Wie Berlin am Gaspreis drehen will

12. Oktober 2022, Berlin

Der erste Vorschlag für die staatliche Subvention von Gas ist da. Das Papier wurde unter großem Zeitdruck erstellt. Zwölf Cent pro Kilowattstunde sollen das „new normal“ werden.

Es musste eben schnell gehen, sagte Veronika Grimm vor Journalisten im Berliner Regierungsviertel fast schon entschuldigend. Die wissenschaftliche Expertise habe „eine Rolle gespielt, aber eben auch das Machbare“, so die Ökonomin, seit zwei Jahren eine der fünf deutschen Wirtschaftsweisen. „Ist es perfekt? Sicher nicht“, pflichtete ihr Siegfried Russwurm bei, der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie.
Die beiden gehören zu einer 21-köpfigen Gaspreiskommission, die von der Ampel-Regierung nach monatelangem Hin und Her vor nur drei Wochen eingesetzt wurde, um eine drängende und überaus komplexe Frage zu lösen: Wie soll der deutsche Staat mit den steigenden Gaspreisen umgehen?

1Was steht in dem 14 Seiten langen Vorschlag der Kommission?

Grob vereinfacht soll es zwei Bremsen für den Gaspreis geben: Die erste beginnt mit 1. Jänner 2023 und umfasst bis zu 25.000 Industriebetriebe mit hohem Gasbedarf — Gaskraftwerke sind ausgenommen. Sie sollen das Gas zu einem Beschaffungspreis von sieben Cent pro Kilowattstunde bekommen. Liegt der Marktpreis darüber, übernimmt der Staat die Differenz — aber nur für 70 Prozent des Verbrauches, der über das Jahr 2021 ermittelt wird. Ist dieses Kontingent aufgebraucht, müssen die Industriekunden den Marktpreis selbst zahlen. Der lag für Neukunden laut der Kommission zuletzt bei durchschnittlich 28,3 Cent.

2Und wann werden die Gaspreise für kleinere Kunden heruntersubventioniert?

Erst nach dem Winter — genauer gesagt im März. Die Preisbremse für Kleine soll wie jene für die Industrie bis Ende April 2024 gelten. Die Konditionen: Die Kleinkunden sollen 80 Prozent ihres Gasverbrauches zum Festpreis erhalten. Um die exakte Höhe dieses Kontingents an subventioniertem Gas für jeden Haushalt festzustellen, wird die Monatsrechnung für September 2022 herangezogen. Der Preis soll bei zwölf Cent pro Kilowattstunde liegen. Bei diesem Wert werden laut Kommission auch die Industriekunden landen, wenn sie alle Steuern und Abgaben bezahlt haben. Zwölf Cent dürfte in einer Zukunft ohne russische Gaslieferanten das „new normal“ beim Endkundenpreis werden, so die Kommission. Im Jahr 2021 lag der Preis mit Steuern und Abgaben bei durchschnittlich sieben Cent pro Kilowattstunde.

3Das heißt, die deutsche Bevölkerung muss ohne Preisbremse durch den Winter?

Ja, aber. Die Experten schlagen eine Einmalzahlung im Dezember vor. Allen kleinen Gaskunden soll eine Monatsrechnung vom Staat bezahlt werden. Deren Höhe wird wiederum von der September-Rechnung dieses Jahres übernommen. Rund fünf Milliarden Euro soll das laut Schätzung kosten. Damit niemand durch das Netz fällt, werden verschiedenste zusätzliche Hilfsfonds eingemahnt.

4Was sagen Kritiker über den ersten Vorschlag der Gaspreiskommission?

Zum einen sorgen die Einmalzahlung für Kritik: Schließlich subventioniert der Staat damit Villenbesitzer genauso wie Mindestrentner. Wer mehr Gas verbraucht, bekommt mehr Geld. Zwar soll die Einmalzahlung versteuert werden. Trotzdem würde die Regierung sehr viel Geld nach dem Gießkannenprinzip ausschütten. Damit könnte der Geldregen die Teuerung weiter anheizen. Die zweite Kritik: Die Preisbremse könnte das Gefühl vermitteln, die Lage sei nicht so schlimm. Doch selbst bei gefüllten Speichern muss Deutschland rund 20 Prozent seines Verbrauches einsparen, um einen Gasmangel in der Industrie zu vermeiden. Tritt dieser ein, prophezeien Ökonomen einen dramatischen Wirtschaftseinbruch.

5Wie geht es nun weiter, und was könnte im Endbericht der Kommission stehen?

Mit dem Zwischenbericht in der Hand ist die Regierung am Zug. Der Zeitdruck ist groß. Über den Sommer bastelte die Ampel an ihrem umstrittenen Projekt der Gas-Umlage — das sie mit Herbstbeginn wieder verwarf. Die Kehrtwende zur Gaspreisbremse kommt spät. Insgesamt 200 Milliarden Euro an Schulden können dafür aufgenommen werden. Die hektisch einberufene Kommission selbst hat noch rund drei Wochen, um ihren Endbericht zu präsentieren. In ihn sollen auch fünf Punkte zu Gassparmaßnahmen eingearbeitet werden, die derzeit noch fehlen.

von unserem Korrespondenten Christoph Zotter

Die Presse

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