Wo steckt die graue Energie?

16. August 2024

Die graue Energie umfasst den Energieaufwand, den Materialien in ihrem gesamten Lebenszyklus verursachen. Das ist beim Bauen wichtig.Gernot Stadler

ie Rechnungen fürs Tanken, für Strom oder Heizung zeigen schwarz auf weiß, was in einem bestimmten Zeitraum an Energie verbraucht wird. Und doch ist das nur ein Teil des tatsächlichen Verbrauchs. Denn auch die Herstellung, der Transport, die Lagerung und die Entsorgung aller Produkte verursachen mehr oder weniger Energie und CO2, ohne dass dies den Menschen bewusst ist. Wie viel tatsächlich anfällt, ist derzeit noch graue Theorie, weil sie nirgendwo ausgewiesen oder bezahlt wird. 

„Kaum jemand weiß, dass in jedem Laptop mehr graue Energie steckt, als dieser für seinen täglichen Betrieb benötigt“, sagt Gunther Graupner, Geschäftsführer der Zukunftsagentur Bau an der Bauakademie in der Salzburger Moosstraße. Bauen und Wohnen gehört zu den größten Verbrauchern von Energie und Rohstoffen. Der Sektor trägt mit 38 Prozent einen beachtlichen Teil zu den globalen CO2-Emissionen bei. Der Bausektor ist deshalb neben der Digitalisierung vor allem vom Green Deal betroffen, der die EU bis 2050 klimaneutral machen soll.

Seit 2006 gibt der Energieausweis Auskunft über den Energiebedarf von Neubauten im Betrieb. Im nächsten Schritt wird es ein Berechnungssystem zur Ökobilanz von Gebäuden geben, das ihre graue Energie ausweist. Die entsprechende EU-Taxonomie-Verordnung gibt es schon seit 2022. „Die nationalen Umsetzungen hinken noch ein wenig hinterher“, sagt Gunther Graupner: „Und es ist auch nicht so einfach, wie man vermuten möchte, weil Baustoffe derselben Norm nicht unbedingt den gleichen Fußabdruck haben.“

Das Projekt DigiBauRech soll die entsprechenden Daten zu den Produkten mit dem Lieferschein des Baustoffhandels verknüpfen und über eine Software bereitstellen. Das soll den Aufwand für kleine und mittlere Bauunternehmen minimieren. Schon in naher Zukunft wird damit bei jedem Bauprojekt nachvollziehbar sein, ob es sich um ein ökologisches Investment handelt, das Banken auch finanzieren dürfen.

Die weitaus meiste graue Energie eines Gebäudes steckt in der tragenden Struktur. Fachleute sprechen von einem Drittel für Außenwände, einem Drittel für Decken und Innenwände und je einem Sechstel für das Fundament und für den technischen Ausbau. Die Menge an grauer Energie wird allerdings auch von den verwendeten Baumaterialien beeinflusst. Das Brennen von Zement setzt besonders viel Kohlendioxid frei. Man spricht von etwa acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Laut Gunther Graupner gibt es Bemühungen, den CO2-Anteil im Zement zu senken: „Am erfolgversprechendsten erscheinen mir Initiativen der Betonerzeuger, weil sie rascher verfügbar sind als ein völlig neues Supermaterial. Es gibt bereits einen CO2-reduzierten Zement auf dem Markt.“ Andere Projekte arbeiten daran, dem Beton beim Mischen und Recyceln Kohlendioxid aus industriellen Prozessen zuzusetzen, wofür es dann CO2-Zertifikate gäbe. Auch beim Brennen von Zement wird immer öfter auf alternative Brennstoffe gesetzt. 

Um realistische Zahlen zur grauen Energie in einem neuen Wohngebäude zu erhalten, müssen nicht nur die verwendeten Baumaterialien eingerechnet werden, sondern auch alle kommenden Sanierungen sowie die Entsorgung, erläutert der Geschäftsführer der Zukunftsagentur: „Die Tragstruktur eines Gebäudes hält 100 Jahre. Das heißt, im Laufe seiner Lebenszeit fallen durchschnittlich drei Mal Fenstertausch, zwei Mal eine Außenfassade, drei Mal eine neue Heiztechnik sowie je ein Mal Elektro- und Sanitärinstallation an. Das alles wirkt sich auf die Anteile an grauer Energie stark aus.“

Wie kann man also beim Bauen graue Energie sparen? „Am besten, indem ein ,enkelfittes‘ Gebäude errichtet wird. Je länger es genutzt wird, umso weniger fällt die graue Energie ins Gewicht. Dazu muss man es je nach Bedarf umbauen, anders nutzen, eventuell sogar zerlegen und rückbauen können.“

Ist das technische Lebensalter eines Gebäudes erreicht, spielt beim Abbruch das Recycling eine entscheidende Rolle. Einerseits um graue Energie zu sparen, andererseits um Ressourcen zu schonen. Der enorme Verbrauch der Vergangenheit habe in einigen europäischen Regionen Rohstoffe verknappt, sagt Gunther Graupner: „Bei Ziegeln und Beton sind die Recyclingquoten heute schon sehr hoch. Noch wird das Material allerdings kaum im Wohnbau verwendet, sondern im Straßenbau, für den Unterbau oder Schüttungen.“ Laut seinen Schätzungen wird die Recyclingquote steigen, weil Beton heute schon nicht mehr deponiert werden darf.

Stahl, Beton und Ziegel verursachen einen etwas höheren grauen Energieeinsatz als Holz. Aber auch ein abgebautes Holzhaus lässt beim Deponieren oder Verbrennen das im Holz gespeicherte CO2 wieder frei. Derzeit wird der Großteil des Altholzes verbrannt, aber es gibt auch gute Ansätze für eine Wiederverwendung, etwa für Spanplatten. Beschichtungen machen das Recycling oft unmöglich, beispielsweise lackiertes Holz, mit Epoxidharz verklebter Holzboden oder bedampfte Gläser. Eine ausgewiesene Lebenszyklusanalyse auf jedem Baustoff könnte in Zukunft den Konsumenten die Entscheidungen für dieses oder jenes Produkt erleichtern.

„Mit der EU-Bauprodukteverordnung, die jetzt in der Entwurfsphase ist, werden alle Hersteller voraussichtlich ab 2027 verpflichtet, über ihre Produkte klar Auskunft zu geben“, weiß der Experte. 

Am 38-Prozent-Anteil der globalen CO2-Emissionen für das Bauen und Wohnen hält die graue Energie lediglich zehn Prozentpunkte, gibt er zu bedenken. „Die restlichen 28 Prozent entstehen im laufenden Betrieb. Studien haben gezeigt, dass dafür der energetische Zustand des Gebäudes und der Faktor Mensch maßgeblich sind.“

In naher Zukunft soll es deshalb bei Neubauten nur noch Plusenergiehäuser geben, die selbst mehr Energie erzeugen, als sie benötigen. „Dass in solchen Häusern durch den erhöhten Dämmstandard und mehr haustechnischen Aufwand etwas mehr graue Energie steckt, kann man mit einem Null-Verbrauch im Betrieb gut rechtfertigen“, meint der Geschäftsführer der Zukunftsagentur Bau: „Es ist außerdem sehr viel schwieriger, aus einem bereits bestehenden Gebäude ein Plusenergiehaus zu machen, als ein Neues zu errichten.“ Zurzeit werden allerdings noch in erster Linie Niedrigstenergiehäuser mit einem sehr geringen Heizbedarf errichtet.

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