„Wir haben keine so hohen Preise verrechnet“

23. Mai 2023

Wien Energie. Laut Geschäftsführer Michael Strebl ist der Handel an den Energiebörsen sicher. Das „bestgeprüfte Unternehmen Österreichs“ sei vergangenes Jahr politisch zwischen die Fronten geraten.

Im Spätsommer 2022 drohte Österreichs größtem regionalen Energieversorger in Folge von Verwerfungen im Großhandel die Zahlungsunfähigkeit. Wien-Energie-Chef Michael Strebl sprach mit dem KURIER über Strompreise, Energiebörsen und Politik.

KURIER: Wien Energie hat ein bewegtes Jahr hinter sich – sind die Gewässer wieder ruhiger?
Michael Strebl: Sie sind ein bisschen ruhiger geworden. In der Energiewirtschaft muss man die Balance von drei Ziele halten: Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Umweltschutz. Jeder dieser drei Punkte ist letztes Jahr ins Wanken geraten.

Laufen noch Überprüfungen zu den August-Ereignissen?

Wir sind momentan sicherlich das bestgeprüfte Unternehmen Österreichs. Wir haben mehrere Untersuchungen gehabt, von Stadtrechnungshof, Bundesrechnungshof, alle sonstigen möglichen Institutionen und natürlich die U-Kommissionen. Die Rechnungshöfe sind zum Teil noch im Haus, aber das nähert sich dem Ende. Beim Jahresabschluss haben wir vom unabhängigen Wirtschaftsprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk bekommen.
Die Stadtregierung hat Ihre Kommunikation in der Krise kritisiert. Gerechtfertigt?

Ja, da waren wir sicher zu langsam.

Was ist geblieben vom „Black Friday“?

Wir waren sehr stark in der Defensive und mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigt. Ich hätte lieber mehr Ressourcen in die Gestaltung der Zukunft hineingesteckt.

Sind Sie politisch zwischen die Fronten gekommen?

Ja, mit Sicherheit, aber ich möchte da nichts mehr hinzufügen.

Das Problem hat sich aus dem Börsenhandel ergeben. Ist mehr bilateales Geschäft keine Option für Sie?

Der Börsenhandel ist insofern eine sehr sichere Option, weil für alle Geschäfte Kautionen hinterlegt werden. Wenn bei einem Handelspartner was schiefgeht, liegt dort eine Kaution, die Sie absichert. Das führt natürlich auf der anderen Seite zu Liquiditätsbedürfnissen. Im bilateralen Handel haben Sie diese Liquiditätsbedürfnisse nicht, aber das Risiko, dass Ihnen Ihr Handelspartner ausfällt. Ein paar Tage nach unserem Black Friday war die Schweizer Axpo stark in Liquiditätsschwierigkeiten. Wenn die ausgefallen wäre, hätte das einen Rattenschwanz an anderen Unternehmen mitgezogen.

Der Staat ist eingeschritten.

Ja, da wurde ein Schutzschirm gemacht. Mittlerweile stellt sich die Situation wieder anders dar, weil durch die staatlichen Schutzschirme und die zurückgegangenen Preisniveaus der bilaterale Handel wieder attraktiver wird. Wenn ich weiß, dass der Handelspartner in einem staatlichen Schutzschirm ist, ist es natürlich umso leichter mit dem auch sicher zu handeln.

Was schützt Sie vor dem nächsten „Black Friday“?

Erstens ist das Preisniveau wieder niedriger. Aber wir haben auch risiko- und liquiditätsschonende Maßnahmen eingeleitet. Ich habe die Vorgänge im August ja mit einem Tsunami verglichen. Wir hatten eine zwei Meter fünfzig hohe Mauer gegen die Flutwelle gebaut. Jetzt haben wir gesehen, das ist nicht hoch genug und haben die Mauer vier Meter fünfzig hoch gebaut.

Warum zahlen Neukunden gut 50 Cent/kWh für Strom?

Die absolute Mehrheit unserer Bestandskunden zahlt seit September einen Preis von etwa 22 Cent, mit der Frei-Energie-Aktion sogar nur etwa 16 Cent pro Kilowattstunde. Ich will nicht unkollegial sein, aber das ist deutlich weniger als das, was andere Energieversorger jetzt als Preissenkung verkaufen.

