Abschied von russischer Energie

13. April 2022, Wien

Versorgung. Die EU-Kommission will die russischen Gasimporte um zwei Drittel reduzieren, im
Mai soll ein detaillierter Plan vorgelegt werden. Neue Sanktionen werden bereits vorbereitet.

Bisher hat die hohe Abhängigkeit etwa Deutschlands und Österreichs von russischem Gas dazu geführt, dass ein Stopp der Energieimporte nicht Teil der Sanktionen gegen Russland ist. Aber das muss nicht so bleiben, wie Energiekommissarin Kadri Simson am Montag in Wien andeutete. Russische Gräueltaten in der Ukraine können nicht ohne Antwort bleiben, betonte die Estin. Alles, was Putins Kriegsmaschine finanziert, müsse infrage gestellt werden. Und Experten der Kommission würden genauestens berechnen, was unterschiedliche Szenarien für die europäische Wirtschaft bedeuten würden. Szenarien, in denen kein russisches Öl oder Gas mehr nach Europa kommt, nannte Simson „eine große Herausforderung, aber machbar“.

Das impliziert freilich noch keineswegs, dass das nächste Sanktionspaket auf weitere russische Energieträger zielen wird. Das jüngst in Kraft getretene Paket sieht bereits ein Importverbot für russische Kohle vor. Mögliche neue Sanktionen sind derzeit in Vorbereitung. Europa behält sich dabei alle Möglichkeiten offen, auch mit Blick auf Energieimporte. Aber vor allem sei es denkbar, dass Russland von sich aus den Gashahn abdreht, wie Simson sagte. Für dieses Szenario sei man gewappnet. Es gebe Notfallpläne.

Neue Gaslieferanten

Unabhängig davon, ob es zu einem abrupten Ende russischer Gasimporte kommt oder nicht: Die EU will die eigene Abhängigkeit von russischer Energie möglichst rasch beenden. Im Mai will die Kommission eine detaillierte Strategie vorlegen, die Europa unabhängig machen soll. Ziel ist, die russischen Gasimporte bis Jahresende um zwei Drittel zu reduzieren.

Einstweilen empfiehlt Simson den EU-Mitgliedern, ihre Gasspeicher zu befüllen — und sofort damit anzufangen. Ein Legislativvorschlag der EU sieht eine Mindestbevorratung von 80 Prozent der Speichervolumen vor.
Derweil laufen Gespräche mit Ländern, die einen Teil der russischen Gaslieferungen nach Europa ersetzen könnten. Man habe bereits mit Norwegen, Algerien, Katar und Aserbaidschan Gespräche geführt und mit den USA die Lieferung von zusätzlichen 15 Milliarden Kubikmetern Flüssigerdgas (LNG) noch in diesem Jahr vereinbart und von 50 Milliarden Kubikmetern in den kommenden Jahren.

Damit die EU-Staaten künftig günstiger an LNG kommen, kaufe man außerdem über eine gemeinsame Plattform ein. Gemeinsam haben die EU-Länder einen größeren Hebel bei der Preisgestaltung.

Wobei nicht nur Diversifikation bei den Energielieferanten ein wichtiger Teil des für Mai angekündigten Energieplans ist. Anstatt russisches Gas bloß durch Gas anderer Provenienz zu ersetzen, müsse man auch die Energieeffizienz in Europa steigern, sagte Simson. Und drittens will die Kommission den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen.
Man werde unter anderem den Ausbau von Fotovoltaik besonders auf Dächern forcieren. Die würden sich gut für Solaranlagen eignen, weil es bei Dachflächen weniger Konkurrenz um die Nutzung gibt als etwa auf Freiflächen.

Kritische Rohstoffe

Aber auch eine CO2-arme Energiewirtschaft kommt nicht ohne Rohstoffe aus. In Batterien stecken Metalle wie Lithium oder Nickel, in Solaranlagen Silizium und in Windrädern Bauxit oder seltene Erden. Bei vielen Rohstoffen, die für die grüne Wende zentral sind, ist Europa stark abhängig von einzelnen Lieferanten — oft von China.
Damit bei erneuerbaren Energien nicht ähnliche Abhängigkeiten wie beim russischen Gas entstehen, müsse Europa die Kreislaufwirtschaft forcieren, sagte Simson. Wenn Rohstoffe, die bereits in der EU sind, wiederverwertet werden, reduziere das die Abhängigkeit von Lieferanten.

Bereits im Herbst 2020 wurde die Europäische Rohstoffallianz vorgestellt, sie soll die Versorgung Europas sicherstellen und Abhängigkeiten verringern. Werden alle vorgesehenen Projekte umgesetzt, so rechnet man in Brüssel, dann könnten ab 2030 rund 60 Prozent der jedes Jahr installierten Kapazität an Windenergie mit seltenen Erden aus Europa versorgt werden.

Sind Windräder oder Solarpaneele installiert, bedeutet das mehr Unabhängigkeit für Europa, sagte Simson: Wind und Sonne kann niemand einfach abdrehen.

Die Presse

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