Der Solarexpress

30. Jänner 2023

Ein Start-up in der Schweiz plant, abnehmbare Solarmodule auf Bahnschwellen zu installieren, um Ökostrom zu gewinnen. Ein Spezialzug soll die Paneele ausrollen. So könnte das Schienennetz künftig zur Energiewende beitragen. Fachleute und die ÖBB bleiben skeptisch.

Viele Tausend Kilometer Bahngleise schlängeln sich durch Europa. Allein in Österreich ist das Schienennetz rund 5600 Kilometer lang. Fahren sie mit erneuerbarem Strom, sind Züge ein klimafreundliches Transportmittel. In Zukunft könnten die Gleise sogar selbst zum Klimaschutz beitragen. Schon lange existiert die Idee, Solarmodule auf Bahnschwellen zu installieren, um Ökostrom zu erzeugen.

Zunächst klingt das nach einer guten Idee. Die Solarmodule verbrauchen keine Extraflächen, der Gleisbereich ist bereits versiegelt. Die Schienen sind standardisiert, wodurch sich Solarpaneele leicht planen lassen. Bahnmitarbeiterinnen und -mitarbeiter warten die Strecken regelmäßig. Der erzeugte Strom könnte direkt in die Oberleitungen oder ins lokale Verteilnetz fließen und Haushalte mit erneuerbarer Energie versorgen.

Teststrecke in der Schweiz geplant

In der Schweiz sollen bald Weichen für die Photovoltaik auf Bahnschwellen gestellt werden. Im Rahmen eines Pilotprojekts will das Start-up Sunways im Kanton Neuenburg heuer einen Gleisabschnitt mit Solarmodulen ausstatten. Zehn Kilometer sollen es bis 2024 werden. Im Mai wollen sie die ersten Paneele installieren. Um den Prozess zu vereinfachen, hat Sunways eine eigene Methode entwickelt.

Vor der Montage am Gleis werden die Solarzellen in einer Fabrik vormontiert und auf einen Spezialzug geladen. Der Zug fährt dann die Strecke entlang und rollt die Solarzellen wie einen Teppich zwischen den Schienen aus, so die Idee. Liegen die Module, löst der Zug einen Mechanismus aus, durch den die Module zwischen den Schienen eingeklemmt werden. Fachkräfte schließen die Paneele dann ans Netz an, so die Idee.

Das Start-up wittert großes Potenzial und schätzt, dass in der Schweiz eine Fläche von rund sieben Quadratkilometern für Solarstrom auf Bahnschwellen verfügbar ist. Abziehen müssen sie Streckenabschnitte, die unter Tunneln verlaufen oder viele Stunden täglich im Schatten liegen. Rund 350.000 Haushalte könnten mit der verfügbaren Schwellenfläche mit Strom versorgt werden, so Sunways. Eine Terawattstunde Ökostrom könnte die Schweiz so pro Jahr erzeugen – knapp zwei Prozent ihres aktuellen Stromverbrauchs. Das Unternehmen betont, dass es damit nicht die Energiewende löst – aber zumindest einen kleinen Baustein liefert.

Ganz so einfach umsetzen lässt sich die Idee aber nicht. Besonders in der Wartung von Streckenabschnitten sehen Fachleute eine Herausforderung. „Man muss sicherstellen, dass die Solarmodule eine Wartung nicht behindern oder aufhalten“, sagt Martin Heinrich vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme im Gespräch. Eine weitere Hürde ist die Belastung der Solarzellen, wenn Züge mit hohen Geschwindigkeiten über sie hinwegdonnern. Steinschlag könnte die Paneele beschädigen, der Abrieb von Schienen und Bahnrädern sie verschmutzen. Module zu reinigen und instand zu halten erhöht den Wartungsaufwand der Bahnbetreiber. Sollten sich Solarmodule lösen, könnte das den Zugbetrieb gefährden.

Ein Fragezeichen stellt bisher auch noch die Einspeisung des erzeugten Stroms dar. So wie das Pilotprojekt aktuell geplant ist, lässt sich der erzeugte Strom nur begrenzt nutzen.
„Derzeit können wir die produzierte Elektrizität noch nicht in die Züge einspeisen. Aber wir können sie in die nahen Haushalte leiten“, sagt Baptiste Danichert, Co-Gründer von Sunways, im Gespräch. Das Start-up arbeitet bereits an Lösungen, um Paneele künftig an das Bahnstromnetz anzuschließen.

Start-up schlägt Lösungen vor

Sunways gibt an, für viele Probleme schon Antworten parat zu haben. „Der große Vorteil unserer Lösung ist, dass sich die Solarmodule für Wartungsarbeiten leicht entfernen lassen“, sagt Danichert. Technikerinnen und Techniker benötigen nur Werkzeuge, die sie auch bei regulären Wartungsarbeiten einsetzen, sagt er. Für die Wartung sieht Danichert deshalb keine großen Probleme. Reinigen könnte man die Paneele mit zylindrischen Bürsten an Zügen, die den Bremsstaub oder andere Verschmutzungen während der Fahrt entfernen. Für Gebiete mit starkem Schneefall plant Sunways ein System, das Schnee und Eis zum Schmelzen bringt. Um Zugführerinnen und Zugführer mit den Paneelen nicht zu blenden, schlägt Sunways spezielle Solarzellen mit Blendschutzfilter vor.

In den nächsten Jahren will das Start-up expandieren – nach Deutschland, Italien und Österreich, in die USA und nach Asien. Ob die Technologie hierzulande überhaupt benötigt wird, bleibt jedoch fraglich. Schon heute erzeugen die ÖBB einen großen Teil ihres Stroms aus Wasser, Wind und Sonne. Obwohl es Erwägungen gab, den Gleisbereich für Photovoltaik zu nutzen, verfolgen sie die Idee derzeit nicht, schreibt ein ÖBB-Sprecher auf Anfrage. Neben den genannten Hürden liegt das auch an der Wirtschaftlichkeit: Die hohen Investitionskosten für die Installation rechnen sich nicht mit dem Ertrag, den die Solarmodule abwerfen. Eine Pilotanlage sei bisher nicht geplant.

Auf dem Abstellgleis ist die Idee aber noch nicht gelandet. Die geplanten Projekte verfolge man mit „großem Interesse“, schreibt die ÖBB. Ergeben sich daraus neue Erkenntnisse, werde man die Idee eventuell neu bewerten.

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