Mehr Strom, weniger Öl und Gas

18. Oktober 2024

Die Internationale Energieagentur sieht im World Energy Outlook 2024 erhebliche Schwachstellen im globalen Energiesystem. Der Weg zur Klimaneutralität sei noch weit, heißt es.

Die Umwälzungen in der Energielandschaft gehen rasant voran, der Weg zur angestrebten Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts ist aber noch ein weiter und erfordert zusätzliche Anstrengungen: So lassen sich die Ergebnisse des am Mittwoch von der Internationalen Energieagentur (IEA) vorgestellten World Energy Outlook 2024 zusammenfassen. Die IEA mit Sitz in Paris ist die weltweit bedeutendste Kooperationsplattform für Regierungen und Experten zu Forschung, Entwicklung und Nutzung von Energieträgern und -technologien.

Der Strombedarf wachse schneller als erwartet. Angetrieben werde dieser „durch den Verbrauch der Leichtindustrie, Elektromobilität, Kühlung sowie Rechenzentren und Künstliche Intelligenz“, heißt es in dem Bericht. Die Umstellung der Heizsysteme, Fahrzeuge und von Teilen der produzierenden Unternehmen beginne sich auszuwirken.

Stromzeitalter

Nach dem Kohle- und Ölzeitalter sei die Menschheit auf gutem Weg, in eine Ära einzubiegen, in der Strom die Hauptrolle spiele. Der Ausbau der Wind- und Sonnenenergie in Verbindung mit der zunehmenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen wird nach Einschätzung der IEA dafür sorgen, dass die Nachfrage nach Kohle, Öl und Gas innerhalb dieses Jahrzehnts den Höhepunkt erreicht. Gleichzeitig sollten bis 2030 auch die Kohlenstoffemissionen ihren maximalen Wert erreichen und dann sinken.

Wissenschafter warnen seit langem, dass die globalen Treibhausgasemissionen drastisch zurückgehen müssen, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden.

In knapp vier Wochen beginnt in Baku, Aserbaidschan, die Weltklimakonferenz (COP 29, 11.–24. November). Dort wird die Weltgemeinschaft einen weiteren Anlauf unternehmen, den CO₂-Ausstoß rascher als bisher geplant einzudämmen.
Trotz Fortschritten beim Ausbau erneuerbarer Energien ist die Welt laut dem World Energy Outlook, der auch als „Bibel der Energiewirtschaft“ gilt, noch weit von den Zielen des Pariser Klimaabkommens entfernt. Der bisherige Rückgang der klimaschädlichen Emissionen reiche nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Werde weitergemacht wie bisher, würden die Emissionen nach Erreichen des Höhepunkts in diesem Jahrzehnt bis 2050 nur um durchschnittlich ein Prozent pro Jahr sinken. Für das Nettonull-Szenario sei aber eine jährliche Reduktion von 15 Prozent vonnöten.

China könnte noch mehr

Gelingen könne dies nur, wenn China bei diesem Wandel mitspiele, heißt es im World Energy Outlook. Die Treibhausgasemissionen im Reich der Mitte könnten und sollten auf die Hälfte des derzeitigen Niveaus reduziert werden, angetrieben durch die starke Zunahme erneuerbarer Energien und flankiert durch Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz.

Zumindest bei Elektroautos ist China jetzt schon Vorreiter, mit weitem Vorsprung auf andere Länder. Vier von zehn verkauften Neuwagen sind in China E-Autos, 20 Prozent aller weltweit verkauften batterieelektrischen Autos entfallen auf das Reich der Mitte. Das bringt die großen Öl- und Gasproduzenten in eine zunehmend missliche Lage, zumal die Elektromobilität auch außerhalb Chinas Fahrt aufnimmt. Nach Einschätzung der IEA, die sich dabei auf aktuelle Trends und Richtlinien stützt, werden Elektrofahrzeuge im Jahr 2030 etwa 50 Prozent des weltweiten Autoabsatzes ausmachen. Dadurch könnten bis zu sechs Millionen Fass (je 159 Liter) Rohöl pro Tag ersetzt werden.

Erhebliche Schwachstellen

Was die Energieversorgungssicherheit betrifft, gibt es nach Ansicht der IEA-Analysten etliche Gefahren: „Regionale Konflikte und geopolitische Spannungen beleuchten einige erhebliche Schwachstellen im heutigen globalen Energiesystem; sie verdeutlichen die Notwendigkeit stärkerer politischer Maßnahmen und größerer Investitionen, um den Übergang zu saubereren und sichereren Technologien zu beschleunigen und auszuweiten.“ Etwa ein Fünftel der globalen Öl- und LNG-Lieferungen (LNG steht für Liquefied Natural Gas, verflüssigtes Erdgas) geht derzeit durch die Meerenge von Hormus, die den Weg in den Arabischen Golf freigibt. Es ist eine der geopolitisch sensibelsten Regionen der Welt, mit dem Iran mittendrin.

Der Standard