Auf der Jagd nach dem Wind

11. August 2022

Der Ausbau der Windkraft stockt in Österreich -trotz Klima-und Energiekrise. Umweltministerin Leonore Gewessler baut nun mit der neuen Umweltverträglichkeitsprüfung eine Drohkulisse für jene Bundesländer auf, die bei der Energiewende bremsen

Es ist ein Wortungetüm aus acht Silben und eine große Errungenschaft im Naturschutz: die Umweltverträglichkeitsprüfung, kurz UVP. Sie soll verhindern, dass Großprojekte die Umwelt zerstören. Gerade in Zeiten der Klima-und Energiekrise kommt ihr eine besondere Rolle zu. Denn auch Projekte der Energiewende wie Windparks werden streng geprüft. Dass der Ausbau der Erneuerbaren stocke, liege auch an der oftmals langen Genehmigungsdauer, kritisieren Unternehmer.

Ein neues UVP-Gesetz soll Naturschutz und die Energiewende nun miteinander versöhnen. Kann das gelingen? Neun Fragen und Antworten zur UVP-Novelle, die Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) Ende Juli in Begutachtung geschickt hat.

Woher kommt die UVP, und welche Idee steckt dahinter?
Der Gedanke der UVP ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt und stammt ursprünglich aus den USA. Dort trat im Jahr 1970 der National Environmental Policy Act in Kraft. Er ermöglichte der Regierung, die Auswirkungen von Projekten auf die Umwelt abzuschätzen, noch bevor jemand sein großes Bauvorhaben durchziehen konnte. Das wiederum lieferte den Behörden eine wichtige Entscheidungsgrundlage, ob das Projekt eine Genehmigung erhalten sollte -oder nicht.
1985 verabschiedete auch die Europäische Gemeinschaft eine Richtlinie, mit der Mitgliedsländer die Umweltverträglichkeit öffentlicher und privater Projekte prüfen sollten. In Österreich gab es damals kein vergleichbares Instrument. Mit der angestrebten EU-Mitgliedschaft kam man auch hierzulande in Zugzwang. 1993 -zwei Jahre vor dem EU-Beitritt – verabschiedete das Parlament schließlich das UVP-Gesetz. „Das Umweltrecht hat man in Österreich davor immer eindimensional gesehen – wir schützen etwa das Wasser. Oder die Luft“, erklärt Erika Wagner, die das Institut für Umweltrecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz leitet, „mit der UVP wurden erstmals gesamthaft alle Umwelteinflüsse eines Projekts beurteilt.“

Was prüft die Behörde in der UVP genau?
Das UVP-Gesetz regelt klar, welche Projekte ab welcher Größe zu überprüfen sind. Dazu zählen unter anderem Müllverbrennungsanlagen und Entsorgungsanlagen für hochradioaktive Abfälle genauso wie Einkaufszentren, die eine Fläche von zehn Hektar oder mehr verbrauchen, Hotels mit mindestens 500 Betten oder Ställe, die Platz für 2500 Schweine bieten. In der UVP untersucht die Behörde, welche Auswirkungen ein solches Projekt auf „Menschen und die biologische Vielfalt einschließlich der Tiere, Pflanzen und deren Lebensräume auf Fläche und Boden, Wasser, Luft und Klima, auf die Landschaft und auf Sach-und Kulturgüter hat oder haben kann“.

Warum wird das Gesetz ausgerechnet jetzt überarbeitet?
Zunächst einmal: Eine UVP-Novelle ist nichts Außergewöhnliches. Seit 1993 wurde das UVP-Gesetz bereits 20-mal abgeändert. Dass es nun erneut novelliert wird, ist keine Überraschung. Schon im Koalitionsabkommen einigten sich ÖVP und Grüne darauf, das Gesetz anzupassen. Ein Grund dafür sind neue Rechtsprechungen, die die UVP betreffen, sowie mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU. Die EU-Kommission kritisiert etwa, dass Österreichs Behörden Ski-Infrastruktur-Projekte und Vorhaben im Städtebau nicht ordnungsgemäß prüfen lassen.

