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Kohle oder Atomkraft statt russisches Gas?

28. Juni 2022

Ist es richtig, Kohlekraftwerke zu reaktivieren? Müssen wir angesichts der Energiekrise gar unsere Scheu vor Atomkraft ablegen? Darüber diskutierten Energieministerin Leonore Gewessler, Klimaaktivistin Lena Schilling und Physiker Werner Gruber.

Putin sorgt in Europa für hektisches Treiben. Seitdem weniger Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 kommt, hat die Suche nach neuen Energiequellen eingesetzt. Dabei sollen alte Kohlekraftwerke reaktiviert werden, in Österreich das Kraftwerk Mellach in der Steiermark. Auch über Atomenergie wird neu diskutiert: In Deutschland fordern CDU und FDP, die geplante Abschaltung der drei letzten Meiler Ende 2022 zu verschieben. Sind das die richtigen Ansätze? Darüber stritten die Gäste beim Videotalk „STANDARD mitreden“. Ein Auszug aus der Debatte.
Schilling: Fossile Kraftwerke sind Ausdruck eines Versagens der Politik. Wir können es uns 2022 nicht mehr leisten, auf Kohle zu setzen, auch nicht im äußersten Notfall. Das Kohlekraftwerk in Mellach kann den Energieverbrauch nur zu einem geringen Teil substituieren: Da geht es um ein Prozent des Bedarfs. Dazu kommt, dass das Kraftwerk wohl nicht so schnell in Betrieb genommen werden kann, sondern erst Mitte oder Ende des kommenden Winters. Weder das Personal noch Ressourcen sind früher verfügbar. Was ist das außerdem für eine Botschaft an die Klimabewegung und an alle jungen Menschen?

STANDARD: Was müsste also geschehen?

Schilling: Das Gebot der Stunde ist, auf erneuerbare Energien zu setzen und Energie zu sparen. Es braucht klare Regulierungen, wie der Energieverbrauch in der Papier-, Chemie- und Glasindustrie reduziert werden kann. Die Regierung sollte in die Offensive gehen, Tempo 100 auf der Autobahn verkünden, ebenso wie autofreie Sonntage.
Gewessler: Ich glaube, wir sind uns einig, wo wir hinmüssen: raus aus der Abhängigkeit von Russland. Weg von fossilen Energien, und zwar mit Effizienz und Erneuerbaren. Aber in welcher Situation sind wir aktuell? Wladimir Putin setzt Gaslieferungen als Waffe ein. Das soll Preise treiben und uns verunsichern. Dem müssen wir etwas entgegenhalten. Dazu gehört, sich auf den Ernstfall vorzubereiten, sollte Gas ganz wegbleiben, Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das ist das Gebot der Stunde. Das heißt auch, ein Kraftwerk in einen Zustand zu versetzen, dass es 260.000 Haushalte mit Wärme und Strom versorgen kann.

Der Standard

Deutschland aktiviert Alarmstufe, Österreich noch nicht

28. Juni 2022, Berlin

Die reduzierten Gaslieferungen aus Russland über Nord Stream bringen die deutsche Regierung unter Druck.

Die stark reduzierten Lieferungen von russischem Erdgas haben die deutsche Regierung dazu veranlasst, die Alarmstufe und damit die zweite von drei Stufen im nationalen Notfallplan Gas auszurufen. Gas ist laut dem deutschen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck „von nun an ein knappes Gut in Deutschland“. „Dies sage ich, obwohl die Versorgungssicherheit aktuell gewährleistet ist. Es sind die Versäumnisse der letzten Dekade, die uns jetzt in diese Bedrängnisse geführt haben“, sagte der Minister. Man stünde anders da, wenn man in den vergangenen Jahren bei der Energieeffizienz und beim Ausbau der erneuerbaren Energien wirklich vorangekommen wäre.

Habeck betonte, dass er Rationierungen für die Industrie nach Möglichkeit vermeiden wolle. „Das soll nicht passieren, in keinem Monat im besten Fall“, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Berlin, fügte aber hinzu: „Ich kann es natürlich nicht ausschließen, weil es so voraussetzungsreich ist, was wir tun. Aber es ist kein Szenario, auf das wir hinarbeiten – im Gegenteil.“

Alle Maßnahmen seien darauf ausgerichtet, die Marktkräfte so weit wie möglich wirksam zu halten und andere Alternativen zu schaffen. Es gehe darum, Einsparungen vorzunehmen, auf andere Energieträger auszuweichen und die Infrastruktur auszubauen, „um dieses Szenario abzuwenden“.

