Netzausbau: Fachkräfte und Gesetze fehlen

20. Oktober 2023

Ohne Ausbau des Stromnetzes keine Energiewende. Verband der Elektrotechnik fordert rasche Maßnahmen.

Damit die Energiewende gelingen kann, muss Österreichs Energieinfrastruktur stark ausgebaut und angepasst werden – so der Tenor bei der 60. Fachtagung der Energietechnik. Als Richtschnur dafür gilt der österreichische Netzinfrastrukturplan, der bis Ende des Jahres finalisiert werden soll. Im Lakeside Park in Klagenfurt wurde vom Österreichischen Verband für Elektrotechnik (OVE) gestern eine rasche Konkretisierung gefordert. Leistbare, nachhaltige Energie sei ein wichtiger Standortfaktor für Industrie und Wirtschaft.

OVE-Präsident Kari Kapsch forderte von der Politik, den Energiemarkt mit den nach wie vor hohen Energiepreisen auf gesamteuropäischer Ebene „in den Griff zu bekommen“. Mit Umsetzungsverordnungen auf nationaler Ebene solle es klare Rahmenbedingungen geben.

Gerhard Christiner, Vorstand der Austrian Power Grid (APG), nannte als Beispiel für die langwierige Umsetzung ein gemeinsames Projekt mit der Voestalpine in Linz, wo in der Zentrale die alten Hochöfen schrittweise durch Elektrolichtbogenöfen ersetzt werden sollen. Nur steckt das Verfahren gerichtlich in der finalen Instanz fest. So sei die Energiewende nicht schaffbar.

Kapsch zweifelt, ob die für 2040 angepeilte CO2-Neutralität Österreichs schaffbar ist: „Aus heutiger Sicht sind die Ziele nicht erreichbar.“ Zusätzlich sei bei der Umsetzung der Energiewende der zunehmende Fachkräftemangel eine Herausforderung.

In der Energiewirtschaft fehlen derzeit 2000 Fachkräfte. Hundert freie Stellen sind es alleine in Kärnten, die neun Arbeitssuchenden gegenüberstehen. Die Prognose: In der gesamten Branche dürften bis 2026 über 20.000 Fachkräfte, vor allem Elektrotechniker, fehlen.

Mit Blick auf die Strompreisentwicklung beobachtet Kelag-Vorstand Reinhard Draxler „leicht sinkende Preise“. Sorgen würden ihm aber die extremen Preissprünge und die volatile Lage bereiten. „Autarkie-Träume“ in den Gemeinden würden, so Draxler, ohne österreichweiten Ausbau der Netzinfrastruktur nur zu höheren Netzkosten führen.
Kritik gab es an der auf politischer Ebene verpassten Möglichkeit, das Merit-Order-System anzupassen. Kapsch: „Dem liberalen Energiemarkt wurde mit den EU-Sanktionen geschadet.“ Es brauche Gegenmaßnahmen. Als Beispiele nannte er etwa einen staatlich gestützten Gaspreis. In Südeuropa habe sich der Energiepreisdeckel bewährt, denn: „Die Inflationsraten sind dort niedriger.“

Da der Netzausbau nicht schnell genug geschehe, würden auch tagtäglich Kosten entstehen. APG-Vorstand Christiner bezifferte den Schaden durch die fehlenden Netzkapazitäten: „Heuer wird uns das in Summe rund 150 Millionen Euro kosten.“ Wenn sich Engpässe abzeichnen, muss nämlich aktiv eingegriffen werden. Die Mehrkosten ergeben sich etwa durch das kurzfristige Anwerfen von Gaskraftwerken.

„Der Erfolg der Energiewende entscheidet sich im Stromnetz“, betonte Christiner, der außerdem eine Gesamtsystemplanung inklusive einer Speicherstrategie samt digitalen Transformation aller Akteure des Energiesystems einfordert. Es müsse auch gelingen, volatile erneuerbare Energien, also vor allem PV-Strom von den Dächern, zu integrieren. Daher benötige der Ausbau der Netzinfrastruktur oberste Priorität, die schon lange diskutierten Gesetze für schnellere Genehmigungsverfahren müssten endlich beschlossen werden.

von Alexander Tengg

Neue Vorarlberger Tageszeitung