Gebt uns mehr Biomüll!

27. April 2022

Abfallbehandlung. Küchenabfall und Grünschnitt können in Methan verwandelt werden und Erdgas ersetzen. Zudem entsteht durch Kompostierung wertvoller Dünger. Was fehlt, ist das Bewusstsein für die richtige Entsorgung.

Wir drehen die Heizung hinunter, um Gas zu sparen, das uns Russland jederzeit abdrehen könnte, und werfen zugleich haufenweise Rohstoffe in den Müll, aus denen man Methan produzieren kann? Die Rede ist von Biomüll, der viel zu oft im Restmüll landet. Lebensmittelabfälle, Grünschnitt aus dem Garten und vieles mehr kann man in Biogasanlagen zu Methan verarbeiten, das ins Erdgasnetz eingespeist wird und so den Gasbedarf aus dem Ausland senkt.

„Derzeit stecken im Restabfall in Österreich noch 30 bis 40 Prozent biogene Abfälle“, sagt Anke Bockreis, Professorin für Abfallbehandlung und Ressourcenmanagement an der Uni Innsbruck. Diese Anteile herauszusortieren ist aktuell nicht effizient, daher wird all das wertvolle Material in der Müllverwertung verbrannt. „Bei uns in Tirol verstärkt sich das Problem, denn wir haben im ganzen Bundesland keine eigene Müllverbrennung. Der Restabfall wird nach Oberösterreich oder weiter in den Osten gefahren und dort verbrannt zur Strom- und Wärmegewinnung.“ Danach kommt die Schlacke wieder zurück nach Tirol und wird auf der Deponie Ahrental abgelagert. „Das heißt nicht, dass eine eigene Müllverbrennung in Tirol unbedingt sinnvoll ist. Aber man könnte hier durch abfallwirtschaftliche Maßnahmen die Energie in Tirol gewinnen — ohne Transporte“, sagt sie.

„Es wäre prinzipiell möglich, Biogas aus den vorhandenen Abfällen zu bekommen: Wir müssen aber schauen, wie wir noch mehr davon tatsächlich zu den Biogas-Anlagen bringen“, erklärt Bockreis, die in ihrer Zeit als Vizerektorin der Uni Innsbruck auch für Infrastruktur und Abfallbehandlung zuständig war. 2013 initiierte sie für die gesamte Universität, dass Biomüll getrennt gesammelt wird: Seither kommen die Reste aus den Teeküchen und Cafeterias in die biogene Verwertung. „Große Piktogramme auf den verschiedenen Behältern zeigen klar, was hineingehört und was nicht.“

Biogas entsteht bei der Vergärung

Wie kann man Biomüll verwerten? Die erste Idee ist freilich, Kompost daraus zu machen. „Das nennt man aerobe Behandlung, das heißt, dass Sauerstoff bei der Zersetzung involviert ist. Die Kompostierung ist ein sehr wichtiger Schritt, denn so bekommt man Ersatz für Dünger“, sagt Bockreis. Neben der Erdgas-Misere steigen durch den Ukraine-Krieg ja auch die Preise für Düngemittel enorm, weil essenzielle Stoffe dafür hauptsächlich aus Russland stammen.
„Doch vor der Kompostierung kann man einen anaeroben Schritt einbauen, also unter Ausschluss von Sauerstoff“, sagt die in Darmstadt ausgebildete Bauingenieurin. Einfach gesagt ist mit anaerob eine Vergärung gemeint: Bakterien und andere Mikroben verarbeiten den Biomüll und geben Gas ab, das entweder zur Stromgewinnung dient oder als Biomethan ins Erdgasnetz geleitet wird. „So nutzt man den Energiegehalt, der in Bioabfällen steckt, und danach kann man immer noch Kompost erzeugen“, erklärt Bockreis. Derzeit werden in Österreich pro Jahr etwa eine Million Tonnen Bioabfälle getrennt gesammelt. Davon gelangen knapp 50 Prozent in Biogasanlagen, der Rest wird direkt kompostiert. Die Abfallforschenden hoffen, dass sich die Abläufe ändern, sodass der gesamte Biomüll zur Gas- und Energiegewinnung eingesetzt wird.

