Stromwende geht sich nicht aus

15. Feber 2023, Wien

Grüne Energie. Bei Strom aus ökologischen Quellen ist Österreich dank seiner Flüsse zwar begünstigt, doch im Vergleich zu anderen EU-Staaten stagniert der Anteil der Erneuerbaren am Strom-Mix seit Jahren.

„Land der Berge, Land am Strome“ — mit diesen in der ersten Zeile der Bundeshymne gepriesenen geografischen Reizen hätte Österreich gute Karten, um bei der Gewinnung von Energie aus Wasser, Wind und Sonnenlicht in der ökologischen Champions League mitzuspielen. Und in der Tat liegt die Republik im europäischen Vergleich weit vorn, was die Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen anbelangt: So lag der Anteil der Erneuerbaren am österreichischen Strom-Mix im Vorjahr bei knapp 80 Prozent, geht aus Daten der Internationalen Energieagentur IEA hervor, die „Die Presse“ ausgewertet hat (die Zahlen von November und Dezember liegen derzeit allerdings noch nicht vor). Nur wenige Länder können da mithalten — und jene, die es können, sind wie Island (heiße Quellen) oder Norwegen (Wasser- und Windkraft) mit grünen Ressourcen so reichlich gesegnet, dass sie die Energiewende de facto in der Tasche haben.

Nicht so Österreich. Hierzulande hat die türkis-grüne Regierung die Devise ausgegeben, wonach Strom spätestens 2030 zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden soll. Es gilt also, in den kommenden Jahren den Anteil um ein knappes Viertel zu pushen. Die Auswertung der IEA-Daten zeigt allerdings, dass Österreich seine Dynamik der vergangenen Jahre durchbrechen müsste, um dieses selbst gesteckte Ziel zu erreichen. Während nämlich sowohl in den großen EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Spanien und Frankreich der Ökostromanteil seit zehn Jahren langsam, aber stetig wächst, hat er sich hierzulande auf einem vergleichsweise hohen Niveau eingependelt (siehe Grafik). Wobei jene Länder, die wie Deutschland über eine Meeresküste verfügen oder wie Spanien übers Jahr auf viele Sonnenstunden kommen, es beim Ausbau von Wind- und Solarkraft einfacher haben.

„Der Trend der vergangenen ein bis zwei Jahre zeigt in die richtige Richtung, in den Jahren davor war das nicht der Fall“, fasst Mark Sommer, Umweltökonom am Wiener Wifo-Institut, die Entwicklung zusammen. Beispiel Windkraft: In der ersten Hälfte der 2010er-Jahre wurde die Kapazität deutlich ausgebaut, ab 2016 habe sich die Entwicklung stark abgeflacht — und nehme spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine vor einem Jahr wieder zu. Klar scheint jedenfalls zu sein, dass sich Österreich beim angepeilten Ökostrom-Quantensprung von 80 auf 100 Prozent Anteil nicht mehr auf die Wasserkraft verlassen kann — denn hierzulande können die Kapazitäten laut Sommer nur noch marginal ausgebaut werden. Schätzungen zufolge blieben nur noch einige wenige Prozentpunkte des Wasserkraftpotenzials zur Ausschöpfung übrig — mehr Staustufen gehen sich selbst beim besten Willen nicht aus.

„Enormer“ Preiseffekt von Wasserkraft

Allzu sehr sollte man sich auf den „blauen“ Strom allerdings auch nicht verlassen — denn mit dem Fortschreiten des Klimawandels steigt auch die Gefahr von extremen Wetterlagen mit negativen Auswirkungen auf die Energiegewinnung. So hat Mathias Mier vom Münchener Ifo-Institut ausgerechnet, dass die Dürreperiode im vergangenen Jahr die Stromerzeugung aus Wasserkraft in Europa um knapp 15 Prozent reduziert hat — im von der Dürre besonders stark betroffenen Frankreich waren es sogar 25 Prozent. Ein Blick auf die IEA-Daten zeigt, dass auch in Spanien der Anteil der Wasserkraft am Öko-Mix 2022 besonders niedrig war. Welche Auswirkungen hatte dieses dürrebedingte Minus? „Der Preiseffekt der Wasserkraft war 2022 enorm“, sagt Ifo-Experte Mier — vergleichbar mit dem Preisschock, den die wartungsbedingte Stilllegung der Hälfte der französischen Atomkraftwerke ausgelöst hatte. Und im Vorjahr mussten diese zwei negativen Einzelereignisse zum kriegsbedingten Höhenflug der Gaspreise addiert werden — was in Summe eine historisch einmalige Belastung für die europäischen Stromverbraucher ergab.

Doch zurück zum Klimawandel: Für den Ifo-Forscher liegt es auf der Hand, dass Wasserkraft erstens „mit extremen Ausschlägen nicht so gut umgehen“ kann und zweitens derartige Extremereignisse „kurzfristig starke Preiseffekte erzeugen“ können. Mittel- bis längerfristig könnten diese Ausschläge zwar durch den Ausbau anderer erneuerbarer Energiequellen (konkret vor allem Windkraft) kompensiert werden, doch laut Mier führt selbst unter günstigsten Bedingungen kein Weg an fossilen Energieträgern vorbei. In seinen Berechnungen für den europäischen Energiemix im Jahr 2050 setzt der Ökonom eine Kapazität von 250 Gigawatt für Gaskraftwerke voraus — diese sei notwendig, um in der EU Dürren, Flauten etc. kompensieren zu können. Als Alternative zum Gas könne auch auf Atomstrom gesetzt werden — „am Ende ist es eine politische Entscheidung“, so Mier.

von Lukas Görög und Michael Laczynski

Die Presse