Konkret ist die Alarmstufe in Deutschland die Voraussetzung dafür, dass Kohlekraftwerke wieder ans Netz gehen. Sie sollen Gaskraftwerke ersetzen, die – anders als in Österreich – auch im Sommer zur Stromproduktion notwendig sind. Außerdem können die Gasversorger in der Alarmstufe ihre Mehrkosten weiterverrechnen.

Salzburger Nachrichten

Gasflaute bringt Aufwind für nachhaltige Technologien

28. Juni 2022

Energieerzeugung. Grünes Gas aus heimischer Erzeugung, Fotovoltaik aus Europa oder Know-how zur Reduzierung des Energieverbrauchs: Klimaziele und akute Versorgungsprobleme bieten Chancen für österreichische Betriebe.
Wie sich die Zeiten ändern. Vor einem guten Jahrzehnt wurde die Herstellung von Gas, Benzin, Kerosin und Wasserstoff aus Biomasse und biogenen Abfällen als die umweltfreundliche und von Importen unabhängige Zukunft gepriesen. "Österreich war Vorreiter bei der technologischen Entwicklung", erzählt Franz Kirchmeyr vom Biogas-Verband. Allerdings kamen damals Erdgas und Erdöl aus Russland zu wesentlich günstigeren Preisen durch die Pipelines. Die Folgen: Forschungsaktivitäten und Produktion des grünen Gases wurden auf ein Minimum zurückzugefahren.
Dabei könnte man rund 40 Prozent des heimischen Gasbedarfs durch Methan aus Gras, Holzabfällen, Klärschlamm und ähnlichen Materialien gewinnen, meint Kirchmeyr. Seit einigen Monaten besinnt man sich wieder auf die durchaus ergiebige Gasquelle im eigenen Land. Neben den Klimazielen ist vor allem die drohende Versorgungskrise durch einen möglichen Lieferstopp von russischem Erdgas der Grund.

Beim Zukunftsforum Gas am Dienstag etwa brach Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig eine Lanze für grünes Gas. Vertreter der Industrie forderten raschere Verfahren und entsprechende Rahmenbedingungen dafür.

Investitionssicherheit gefragt

Gäbe es Investitionssicherheit, seien auch Investoren vorhanden, meint Reinhard Koch, der vor zehn Jahren das einst weltweit beachtete Forschungsprojekt für grünes Gas in Güssing leitete. Die Aufwendungen für Errichtung und Betrieb der Grüngasproduktion — Koch schwärmt davon, dass bei jeder Kläranlage auch grünes Gas hergestellt werden sollte — würden fast zur Gänze in Österreich bleiben.

Presse

Auf der Suche nach Erdgas-Alternativen

28. Juni 2022

Energiekrise. Ein Stopp der Gasversorgung würde vielen Betrieben erhebliche Probleme bereiten. Mit Hochdruck wird nach Möglichkeiten gesucht, eine solche Situation zu meistern. Ein Querschnitt über verschiedene Branchen.

Aus einem vermeintlich verlässlichen Geschäftspartner ist binnen Kurzem ein Unsicherheitsfaktor geworden: Russland spielt mit Europas Gasversorgung, und das beschert vielen Industriemanagern unruhige Nächte: Was tun, wenn kein Gas zur Verfügung ist? In vielen Betrieben exerzieren Krisenteams Szenarien bis zum kompletten Ausfall der Gasversorgung durch. So auch bei Salesianer Miettex. Das Unternehmen wäscht und bügelt täglich rund 400 Tonnen Wäsche — rund 60.000 Ladungen konventioneller Haushaltswaschmaschinen, Gas ist der wichtigste Energieträger.
Salesianer zählt zur kritischen Infrastruktur, da ein wesentlicher Teil der zu waschenden Textilien aus Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen stammt. Deshalb sollte das Unternehmen in Krisenzeiten zumindest für diesen Aufgabenbereich gewisse Mengen an Erdgas erhalten. Wie viel hat man bis jetzt nicht erfahren.

