Kommission kritisiert Regierung bei Klimakrise

28. Juni 2022, Wien

Umwelt. Die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt ortet gravierende Mängel in der Klimapolitik Österreichs.

Corona, die Impfpflicht oder Sterbehilfe — mit solchen Themen beschäftigt sich die Bioethikkommission normalerweise. Dass das Beratungsgremium des Bundeskanzlers nun eine Stellungnahme zur Klimakrise veröffentlicht hat, ist allein schon außergewöhnlich. Und dass sie damit die österreichische Bundesregierung offen kritisiert, noch mehr.

Doch angesichts der „dramatischen Situation“ der voranschreitenden Klimakrise, und weil „hierzulande viel zu wenig gemacht wird“, habe man sich gefordert gesehen, Stellung zu beziehen, sagt Lukas Kenner, Mitglied der Kommission und Professor für Pathologie am AKH, zur „Presse“.

So sei die am Donnerstag veröffentlichte Stellungnahme, die sich auf die ethischen Herausforderungen der Klimakrise bezieht, als Appell an die österreichische Regierung, an andere politische Entscheidungsträger sowie an die Wirtschaft zu sehen. Österreich sei eines der wenigen EU-Länder, in denen die Treibhausgasemissionen im langfristigen Vergleich steigen statt sinken. Auch diverse Aktionen („zum Beispiel die Stadtstraße“) würden zeigen, dass das Verständnis für das Ausmaß der Krise fehle, sagt Kenner.

Die gegenwärtige Klimakrise sei „eines der herausragendsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit“, heißt es in dem 26 Seiten umfassenden Papier. Es ist die erste derartige Meldung einer Ethikkommission in Europa. Für die 24 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die den Bundeskanzler in gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen beraten, stellen sich fünf ethische Herausforderungen. So führen „die globalen Auswirkungen des Klimawandels zu einer zunehmenden Gefährdung der Menschenrechte“ sowie zur Gefahr „für die Gesundheit sowie die soziale Sicherheit von Milliarden von Menschen“. Auch Österreich dürfe sich seiner Verantwortung nicht verwehren, sagt dazu Kenner, schließlich würden reiche Länder einen Großteil der Emissionen ausstoßen.

„10.000 Virustypen“

Angesichts der schwindenden Lebensräume für Wildtiere würden zudem die Kontakte zwischen wild lebenden Tieren und Menschen immer häufiger — mit der Gefahr von „mindestens 10.000 Virustypen, die Menschen infizieren“ können.
Als eine der Ursachen für die Erwärmung sieht das Wissenschaftsgremium die „zunehmende Ausbeutung und Verschmutzung öffentlicher Ressourcen“. Vor diesem Hintergrund gebe es in weiten Schichten der Bevölkerung einen Vertrauensverlust in Autoritäten und Institutionen. Und angesichts der „Komplexität der Klimaproblematik“ entstehe bei vielen ein „Gefühl der Ohnmacht mit dem kontraproduktiven Effekt, das eigene Verhalten mangels Relevanz erst gar nicht zu adaptieren“.

Hinzu komme die „Leugnung des Klimawandels“, unter deren Deckmantel „populistische Taktiken“ angewandt und die Wissenschaft diskreditiert würden.

Fehlt ein Klimaschutzrecht?

Die Kommission unterzieht auch die österreichische Klimapolitik einer schonungslosen Kritik. Hier gebe es grobe Umsetzungsdefizite, am stärksten beim Verkehr.

In ihren Empfehlungen an die Politik plädieren die Wissenschaftler unter anderem dafür, dass Klimaneutralität und Klimaschutz in die Staatszielbestimmungen aufgenommen werden sollten.

Auch das derzeit in Österreich fehlende Recht auf Klimaschutz wird angesprochen: So „sollte erörtert werden“, ob die in Österreich geltenden Grundrechte um ein subjektives Grundrecht auf Klimaschutz erweitert werden sollen.
Um den „überbordenden Flächenverbrauch deutlich zu reduzieren“, sei außerdem eine nachhaltige Reform der Raumordnung dringend erforderlich. Gleichzeitig mit dem Ausbau der erneuerbaren Energie sollte die Energienachfrage prinzipiell reduziert werden. Und: Energieeffizienz zu verbessern sei „äußerst dringlich“.
Zentrales Gewicht habe auch die Reform der öffentlichen Förderung klimaschädlicher Aktivitäten; sie sei „mittelfristig vollständig einzustellen“. Bei allen Klimamaßnahmen dürften aber ökonomisch und sozial vulnerable Gruppen nicht zusätzlich benachteiligt werden und sollten internationale Implikationen mitbedacht werden.

von Teresa WIRTH und Michael Lohmeyer

Presse

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