Im Gespräch. Milliarden für die Stromnetze, stark steigende Netzentgelte: Wer bezahlt die Energiewende? Aus Sicht von APG-Vorstand Gerhard Christiner müsse diese „neu orchestriert werden“. Er fordert eigenen Regierungskoordinator.
Man hat sich teilweise von ideologischen Fantasien leiten lassen und viel zu wenig begriffen, dass es da um eine Neuaufstellung eines ganzen Energiesystems geht“ – es ist eine kritische Zwischenbilanz, die Gerhard Christiner rund um die Umsetzung der Energiewende in Österreich zieht. Der Vorstandssprecherdes österreichischen Übertragungsnetzbetreibers Austrian Power Grid AG (APG) vermisst insbesondere den „ganzheitlichen Blick“ und sieht eine neue Bundesregierung auf mehreren Ebenen rasch und intensiv gefordert. „Speziell politische Entscheidungsträger in Österreich, die ja auch die ehrgeizigsten Ziele in Europa vorgegeben haben, müssen sich schon etwas tiefergehend mit der Materie befassen“, sagt Christiner.
In den letzten Jahren der schwarz-grünen Bundesregierung habe er eine bisweilen „nicht ganz ehrliche Herangehensweise“ wahrgenommen. „Es braucht auch da eine Art Kassasturz, im Sinne dessen, was dieses System technologisch benötigt, um die gesetzten Ziele zu erreichen, es gehe um Fragen der Lieferketten, des nötigen Personals und Kapitals“, so Christiner. Sein Appell: „Man muss auch die Kundinnen und Kunden mitnehmen, die bereit sein müssen, die Energiewende mitzutragen und am Ende auch zu bezahlen. Darauf ist ein bisserl vergessen worden, es ist nur das Schöne kommuniziert worden, nämlich der Ausbau der Erneuerbaren, dass man für den Transport auch Netzinfrastruktur benötigt, darauf wurde oft vergessen. Die Energiewende ist aber kein ‚free lunch‘, sondern die Transformation eines kompletten Energiesystems. Das kostet und das muss am Ende auch jemand bezahlen – und zwar der Endkunde, diese Wahrheit muss auch auf den Tisch gelegt werden. Diese Gesamtsicht habe ich vermisst.“
Es dürfe nicht nur darum gehen, „möglichst jede Woche irgendwo einen Windpark oder eine PV-Anlage zu eröffnen“. Für die Energiewende sei nun einmal ein „stärkeres Netz unabdingbar, daran führt kein Weg vorbei, wenn wir in Österreich die Ziele für 2040 erreichen wollen, dann werden wir die installierte Leistung bei den Erneuerbaren im Vergleich zu heute verdreifachen müssen, der Stromverbrauch wird sich verdoppeln“, so Christiner. Er wünscht sich von einer kommenden Bundesregierung die Installierung eines eigenen, direkt beim zuständigen Minister oder der zuständigen Ministerin angedockten Koordinators für die Energiewende, denn diese müsse „neu orchestriert werden, wir brauchen dringend eine systemische Sichtweise, die Energiewende gehört als Geschichte neu aufgesetzt“. Sein Befund: „Wir sind in Österreich super beim Festlegen von Zielen, die europaweit sogar die ehrgeizigsten sind – und das kommunizieren wir dann ganz groß. Aber wenn’s ums Tun geht und die Umsetzung der dafür notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, dann verlässt uns der Mut.“
Das gelte insbesondere für das Dauerthema der Genehmigungsverfahren. So habe die EU „nach der Energiekrise schnell reagiert und eine Beschleunigungsverordnung erlassen, eine Notfallmaßnahmenverordnung, die beinhaltet, dass der Gesetzgeber in den EU-Ländern Projekte, die der Energiesouveränität und dem Klimaschutz dienen, einen legistischen Vorrang einzuräumen hat – auch gegenüber anderen Umweltaspekten. Österreich hat davon nicht Gebrauch gemacht“, so seine Kritik. Auch die „RED III-Richtlinie“ der EU, die es ebenfalls ermögliche, jenen Netzprojekten, die den Ausbau der Erneuerbaren unterstützen, ein überragendes öffentliches Interesse einzuräumen, wurde in Österreich nicht umgesetzt. Es gehe keineswegs darum, „drüberzufahren“, so Christiner. „Aber sich beim Netzausbau ewig im Kreis zu drehen und für jeden Käfer Gutachter zu beschäftigen, die dann Monate für die Erstellung benötigen und das alles wird dann wieder beeinsprucht – das bringt uns nicht weiter, das muss man ganz offen sagen.“ Zumal der Ausbau auch für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs entscheidend sei. „Dem fühlen wir uns als APG verpflichtet, wir sind die, die sozusagen die Autobahnen für den Stromtransport in Österreich sowie ins Ausland und aus dem Ausland bauen, damit Österreich Zugang zu allen günstigen Stromproduzenten in Europa hat.“
