Habeck auf Energie-Mission in Wien

15. Juli 2022, Wien

Analyse. Deutschlands Wirtschaftsminister traf österreichische Regierungsvertreter, um Allianz bei der Gasversorgung zu schmieden. Doch woher kommt das Gas, falls Moskau nicht mehr liefert?

„Dieser Winter wird in Europa sehr, sehr schwierig werden“, warnte Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), am Dienstag. Auch am zweiten Tag der planmäßigen Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 kamen nur sehr spärliche Mengen russischen Gases in der EU an. Die Staaten haben zunehmend Probleme, ihre Speicher bis in den Herbst zu füllen. Eine derart „tiefgreifende und komplexe Energiekrise“ habe die Welt bisher noch nicht erlebt, sagte Birol und stellte in Aussicht, dass „wir das Schlimmste vielleicht noch nicht gesehen haben“.

Europa könne nur gemeinsam auf diese Bedrohung reagieren, betonten der deutsche Wirtschaftsminister, Robert Habeck (Grüne), und Österreichs Klimaschutz- und Energieministerin, Leonore Gewessler (Grüne), am Dienstag anlässlich des Wien-Besuchs des deutschen Polit-Shootingstars. Habeck traf zudem Österreichs Wirtschaftsminister, Martin Kocher, Europaministerin Karoline Edtstadler und Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Beide Länder waren unter den ersten EU-Staaten, die ein Solidaritätsabkommen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung unterzeichnet hatten. Am Dienstag beteuerte Habeck erneut, auch im Ernstfall weiterhin Gas nach Österreich durchzuleiten. Das ist vor allem für die Haushalte in Tirol und Vorarlberg relevant, da sie am deutschen Gasnetz hängen.

Umgekehrt will Österreich gemeinsam mit der Bundesrepublik den Gasspeicher Haidach befüllen, um einen zusätzlichen Puffer für Deutschland zu schaffen und „unsere europäischen Verpflichtungen zu erfüllen“, so Gewessler. Während die übrigen Speicher in Österreich relativ gut gefüllt sind, ist der Gazprom-Speicher, der bisher nur ans deutsche Netz angeschlossen ist, noch leer.

Kaum noch freie Mengen

Habeck wiederum lud österreichische Unternehmen ein, sich Kapazitäten bei den in Bau befindlichen deutschen Flüssiggasterminals zu sichern. Die dort ankommenden Erdgasmengen würden in ganz Europa zum Kauf angeboten, sagte der Grünen-Politiker. Gewessler drängte die Firmen, diese Chance auch zu nützen: „Sie können sich meiner vollen politischen Unterstützung sicher sein.“ Ein Problem ist aber ungelöst: Woher soll das nötige Gas kommen, um einen möglichen Lieferstopp Russlands zu kompensieren? Die EU konnte ihre Abhängigkeit von Moskau zwar in den letzten Monaten halbieren, was nicht zuletzt dem massiven Import von amerikanischem Flüssiggas (LNG) zu verdanken ist. Doch mittlerweile gibt es kaum noch freie Mengen auf dem Markt, die nicht langfristig anderen Abnehmern versprochen wären.

Österreich und Deutschland hoffen auf ein „koordiniertes Vorgehen auf EU-Ebene“. Die geplante EU Energy Platform könnte ein guter Weg sein, um Mitgliedstaaten „bei der Beschaffung von Gas aus anderen Bezugsquellen zu unterstützen“. Doch dieser gemeinsame Gaseinkauf existiert bis dato nur auf dem Papier. Schon im April waren sich die EU-Länder einig, Österreich hat wie viele andere Staaten auch schon Mengenwünsche deponiert. Doch von der Idee bis zur Umsetzung vergeht offenkundig auch in der Krise in der EU sehr viel Zeit. Der gemeinsame Gaseinkauf ist weit davon entfernt, einsatzfähig zu sein, und dürfte für diesen Winter zu spät kommen, fürchten Energieexperten.
Europa müsse sich eingestehen, dass es „abhängig und ausbeutbar“ sei, forderte Habeck. Andererseits beende die Energiekrise auch endgültig die Zeit zu sagen: „Interessiert mich nicht, kommt ja aus der Steckdose.“ Einen Widerspruch zwischen mehr Klimaschutz und höherer Versorgungssicherheit sieht er nicht. „Den Ausbau von fossilfreier Energie voranzubringen bedeutet auch, die Energieautarkie in Europa nach vorn zu bringen“, so Habeck. „Es gibt jetzt eine neue Allianz aus Klimaschutz und Energiesicherheit.“ Doch es war auch Habeck, der all den zur Schau gestellten Zweckoptimismus durchbrach, als er für Österreich ungewohnte Töne anschlug und die Energielenkung infrage stellte. Der Mechanismus, wonach Haushalte, Spitäler, Kraftwerke und andere strategisch wichtige Branchen im Fall eines Gasnotstands vor Kürzungen geschützt wären, sei richtig, wenn es um kurzfristige Störungen gehe.
„Das ist aber nicht das Szenario, das wir jetzt im Moment haben, sondern wir gehen ja möglicherweise von einer monatelangen Unterbrechung aus“, sagte er. Die privaten Haushalte müssten einen Beitrag leisten, um einen monatelangen Stillstand der deutschen Industrie zu verhindern.

Warnung vor Krise im Winter

Österreichs Volkswirtschaft ist wegen des geringeren Industrieanteils etwas weniger abhängig von Erdgas als die deutsche. Doch auch hier warnen Branchenvertreter vor einer schweren Wirtschaftskrise, sollte den Unternehmen im Winter plötzlich das Gas ausgehen.

von Matthias Auer

Die Presse

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