Union einigt sich auf Notmaßnahmen

13. September 2022, Brüssel
Gasumlage wird geändert - Würzburg, APA/dpa

Energiekrise. Die Minister der EU-Staaten vereinbaren einen Gaspreisdeckel, die Abschöpfung von Übergewinnen und einen Stromsparplan. Details muss nun die EU-Kommission erarbeiten.

Die EU wird bis Winter am tiefsten und umfassendsten in die Märkte für Gas und Elektrizität eingreifen, seit der gemeinsame Binnenmarkt vor drei Jahrzehnten geschaffen wurde. Die Energieminister der Mitgliedstaaten gaben der Europäischen Kommission am Freitag bei ihrem Krisentreffen in Brüssel grünes Licht für gesetzliche Vorschläge in vier Bereichen.

Erstens, wie von der Kommission bereits vorgeschlagen, eine Höchstgrenze für die Gewinne all jener Stromerzeuger, die billiger als das jeweils teuerste Gaskraftwerk produzieren. Die Erträge daraus sollten direkt an die Verbraucher fließen und somit deren Stromrechnungen verringern. Dazu soll sich eine Solidaritätsabgabe für die Betreiber aller kalorischer Kraftwerke gesellen. Auch sie soll für die Senkung der Stromrechnungen verwendet werden.

Zweitens soll die Kommission eine Höchstpreisgrenze für sämtliche Gaslieferungen präsentieren: egal, ob es über russische und norwegische Pipelines oder in verflüssigter Form auf Tankern aus Übersee kommt. Die Kommission hat ursprünglich nur einen Preisdeckel für russisches Gas vorgeschlagen. Das wurde jedoch von mehreren Mitgliedstaaten, darunter Österreich und Ungarn, abgelehnt. Belgien hat vorgeschlagen, einen dynamischen Höchstpreis einzuführen, der sich an den jeweils aktuellen Preisen für Flüssiggas in Asien orientiert, mit einem kleinen Aufschlag, um die Lieferung nach Europa kaufmännisch attraktiv zu halten. Bei der Pressekonferenz nach dem Ministertreffen wichen sowohl Energiekommissarin Kadri Simson als auch der tschechische Energieminister und Sitzungsleiter, Jozef Síkela, Fragen nach der konkreten Art und Weise dieses Gaspreisdeckels aus.

Strom sparen — aber wie?

Drittens einigten sich die Minister darauf, dass die EU-Staaten nur dann halbwegs unbeschadet durch den Winter kommen, wenn sie aufeinander abgestimmt ihren Stromverbrauch senken. Doch hier tat sich auf dem Podium ein klarer Konflikt zwischen den Vorstellungen der Minister und den Absichten der Kommission auf. Auf die Frage der „Presse“, ob dieses EU-weite Stromsparen verbindlich oder freiwillig kommen solle, antwortete Síkela: „Ich erwarte einen ähnlichen Zugang wie beim Gas. Also zuerst freiwillig, dann eventuell verpflichtend. Das muss noch diskutiert werden.“ Simson jedoch kündigte das Gegenteil an: „Die Mitgliedstaaten sind üblicherweise immer zurückhaltend, wenn es um verpflichtende Ziele geht. Wir werden verbindliche Senkungsziele für Stunden des Höchstverbrauchs vorschlagen, also in den teuersten Stunden. Denn wenn dann die teuersten Kraftwerke nicht verwendet werden müssen, können wir die derzeitige Herausforderung auf den Elektrizitätsmärkten in Europa reduzieren.“

Viertens: Das Maßnahmenbündel, das die Kommission am Dienstag nächster Woche bei ihrer Sitzung in Straßburg am Rande der Plenartagung des Europaparlaments beschließen soll, betrifft die drohende Liquiditätskrise vieler Energieversorger, von der in Österreich allen voran die Wien Energie ein Lied singen kann. Die Kommission solle „Notfallsliquiditätsinstrumente gestalten, die sicherstellen, dass Marktteilnehmer ausreichende Sicherheiten haben, um Aufforderungen zu Nachschüssen (Margin Calls, Anm.) erfüllen zu können“, heißt es in der Zusammenfassung der Ministersitzung durch den tschechischen Ratsvorsitz. Das solle vor allem die wachsende Volatilität auf den Märkten für Termingeschäfte mit Elektrizität glätten, denn sie sorgt für große Unsicherheit bei den Versorgern und trägt die aktuellen Preiserhöhungen bis weit ins neue Jahr hinein. Praktisch dürfte dies unter anderem dadurch geschehen, dass die Kommission weitere Formen von Vermögenswerten und von Wertpapieren als Sicherheiten für die Energieunternehmen zulässt.

„Es war keine einfache Diskussion und definitiv nicht die letzte“, resümierte Síkela. „Aber wir wissen jetzt genau, welchen Weg wir einschlagen müssen.“ Er kündigte ein mögliches weiteres Ratstreffen im September an, um die Vorschläge der Kommission zu beschließen.

Ungarn gegen Gaspreisdeckel

Erneut zeigte sich, wie sehr Ungarn in der EU isoliert ist. So vertrat Außenminister Péter Szijjártó sein Land im Kreis der Energieminister, was an sich schon äußerst ungewöhnlich ist. Und während alle Minister im öffentlich übertragenen Teil der Sitzung die europäische Solidarität und Notwendigkeit gemeinsamer Lösungen betont haben, lobt Szijjártó sich selbst dafür, neulich im Kreml neue Gaslieferungen für Ungarn herausverhandelt zu haben, hat sich darüber beklagt, dass dies als „Betteln“ bezeichnet wurde („Ich habe sehr hart verhandelt“), und schon vor der Sitzung damit gedroht, einen Preisdeckel für russisches Gas abzulehnen: „Das wäre gegen die Interessen der EU und Ungarns und würde sofort zur Einstellung von Gaslieferungen führen.“

von unserem Korrespondenten Oliver Grimm

Die Presse

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