Hinzu komme, dass der Netzausbau hierzulande auch ein Konjunktur- und Wirtschaftsprogramm sei. In Summe wird die Energiewende bis 2040 hierzulande zwischen 100 und 110 Milliarden Euro kosten – von der Erzeugung über das Netz bis hin zur Speicherung. Die APG investiere gut neun Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren in das Übertragungsnetz. Vom „Economica-Institut“ habe man sich in einer Studiedie wirtschaftlichen Effekte berechnen lassen. „Es wurde belegt, dass so mehr als 90.000 Jahresarbeitsplätze gesichert werden und damit rund 6,6 Milliarden EuroBruttowertschöpfungausgelöst wird.“
DieseInfrastrukturinvestitionen verhelfen Österreich „auch zu mehr energiepolitischer Souveränität, um nicht abhängig zu sein“. Den Investitionen müsse man auch eine Gegenrechnung gegenüberstellen. „Wir haben allein im Vorjahr 142 Millionen Euro in Engpassmanagement investiert, weil das Stromnetz physikalisch zu schwach ist, dann müssen primär thermische Kraftwerke zugeschaltet werden, das kostet enorme Summen – vor diesem Hintergrund sind neue Leitungen, die dann für drei Generationen stehen, sehr nachhaltige Investitionen, die helfen, die Energiewende umzusetzen“, betont Christiner. Ein Abrücken von den Zielen, ein Redimensionieren der Energiewende wäre aus seiner Sicht ein „kapitaler Fehler“. Man müsse sie als Chance begreifen, „wir müssen aber den Anspruch haben, sie effizient zu machen.“
Für das kommende Jahr wird, wie berichtet, davon ausgegangen, dass die Netzgebühren für Haushalte im Schnitt um rund 23 Prozent steigen werden. Diese werden von der Regulierungsbehörde E-Control auf Antrag der Netzbetreiber per Bescheid festgesetzt. „Das wird sich in der Größenordnung abspielen, das ist realistisch“, meint auch Christiner. Hintergrund der Erhöhungen sind die hohen Investitionen in das Netz, im Verteilnetz vor allem durch den Photovoltaik-Boom der letzten Jahre.
Bei den Netzkosten sei die Behörde gefordert, „die sagt aber zurecht, dass der Gesetzgeber handeln muss“. Es gehe darum, „dass der Kunde das in verdaulichen Dosen erhält“. Nötig sei die Umsetzung des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes (Elwg), das die schwarz-grüne Regierung nicht mehr beschlossen hat. Dieses Gesetz „gibt die Möglichkeit, Tarifmodelle so zu überarbeiten, dass man ein moderneres Regulierungssystem schafft, Kunden können so ihre Tarife optimieren und Geld sparen“. Auch bei der Digitalisierung des Netzes, „hier hinkt Österreich hinterher“, würden sich für Haushalte und Unternehmen Einsparmöglichkeiten ergeben. Denn klar sei: „Man kann dem Kunden nicht alles umhängen, diese Generation kann nicht alles auf einmal bezahlen müssen.“
Einen Ansatzpunkt sieht Christiner bei den Abschreibungsdauern der Anlagen, diese liegen zwar bei 40 Jahren – „trotzdem müsste man sich überlegen, wie man damit umgeht und die Abschreibungsdauern verlängern“. In Deutschland werde etwa darüber diskutiert, über ein sogenanntes Amortisationskonto die Kosten für den Ausbau der Stromnetze, die zu steigenden Netzentgelten führen, zeitlich zu strecken. „Da gibt es verschiedene Modelle. Darüber hat man sich in Österreich bisher einfach zu wenig Gedanken gemacht“, bemängelt Christiner.
Zur PersonGerhard Christiner, geboren am 5. 3. 1969. Nach der Matura am BG/BRG Gleisdorf studierte er Elektrotechnik (TU Graz) und absolvierte die FH für Marketing and Sales. Von 1995 bis 2000 Projektleiter der Verbundplan GmbH, 2001 bis 2002 E-Control, ab 2002 bei der Verbund-Austrian Power Grid (APG). Seit 2012 ist er APG-Vorstand, seit August 2024 ist er dort Vorstandssprecher.Die APG betreibt das 7000 Kilometer lange überregionale Stromtransportnetz.
von Manfred Neuper
Kleine Zeitung