Energiewende: Wer bremst, verliert

15. Juli 2024, Wien

Industriepolitik. Setzt Europa mit seinen Klimazielen Wohlstand und Wirtschaft aufs Spiel? Oder ist es die Verzögerungstaktik mancher Lobbys in Sachen grüner Wende, die zur Gefahr werden kann?

Braucht Europa mehr oder weniger Energiewende? Glaubt man manchen Unternehmensvertretern, dann sind die Klimaziele der EU vor allem eines: ein unerschöpflicher Quell an Bürokratie und eine lästige Bremse für ihr Wachstum. Sie fordern eine Pause von den grünen Ideen. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen, warnen die Autoren einer aktuellen Studie von Cambridge Econometrics im Auftrag des Kontext-Instituts für Klimafragen. Der Wandel ist schon unterwegs. Statt die unvermeidbaren Verluste so lang es geht hinauszuzögern, sollten Politik und Wirtschaft eher daran arbeiten, die maximalen Gewinne aus dem Umbau der Volkswirtschaft herauszuholen.

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, haben die britischen Ökonomen zwei Szenarien für den Zeitraum 2022 bis 2050 berechnet und die Auswirkungen auf Wirtschaftsleistung, Jobs, Emissionen und Energieverbrauch modelliert. Im Szenario eins setzt Europa „nur“ die bereits beschlossenen Maßnahmen um, also etwa eine stärkere Bepreisung von CO₂. Szenario zwei ist eine Art Offensivvariante, stark angelehnt an den Net Zero Industry Act, mit dem die EU die eigene grüne Industrie im Wettkampf mit den USA und China stärken will.

Das Ergebnis: Schon in Szenario eins bleibt kein Stein auf dem anderen. Der Öl- und Gassektor halbiert seine Gewinne bis 2050, der Kohlesektor bricht vollkommen ein. Dafür legen Unternehmen, die sich mit Maschinenbau und Elektrotechnik beschäftigen, stark zu (siehe Grafik). Das ambitioniertere Szenario verstärkt die Effekte überall, vor allem aber auf der Seite der Gewinner. Elektrotechnik, Motorindustrie und Maschinenbau erwirtschaften 2050 fast eine Billion Euro mehr als im Basisszenario. Unter dem Strich würden sowohl Österreich als auch die EU im Jahr 2050 um 3,3 Prozent mehr Geld erwirtschaften und 2,5 Millionen (in Österreich 44.000) zusätzliche Jobs schaffen als im Basisszenario.

Umwälzung am Arbeitsmarkt

Eine Transformation der Industrie würde den europäischen Arbeitsmarkt „grundlegend verändern“, sagt auch die OECD in einer neuen Studie. Am größten sei das Potenzial bei bereits bestehenden Berufen, die künftig stärker nachgefragt werden und deren Aufgabengebiete sich leicht verändern. Vor allem in der Bauwirtschaft sehen die Studienautoren große Potenziale.

Gleichzeitig würden einst bedeutende Wirtschaftszweige deutlich schrumpfen. Die Zahl derer, die in diesen CO₂-intensiven Branchen tätig sind, werde bis 2030 um 14 Prozent zurückgehen. Am stärksten davon betroffen sind hier die Automobilindustrie oder der Bergbau, wo vor allem in Osteuropa noch immer viele Menschen beschäftigt sind. Diese in grünen Industriezweigen unterzubringen, sei eine enorme Herausforderung, sagt Studienautor Stéphane Carcillo – sowohl standortpolitisch als auch für die Betroffenen selbst. Im weiter gefassten Blick der Cambridge-Studie kehren sich diese Verluste bis 2050 in vielen Bereichen allerdings wieder um.

Dennoch brauche es dort, wo große Fabriken schließen, gute Programme, um die Region strukturell zu erhalten und die Beschäftigten aufzufangen. Wegen des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrads in vielen Industriesparten sind Löhne und Gehälter in diesen Berufen oft überdurchschnittlich hoch– auch für schlechter Ausgebildete. Ein Jobwechsel wäre für viele mit gravierenden Einkommensverlusten verbunden.

Trotz der Herausforderungen ist eine konsequente Umgestaltung der Industrie alternativlos, sind sich die meisten Experten einig. „Es geht nicht mehr nur darum, höhere Klimaziele zu beschließen, sondern auch darum, diese Transformation verbindlich und gezielt zu gestalten“, sagt Florian Maringer, Vorstand von Kontext. „Die Transformation passiert sowieso. Das Risiko ist, dass wir nicht auf den Zug aufspringen und so Jobs und Wirtschaftswachstum verloren gehen, weil wir weiter auf die Nutzung fossiler Energien setzen.“

Europa ist hier auch im Hintertreffen gegenüber China und den USA. In den beiden weltgrößten Volkswirtschaften laufen umfassende Förderprogramme zum Aufbau der grünen Industrien. Dem muss die EU mit dem Net Zero Industry Act erst etwas entgegensetzen. Die Studienautoren fordern von der Politik, klare Planungs- und Investitionsbedingungen zu schaffen. Heißt konkret: Die Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass der Ausstieg aus den Fossilen wirklich kommt. Ebenso darauf, dass sie auf dem Weg dahin ausreichend unterstützt werden.

Drehen an der Steuerschraube

Das müssen nicht immer direkte Subventionen wie der österreichische Transformationsfonds für die Industrie sein, den die OECD in ihrem Länderbericht jüngst gelobt hat. Auch kleinere Eingriffe ins Steuersystem könnten große Wirkung entfalten, so die Autoren: Würde etwa Strom aus Wärmepumpen von einem Teil der Steuern befreit, rechne sich die Technologie auch für viele Unternehmen bedeutend rascher.

von Matthias Auer und David Freudenthaler

Die Presse

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