Was ist das Ziel der neuen UVP?
Neben der Absicht, die EU-Vertragsverletzungsverfahren zu beenden, will die Regierung die UVP auch modernisieren. „Die Novelle der Umweltverträglichkeitsprüfung bringt schnelle Verfahren für die Energiewende und mehr Bodenschutz“, versprach die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, als sie den Gesetzesentwurf in die Begutachtung schickte. „Mit der Novelle werden Klimaschutz und Naturschutz zusammengedacht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien bekommt eine Überholspur.“

Wie steht es derzeit in Österreich um die Erneuerbaren?
Das Klimaschutzministerium hat im Vorjahr den Bericht „Energie in Österreich“ herausgegeben, demzufolge bereits 77 Prozent von Österreichs Strom aus erneuerbaren Quellen kommen. In der Europäischen Union ist Österreich damit Spitzenreiter. Den großen Anteil an grünem Strom verdankt Österreich aber nicht visionärem Klimaschutz, sondern der historisch starken Wasserkraft im Land. Die österreichischen Laufkraftwerke und Speicherkraftwerke erzeugen deutlich mehr als die Hälfte des gesamten Stroms (57 Prozent). Im Gegensatz zur Wasserkraft spielen Wind (elf Prozent) und Sonne (zwei Prozent) derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Das soll sich bald ändern.
Warum? Im Vorjahr hat die türkis-grüne Koalition gemeinsam mit der SPÖ und den Neos das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) beschlossen, es handelt sich um eines der heimischen Prestigeprojekte im Klimaschutz. Das Ziel: Bis 2030 soll Österreich seinen gesamten Strombedarf aus erneuerbaren Quellen decken. Das ist ambitioniert, zumal die Nachfrage nach Strom wächst. Schließlich steigen immer mehr Menschen von Benzinern auf E-Autos um und heizen ihre Häuser mit elektrischen Wärmepumpen statt mit Gas.

Um den Strom in nur acht Jahren völlig sauber zu bekommen, muss die Republik 27 Terawattstunden (TWh) grünen Strom zubauen. Zur Einordnung: Derzeit erzeugt Österreich insgesamt 69 TWh Strom. Neben dem nationalen Ziel gibt es noch ein europäisches: Die Energiekrise, die Russlands Krieg gegen die Ukraine ausgelöst hat, macht den Erneuerbaren-Ausbau noch dringlicher. Die EU will mit ihrer „REPowerEU“-Strategie den Ausbau der Erneuerbaren weiter vorantreiben, um sich schon vor 2030 von fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig zu machen.

Woher soll der Strom in Zukunft kommen?
Österreichs Flüsse sind schon stark verbaut, das Potenzial für Wasserkraft ist beschränkt. Laut einem Bericht des Landwirtschaftsministeriums sind drei Fünftel der österreichischen Fließgewässer in keinem guten Zustand mehr. Demgegenüber gibt es ein riesiges Potenzial für Windräder und Photovoltaikanlagen, die immer günstiger und besser werden. Das EAG sieht vor, dass der Löwenanteil des neuen grünen Stroms durch Sonne (11 TWh) und Wind (10 TWh) hereinkommen soll. Bildlich gesprochen geht es um zwei Millionen Photovoltaikanlagen auf Dächern und 1200 neue Windräder. Hier kommt die UVP ins Spiel. Zwar werden Solaranlagen nicht von der UVP umfasst, sehr wohl aber große Windkraftprojekte -und die für die Energiewende nötige Stärkung des Stromnetzes. Während immer mehr Solarpaneele auf Österreichs Dächern montiert werden, hapert es beim Ausbau der Windkraft noch. Hier setzt die neue UVP an.