Aber wieso ist es für Neukunden so viel teurer?

Da wirken die hohen Großhandelsstrompreise vom letzten Jahr nach. Aber auch Neukunden bekommen 90 Frei-Energie-Tage.

Wieso verlangen Sie nicht einfach niedrigere Preise?

Wir haben im Vergleich zu anderen Anbietern keine so hohen Preise verrechnet, sonst hätten wir nicht 140 Millionen Euro Verlust in unserer Vertriebsgesellschaft.

Aber nur wegen befristeter Rabatte.

Wir werden im Sommer ein neues, wettbewerbsfähiges Angebot schnüren. Und wir geben heuer insgesamt 140 Millionen Euro an unsere Kundinnen und Kunden weiter: 50 Mio. Euro in der Fernwärme, rückwirkend für die vergangene Heizperiode, 80 Mio. Euro für Rabatte und Frei-Energie-Tage für Strom und Gas und weitere 10 Mio. Euro für soziale Härtefälle.

Wie viele Frei-Energie-Tage wird es geben?

Das hängt vom Strompreis im Sommer ab, jedenfalls wird es ein Volumen von 80 Millionen Euro sein.
Die Großhandelspreise sind seit 2022 stark gesunken …

Es werden jetzt auch wieder stark Float-Tarife beworben, aber da haben manche ein schlechtes Gedächtnis. Stellen Sie sich vor, wir hätten die Preise vergangenen Sommer an den Großhandelspreis gekoppelt. Dann hätten wir im August 1.000 Euro die Megawattstunde an unsere Kundinnen und Kunden verrechnet. Das entspricht etwa 30 Euro für einen Liter Benzin.

Die Diskont-Anbieter sind zurück am Markt und schon wieder deutlich billiger.

Vergangenes Jahr haben einige Energieversorger ihre Kunden gekündigt. Wir haben, im Gegenteil, sehr viele Kunden aufgenommen, die andere gekündigt haben und im letzten Jahr 80.000 neue Kunden dazugewonnen. Jetzt kommen diese Anbieter wieder zurück auf den Markt. Ich kann nur an alle Kunden appellieren, sich genau anzuschauen, mit wem sie jetzt einen Vertrag abschließen. Möglicherweise werden das wieder genau diejenigen sein, die dann ihre Kunden rausschmeißen, wenn es wieder stürmischere Zeiten gibt.

Wie kann man sich gegen diese „Stürme“ wappnen?

Meiner Meinung nach muss man jetzt zwei Sachen machen: Kurzfristig entlasten, damit Energie leistbar bleibt und um den Wirtschaftsstandort nicht zu gefährden. Das zweite und wirklich wichtige Thema ist, sich aus der Abhängigkeit von Gas herausinvestieren. Dafür geben wir in den nächsten fünf Jahren 1,8 Milliarden Euro aus.

Gibt es konkrete Projekte, die heuer fertig werden?

Mehrere. Wir bauen zum Beispiel die größte Wärmepumpe Europas mit der Kläranlage in Simmering. Der erste Teil soll 55.000 Haushalte versorgen und geht gegen Ende des Jahres in Betrieb. Der zweite Teil kommt bis 2026, dann haben wir 110.000 Haushalte. Heuer kommt außerdem die Abwärmenutzung von einem Rechenzentrum für das Klinikum Floridsdorf, und am Standort Spittelau setzen wir eine weitere große Wärmepumpe ein. Beim Kraftwerk Donaustadt mischen wir dem Erdgas in einem Betriebsversuch 15 Prozent Wasserstoff bei.

Muss sich auf der regulatorischen Ebene etwas ändern?

Die Krise hat Schwachstellen aufgezeigt. Es ist wichtig, dass man das Marktsystem auf europäischer Ebene weiterentwickelt. Wenn irgendwer sagt, das ändern wir in Österreich, dann ist das Humbug. Dabei geht es auch um die Akzeptanz von erneuerbaren Energien. Wir müssen sicherstellen, dass die Preisvorteile bei den Kunden ankommen.

Kurier

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