„Es gibt an so vielen anderen Stellen auch Optimierungspotenzial“, sagt Bockreis. „Die Eigenkompostierung in privaten Haushalten ist in Österreich sehr stark.“ Messen kann man diese Mengen nicht, aber laut Studien landen geschätzt 1,5 Millionen Tonnen Grün- und Lebensmittelabfälle pro Jahr auf privaten Komposthaufen — viel mehr, als in Biotonnen geworfen wird. Die Wissenschaftler verstehen freilich, warum die Leute den eigenen Kompost mögen: So rein und frei von Plastik bekommt man sonst nirgendwo frischen Dünger und Erde. „Aber Eigenkompostierung kann, wenn sie schlecht gemacht ist, das starke Treibhausgas Methan in die Atmosphäre abgeben. Und was uns in der Abfallforschung interessiert: Wir verlieren über die privaten Komposthaufen all die Stoffe, aus denen man noch Energie holen könnte“, sagt Bockreis. Eine Überlegung ist, diese Bioabfälle zentral zu sammeln, zur Biogasanlage zu schaffen und den Haushalten dann die Reste wieder für ihren Kompost zurückzugeben. „Die gleiche Reinheit hat es dann wohl nicht, weil in großen Sammlungen immer Störstoffe und Plastikpartikel auftauchen“, wägt die Forscherin ab. Ein Fokus ihrer Arbeitsgruppe liegt genau auf diesem Problem der Störstoff-Abscheidung: Wie bekommt man den Biomüll aus dem Restmüll — und wie rein ist der biogene Anteil?

Jede Form von Plastik stört im Biomüll

Eine immer noch große Hürde bei der Bioabfall-Verwertung ist die Plastik-Verschmutzung. „Unsere Probennahmen zeigen stets, dass die Reinheit in der Biotonne nicht gut ist“, sagt Bockreis. Neben herkömmlichen Kunststoffen, die zu oft im Biomüll landen, sind auch moderne Bioplastik-Sackerln und Ökoverpackungen nicht unbedenklich.
„Auch biologisch abbaubare Kunststoffe erhöhen den Mikroplastik-Anteil im Kompost“, sagt sie und verrät, dass die sinnvollste Variante beim Sammeln von Biomüll auch auf kompostierbare oder abbaubare Sackerln verzichtet. „Besser ist, man stellt einen kleinen Behälter in der Küche auf, den man oft ausleert und abwäscht.“ Denn alles, was ich vorab vermeiden kann, muss die Müllverwertung nicht nachher herausholen.

Die „Taskforce Biogas“, die in Tirol jetzt die Bemühungen in diese Richtung verstärkt, nimmt auch Fettabscheider aus der Gastronomie ins Visier. Diese Anlagen trennen Fett und Öl ab, bevor das Abwasser in die Kanalisation geht, und sind in der Gastronomie gesetzlich vorgeschrieben. „Aber leider sind diese Behälter oft nicht richtig dimensioniert, meist zu klein, oder werden nicht oft genug entleert“, sagt Bockreis. Auch hier entgehen den Gemeinden wertvolle Abfallstoffe, die statt in der Biogasanlage in der Kanalisation landen. „Wir bemühen uns auch, die Verwertung von biogenen Stoffen zu bündeln und weg von den Kleinanlagen zu gehen, die in einigen Gemeinden Tradition haben“, sagt die Forscherin. Das betrifft auch die Verwertung von landwirtschaftlichen Bioabfällen, in denen noch viel Potenzial für die Energiegewinnung steckt, wenn man das passende Aufbereitungsverfahren nutzt.

Heuer sagten alle, dass sie Müll trennen

„Da braucht es noch viel Bewusstseinsbildung. Wir setzen mit der Aufklärungsarbeit auch in Schulen an“, sagt Bockreis. Und sie fragt die Erstsemestrigen in der Vorlesung zur Abfallbehandlung seit Jahrzehnten stets, wer Müll trennt. „Heuer war das erste Mal, dass alle aufzeigten. Es tut sich also etwas“, sagt die mit dem Großen Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnete Wissenschaftlerin.

Sie könnte noch stundenlang erzählen, was und wie Jung und Alt noch besser machen könnten beim Mülltrennen: „Denken Sie nur an den Elektroschrott: Die meisten werfen alles, was in eine Mülltonne passt, in den Restmüll. Dabei gehören Handys, Haushaltsgeräte und jedes Stofftier mit Batterie zum Recyclinghof. Damit wir die wertvollen Metalle und seltenen Erden darin wiederverwenden können — und uns um die enthaltenen Schadstoffe kümmern.“

Die Presse

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