Wie kann die UVP die Energiewende vorantreiben?
„Unser größtes Problem beim Ausbau der Windkraft ist, dass dafür in einigen Ländern die rechtlichen Voraussetzungen in der Raumordnung nicht ausreichen“, sagt Ursula Nährer, Juristin der Interessengemeinschaft Windkraft. Wie stark sich Bundesländer gegen die Windkraft sperren, sieht man am deutlichsten im Westen des Landes: In Vorarlberg, Tirol und Salzburg steht bis heute kein einziges Windrad, in Kärnten drehen sich nur zwei. Den meisten Windstrom liefern zurzeit Niederösterreich und das Burgenland. Niederösterreich – das größte Bundesland mit dem größten Windkraftpotenzial – bremst den Ausbau. Die neue UVP könnte die Blockadehaltung mancher Länder nun durchbrechen. Eine geplante Gesetzesänderung sieht vor, dass „in solchen Fällen, in denen es keine angemessene Energieraumplanung gibt, trotzdem Windkraftprojekte genehmigt werden können. Das macht Druck auf Länder“, erklärt Nährer. Erika Wagner von der Kepler-Uni Linz bezweifelt hingegen, dass sich der Bund über die Raumordnung der Bundesländer hinwegsetzen kann. „Das bedürfte wohl einer Verfassungsänderung“, sagt Wagner, „aber es ist zumindest einmal ein Drohszenario für die Länder, dass sie sich mit Windrädern auseinandersetzen müssen.“
Unabhängig davon soll das neue UVP-Gesetz ein weiteres Problem ein Stück weit lösen, das derzeit den Ausbau der Erneuerbaren bremst: Die Genehmigungen für Windräder dauern laut IG Windkraft im Schnitt acht Jahre, vor allem weil Windkraftgegner sie oft beeinspruchen und die Behörden manche Punkte mehrfach prüfen. Auch hier schafft die Novelle Erleichterungen. So soll etwa das Landschaftsbild in jenen Bundesländern, die bereits Eignungszonen für Windkraft festgelegt haben und diesen Punkt bereits prüften, keine Rolle mehr für den Ausgang der UVP spielen. Gleichzeitig erhebt die Novelle die Energiewende nun zu einem „hohen öffentlichen Interesse“.
Die Novelle greift außerdem Vorschläge von UVP-Experten aus der Praxis auf, die das Klimaschutzministerium vor einem Jahr an den Tisch holte, um die Verfahren zu beschleunigen. Eine bessere Struktur soll künftig für mehr Transparenz sorgen, die Novelle legt klare Fristen für Einwendungen fest. Das soll etwa verhindern, dass Projektgegner ihre Beschwerden erst kurz vor der mündlichen Verhandlung einbringen, diese damit blockieren und künstlich in die Länge ziehen. Außerdem sollen Verhandlungen auch nach Corona noch hybrid abgehalten werden, ein Sachverständiger kann so etwa auch online daran teilnehmen. „Das ist eine große Erleichterung“, sagt Nährer, „denn in der Praxis gibt es leider zu wenige Amtssachverständige, ihre Zeit ist daher sehr knapp.“ Sie sieht die Novelle insgesamt als „großen Wurf“.

Wie bewertet die Umweltszene die Novelle der UVP?
„Die Novelle ist eine positive Entwicklung“, sagt auch Priska Lueger, Juristin bei Ökobüro, das unter anderem die Umweltorganisationen Birdlife, Global 2000, Naturschutzbund und WWF vertritt. „Sie bringt einen Ansporn, die Erneuerbaren auszubauen, mehr Bodenschutz, eine Verfahrensbeschleunigung und eine bessere Strukturierung von Verfahren.“

Kritisch sieht Lueger allerdings zwei Punkte. Erstens: Die Schwellenwerte, ab wann Großprojekte UVP-pflichtig sind und die Behörde sie auf Herz und Nieren prüfen muss, werden in der Novelle zwar in einzelnen Bereichen gesenkt, „aber sie sind im internationalen Vergleich noch immer sehr hoch“. Zweitens: Projektwerber mussten früher Ausgleichsflächen schaffen, wenn sie mit ihrem Projekt die Natur schädigten. Wenn das nicht möglich ist, sollen sie künftig stattdessen Geld in Naturschutzprojekte der Bundesländer investieren können. „Die Frage ist, wie sehr man solche Eingriffe mit Geld aufwiegen kann“, sagt Lueger, „wenn ein Ökosystem zerstört ist, kann man das schwer wiederherstellen.“

Falter

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