteren Produktionsstandorten in der EU. Die Produktion werde dorthin verlagert. Eine rein nationale wirtschaftliche Zusatzbelastung berge immer die Gefahr, dass ganze Branchen abwanderten, warnt Moormann.


In der Industrie würden verschiedene Regelungen dazu beitragen, dass der CO2 – Preis nicht zum Nachteil im internationalen Wettbewerb werde, sagt hingegen Grünen-Politikerin Nestle: „Ein Verzicht auf klimaehrliche Preise ist keine sinnvolle Option.“


Die alte Bundesregierung hatte die Abwanderung von Produktion ins Ausland wegen hoher CO2 – Kosten, im Fachjargon „Carbon Leakage“ genannt, verhindern wollen. Um Unternehmen zu schützen, die im internationalen Wettbewerb stehen, hatte sie deshalb eine Carbon-Leakage-Verordnung erlassen. Diese ergänzt das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG), in dem der CO2 – Preis geregelt ist. Die Verordnung ermöglicht es den betroffenen Unternehmen, sich bis zu 75 Prozent der CO2 – Kosten erstatten zu lassen. Dazu müssen sie in einem komplizierten Antragsverfahren Jahr für Jahr bestimmte Nachweise erbringen.


Nachteil der Regelung: Der Erstattungsbetrag muss in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden. Die Betroffenen klagen, damit gehe die Regelung an der unternehmerischen Realität vorbei. Denn schließlich brauche man die Erstattung schlicht und einfach dazu, um wirtschaftlich überleben zu können.


Viele Branchen bleiben außen vor Viele Branchen profitieren zudem überhaupt nicht von der Carbon-Leakage-Verordnung, weil sie es nicht auf die entsprechende Branchenliste der Verordnung geschafft haben. Sie gehen daher komplett leer aus und zahlen den vollen CO2 – Preis. Dazu zählen beispielsweise die Verzinkereien. In anderen Branchen bleibt die Kompensation weiter hinter dem rechnerischen Höchstwert von 75 Prozent zurück.
„Für Gespräche zur Verbesserung des nationalen Carbon-Leakage-Schutzes sind wir immer offen, die Problemstellungen sind branchenspezifisch unterschiedlich“, sagt Grünen-Wirtschaftsexperte Janecek.
Reparaturversuche laufen bereits: So enthält das BEHG eine Härtefallregelung. Um in den Genuss dieser Regelung zu kommen, müssen die Zusatzkosten, die der CO2 – Preis auslöst, allerdings mindestens 20 Prozent der betriebswirtschaftlichen Gesamtkosten ausmachen. Ein astronomisch hoher Wert. „Am Ende wird nur eine Handvoll Unternehmen eine Ausgleichszahlung erhalten“, so die Prognose von Gernot Engel, Energierechtsexperte der Anwaltskanzlei Luther.


Außerdem ist die Härtefallregelung noch nicht in Kraft getreten. Dafür bedürfe es noch einer entsprechenden Durchführungsverordnung, teilte das Bundesumweltministerium auf Anfrage mit. Erst danach könnten Anträge gestellt werden, voraussichtlich ab Mitte 2022. „Und auch erst dann wird es die entsprechenden Formulare geben. Antragsfrist wird voraussichtlich Oktober 2022 sein“, heißt es im Ministerium weiter.


Einige Unternehmer mutmaßen, das Bundesumweltministerium habe es mit der Härtefallregelung nicht besonders eilig, weil es kein Interesse daran habe, den Unternehmen zu helfen. Industrieproduktion, die aus Deutschland verschwinde, reduziere die CO2 – Emissionen. „So kann man sich die CO2 – Bilanz natürlich auch schönrechnen“, sagt ein Betroffener.


Nun zeichnet sich ein weiteres Hilfsvorhaben ab, dessen Wert für die betroffenen Unternehmen jedoch ebenfalls begrenzt sein dürfte: Einzelne Branchen sollen nachträglich in den Geltungsbereich der Carbon-Leakage-Verordnung aufgenommen werden. Allerdings könnte die Freude darüber von kurzer Dauer sein. „Die EU-Kommission muss die neuen Sektoren genehmigen“, sagt Engel. Das werde anhand der ab Januar 2022 geltenden Beihilfeleitlinien für den Umwelt-, Energie- und Klimabereich geschehen. Die neuen Leitlinien schränkten die Zahl der Branchen ein, die künftig in den Genuss von Entlastungen kommen könnten, sagt Engel.


Der Energierechtsexperte nennt die Auswirkungen des CO2 – Preises „verheerend“. Der CO2 – Preis bilde zusammen mit den hohen Energiepreisen, zum Zerreißen gespannten Lieferketten und Corona „den perfekten Sturm für die Wirtschaft“.


CDU-Energieexperte Andreas Jung erinnert an Zusagen, die mit der Einführung des CO2 – Preises verbunden waren. Etwa dass der Staat die Einnahmen über billigeren Strom zurückgebe und es keinen Nachteil im internationalen Wettbewerb geben solle. „Wir werden als Union darauf drängen, dass die mit der CO2 – Bepreisung verbundenen Zusagen von der neuen Bundesregierung eingehalten werden“, sagt Jung. Klimaschutz müsse mit wirtschaftlicher Stärke verbunden werden.


Aus Sicht von Unternehmern wie Stefan Neese, Geschäftsführer der Seppeler Holding, einer Verzinkerei mit 1500 Mitarbeitern, ist die Ampelkoalition nun in der Pflicht. Eine Abgabe, die es nur in Deutschland gebe, sei unfair, sagt er. „Wir fordern von der neuen Bundesregierung, dass wir zumindest eine europäische Regelung bekommen, um am Standort Deutschland weiterhin wettbewerbsfähig feuerverzinkten Stahl produzieren zu können.“ Klaus Stratmann


ZITATE FAKTEN MEINUNGEN
Im Moment funktioniert der CO2 – Preis für uns wie eine Bestrafung. Martin Kopf Zinkpower-Chef

Handelsblatt

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