Wenn der Gashahn zugeht

30. März 2022, Wien

Russlands Zentralbank klärt bis Dienstag die Rubel-Zahlung für Erdgas. Österreich ist vorbereitet, sollte Gas ausbleiben. Doch wo sind Alternativen?

Auch in der fünften Woche des mörderischen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine fließt russisches Erdgas vertragsgemäß nach Europa. Teils sogar durch Pipelines durch die Ukraine. Ob sich das in den nächsten Tagen ändern wird, wagt derzeit niemand zu sagen. Bis Dienstag soll die russische Zentralbank Details für die Bezahlung von Gaslieferungen an „unfreundliche Staaten“ in Rubel vorlegen, hat Präsident Wladimir Putin verlangt. Dafür müssten die EU-Staaten ihre eigenen Sanktionen gegen Moskau unterlaufen.

Die Energieminister der G7-Länder haben der Forderung am Montag bereits eine Absage erteilt. Man sei sich einig, dass dies „ein einseitiger und klarer Bruch der bestehenden Verträge“ sei, sagte Robert Habeck, Wirtschafts- und Klimaschutzminister Deutschlands, das derzeit den G7-Vorsitz führt. Verträge gälten, betroffene Unternehmen müssten vertragstreu sein. „Das heißt also, dass eine Zahlung in Rubel nicht akzeptabel ist.“

Der teilstaatliche Öl- und Gaskonzern OMV, Österreichs wichtigster Gashändler, betonte am Montag, sobald Konkretes auf dem Tisch liege, werde man entscheiden. Man sei permanent mit der Regierung in Kontakt und werde alles tun, um andere Quellen zu erschließen, so Sprecher Andreas Rinofner.

Doch die zusätzlichen Mengen, die notwendig wären, um russisches Gas kurzfristig zu ersetzen, gibt es nicht, räumte am Wochenende sogar Saad al-Kaabi, Energieminister von Katar, einem der größten Flüssiggaslieferanten der Welt, ein: „Ich denke nicht, dass Katar unmittelbar helfen kann.“

Seit Wochen gibt sich Europas Politik, darunter Habeck, Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer und seit Sonntag Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian, in Katar und anderen Scheichtümern die Klinke in die Hand. Es gebe den „klaren Willen“, Gas zu liefern, sagte Saad al-Kaabi. Die Unabhängigkeit von Russland müsse man aber planen „und es braucht Jahre, bis alles entwickelt wird“.

Zeit, die Europa und besonders stark am russischen Gashahn hängende Länder wie Deutschland und Österreich nicht haben. Bisher kommen in der EU etwa 40 Prozent des Erdgases aus Russland. Hierzulande sind es 80 Prozent, gemessen am gesamten Energiebedarf fast 22 Prozent. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat am Wochenende erklärt, sein Land werde noch heuer von Kohle und Öl aus Russland unabhängig werden, bis 2024 auch vom Gas. Laut Energieminister Habeck ist der Anteil der russischen Gaslieferungen in Deutschland bereits von 55 auf 40 Prozent gesunken.

In Österreich ist man mit solchen starken Ansagen zurückhaltend. „Alles ist wie bisher“, heißt es aus dem Klima- und Energieministerium. Russisches Erdgas zu ersetzen werde nur mit einer Reduktion des Verbrauchs gehen. Und das sei am schnellsten mit einem Heizungstausch zu erzielen, wie er derzeit mit Milliarden gefördert wird.
Energiemarktkenner halten die deutschen Zahlen ohnehin für optimistisch bis illusorisch. Rein rechnerisch könnte der Russland-Anteil seit Jahresbeginn gesunken sein, auch weil in die EU so viel Flüssiggas (englisch LNG) importiert wurde wie nie und zur Verstromung wieder mehr Kohle genutzt wird.

Künftig soll viel Gas nicht zuletzt aus den USA kommen. Allein 2022 15 Mrd. Kubikmeter, haben US-Präsident Joe Biden und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorige Woche verkündet – etwa ein Zehntel des EU-Verbrauchs. Bis 2030 soll ein Drittel mit amerikanischem Schiefergas gedeckt werden.

Österreich kann am Flüssiggas aus geografischen Gründen nur indirekt mitnaschen. Weder hat es Häfen, wo die Spezialschiffe anlegen könnten, noch direkte Pipelines. Und in den bestehenden Leitungen in Europa könnte es schnell eng werden, wenn viele Länder Gas aus dem Süden oder Westen brauchen. Die OMV hat Kapazitäten an einem LNG-Terminal in Rotterdam, als Ersatz für russisches Pipelinegas ist es zu wenig.

2021 hat Österreich 96 Terawattstunden Gas verbraucht, wobei der monatliche Verbrauch von 10 bis 13 TWh im Winter bis zu 4 TWh im Sommer reicht, wenn nur die Industrie Gas für Fertigungsprozesse braucht. Sollte es tatsächlich in den nächsten Tagen bzw. Wochen zu einem Lieferstopp kommen – was auch die Ukraine treffen würde –, wäre Österreich gut vorbereitet, betont Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung in der E-Control. Die notwendigen Daten liegen seit Wochen vor. Im „Energielenkungsfall“ wird zunächst der Verbrauch der industriellen Verbraucher gedrosselt – freiwillig oder per Verordnung.

Was Politik, Regulierungsbehörde und Unternehmen zusätzlich Kopfzerbrechen bereitet: Die hohen Gaspreise würden bei einer weiteren Eskalation des Gaskriegs weiter steigen. Dann müssten die leeren Gasspeicher in den nächsten Monaten sehr teuer gefüllt werden, mit dem Risiko, dass im Herbst und Winter die Preise sinken.
Für Europas Wirtschaft wäre das alles ein Dämpfer. In Deutschland würde es 2,2 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten, zitiert die Denkfabrik Agenda Austria aus einer Studie – oder noch mehr. Österreich würde mangels Ausweichmöglichkeiten auf Kohle oder Atomstrom noch stärker leiden und wohl eine Rezession drohen.

von Monika Graf

Salzburger Nachrichten

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