Warum Österreich von Russland nur schwer loskommt

27. Juni 2024, Wien

Außenhandel. Weil 2023 die Importe sanken, die Exporte aber stiegen, ging Österreichs Außenhandelsdefizit stark zurück. Die Ausfuhren nach Russland reduzierten sich, aber nicht annähernd so stark wie im Rest der EU. Das hat mehrere Gründe.

Die Entspannung bei den Gaspreisen schlug sich im Vorjahr auch in der Handelsstatistik nieder. Und zwar deutlich. Der Wert der österreichischen Importe sank 2023 im Jahresvergleich um 5,8 Prozent auf 202,78 Milliarden Euro. Gleichzeitig legten die Exporte um 3,1 Prozent auf 200,76 Mrd. Euro zu. Bleibt unter dem Strich ein Außenhandelsdefizit von 2,02 Mrd. Euro, wie die Statistik Austria am Dienstag bekannt gab. 2022, als der massiv gestiegene Gaspreis den Wert der heimischen Importe aufgebläht hatte, lagen die Einfuhren um 20,59 Mrd. über den Ausfuhren.

Für eine kleine, exportorientierte Volkswirtschaft ist der Exportzuwachs im Vorjahr freilich eine erbauliche Nachricht. Vor allem Maschinen und Fahrzeuge sowie chemische Erzeugnisse hatten außerhalb Österreichs eine gute Nachfrage. Wichtigste Exportmärkte waren – wie bislang auch – die Mitgliedstaaten der EU, allen voran Deutschland. Erstaunlich ist vielmehr, dass sich Russland auch im zweiten Kriegsjahr unter den wichtigeren Handelspartnern Österreichs halten konnte. Heimische Firmen exportierten Waren im Wert von rund 1,3 Mrd. Euro, aus Russland wiederum kamen Waren im Wert von rund 4,1 Mrd. Euro nach Österreich.

Österreichs Russland-Faible

Zwar steht sowohl bei den heimischen Einfuhren aus Russland als auch bei den Ausfuhren in das kriegstreibende Land im Jahresvergleich ein Minus. Aber bei den Russland-Exporten ist das Minus deutlich kleiner als im Rest Europas, wie ein Papier des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) zeigt. WIIW-Ökonom Vasily Astrov hat dafür Handelsstatistiken zwischen dem ersten Halbjahr 2021 und dem ersten Halbjahr 2023 untersucht. Und in diesem Zeitraum zeigt sich etwa: Die heimischen Ausfuhren von Maschinen und Fahrzeugen nach Russland gingen um 52 Prozent zurück. Aber die EU-Staaten exportierten im Schnitt 78 Prozent weniger. Insgesamt gingen die österreichischen Russland-Ausfuhren in besagtem Zeitraum um 32 Prozent zurück, die europäischen aber um 56 Prozent (siehe Grafik).

Das hat mehrere Gründe, wie Astrov im Gespräch mit der „Presse“ sagt: „Die Struktur der österreichischen Exporte nach Russland ist anders als jene der EU-Exporte.“ Die heimischen Exporte nach Russland weisen einen höheren Anteil an Chemie- und Pharmaerzeugnissen auf als die resteuropäischen Russland-Exporte. Pharmazeutika sind nicht sanktioniert. Und das erklärt zumindest teilweise, weshalb die heimischen Ausfuhren weniger stark auf den russischen Einmarsch in der Ukraine und die westlichen Sanktionen gegen das Land reagiert haben.

Aber Astrov hat noch eine zweite Erklärung. „Vermutlich spielt auch eine Rolle, dass sich vergleichsweise wenige österreichische Unternehmen seit Kriegsausbruch ganz aus Russland zurückgezogen haben“, sagt der WIIW-Ökonom: „Die Präsenz vor Ort dient auch dazu, Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten.“ Denn wie eine Datenbank der Kyiv School of Economics zeigt, haben vergleichsweise wenige österreichische Unternehmen Russland bisher verlassen. Gemessen am Anteil der vor dem Krieg im Land tätigen Firmen waren nur griechische und slowenische Firmen bisher zaghafter beim Rückzug aus Russland.

Auf die Menge kommt es an

Wobei dies wiederum mehrere Gründe haben kann. Zweifelsfrei gibt es jene westlichen Unternehmen, die in Russland gutes Geschäft machen und auf Zeit spielen, in der Hoffnung, dass sich die Wogen irgendwann glätten. Andererseits zogen heimische Firmen in den Jahren 2016 und 2020 beispielsweise ähnlich viel Kapital aus Russland ab wie seit dem Kriegsausbruch. Vermutlich gab es also auch Firmen, die ihr Russland-Geschäft bereits nach der Krim-Annexion 2014 überdacht haben.

Dass Österreichs Importe aus Russland – vornehmlich Gas – im Vorjahr wertmäßig um die Hälfte geschrumpft sind, hat nicht nur die Außenhandelsbilanz verbessert. Es darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Russland-Abhängigkeit nach wie vor groß ist: „Man sollte bei Gasimporten wegen der enormen Preisschwankungen immer auf die importierten Mengen schauen“, erklärt Astrov: „Und nicht auf den Wert der Importe schauen.“ Und gemessen an der Menge blieben die heimischen Gaseinfuhren aus Russland relativ stabil.

Wobei hier freilich auch geografische und rechtliche Gründe eine Rolle spielen. Die heimische OMV hat langfristige Lieferverträge mit der russischen Gazprom abgeschlossen. Und die Transportroute via Ukraine und Slowakei funktioniert seit Kriegsausbruch gut. Doch das kann sich ändern. Ab Jänner 2025 will die Ukraine kein russisches Gas mehr durchlassen.

von Aloysius Widmann