Pläne für den Worst Case

Auf jeden Fall will man dann die Arbeiten für die bevorzugten Bereiche auf drei bis vier Betriebe konzentrieren. "Dafür gibt es bereits genaue Pläne", sagt Thomas Gittler, Energieverantwortlicher und Krisenmanager bei Salesianer Miettex. Auf den Worst Case ist man ebenfalls vorbereitet: "Falls es gar kein Gas mehr gibt, werden wir unsere einzige noch verbliebene heizölbefeuerte Wäscherei im Drei-Schicht-Betrieb fahren und nach Möglichkeit in unsere Betriebe in Nachbarländern, die vom Gasproblem weniger betroffen sind, ausweichen", berichtet Gittler. Eine Umstellung der mit Gas betriebenen Wäschereien auf Erdöl würde mehrere Monate dauern, hohe Investitionen erfordern und wäre alles andere als umweltfreundlich.

Auch die Vivatis Holding hofft als Teil der kritischen Infrastruktur auf Gaslieferungen im Fall einer Versorgungskrise. Zu dieser Unternehmensgruppe gehören rund 20 Lebensmittelmarken von Inzersdorfer über Maresi bis zur Gourmet-Gemeinschaftsverpflegung, die täglich 300.000 Menschen mit Essen versorgt. Seit zehn Jahren versucht Vivatis, den Einsatz fossiler Energieträger zu reduzieren und Alternativen von Fotovoltaik bis Wärmerückgewinnung zu nützen. "Aber wir brauchen große Mengen an Wärme, und unsere Hauptenergiequelle ist daher nach wie vor Gas", sagt Vorstandsvorsitzender Gerald Hackl. Um für Probleme bei der Gasversorgung gerüstet zu sein, werden Ausweichmöglichkeiten vom eigenen Gaslager über die Nutzung von Wärmepumpen und Hackschnitzel bis zur Wiedereinführung von Ölheizungen geprüft. Für Letzteres kann sich Hackl nur bedingt begeistern: "Wir haben uns Nachhaltigkeit zum Ziel gesetzt und viel investiert, um von der Ölheizung wegzukommen." Bei Alternativen wie Wärmepumpen oder Hackschnitzel stellt sich die Frage, ob und wie rasch solche Lösungen in Dimensionen, wie sie Großbetriebe benötigen, realisierbar sind. Meistern wird das Unternehmen die Herausforderungen jedenfalls, ist Hackl überzeugt.

Presse

Kein „Alarm“, aber Lage bleibt dramatisch

28. Juni 2022

Energie. Trotz eingeschränkter Gaslieferungen aus Russland füllen sich Österreichs riesige Speicher langsam. Die Alarmstufe wird nicht ausgerufen. Ein plötzlicher Lieferstopp bleibt aber das Worst-Case-Szenario

Der grüne deutsche Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck informierte Donnerstagmorgen, dass im Bezug auf die deutsche Gasversorgung die Alarmstufe ausgerufen wird. Österreichs grüne Energieministerin Leonore Gewessler erklärte zeitgleich, dass in Österreich keine Alarmstufe ausgerufen wird. Ist das vernünftig oder gefährlich? Und wie dramatisch ist die Situation rund um Österreichs Energieversorgung mit Erdgas?

Eines vorweg: Die Situation ist seit Beginn des verbrecherischen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine dramatisch, weil Russland aus Vergeltung wegen der ökonomischen Sanktionen jederzeit die Lieferungen nach Österreich stoppen kann. Wir sind stark abhängig von Russlands Gas – 80 Prozent unseres Bedarfs werden damit gedeckt.

Zur Stunde fließen aber, anders als in Deutschland, nach wie vor ausreichend Mengen Gas nach Österreich, sodass die Industrie voll arbeiten kann und die Erdgasspeicher weiter, wenn auch langsam, gefüllt werden. Deutschland braucht Gas auch im Sommer zur Stromproduktion, deshalb wird dort wieder Kohle verfeuert. Österreich bereitet sich auf Kohle-Verstromung nur vor.

Gewessler will, dass bis Herbstbeginn, also in 90 Tagen, die Speicher zu 80 Prozent gefüllt sind. Am gestrigen Donnerstag lag der Speicherstand bei 42,7 Prozent (40,7 TWh). Seit dem Vortag nahm der Speicherstand um 0,4 Prozent zu. Bleibt das so, können bis Herbst die Speicher zu 80 Prozent gefüllt werden. „Wenn der Speicheraufbau gefährdet ist, müssen wir Maßnahmen ergreifen. Russland ist kein verlässliches Gegenüber. Darum überwachen wir die Lage engmaschig und bewerten laufend neu“, erklärte Klimaschutzministerin Gewessler Donnerstagfrüh.

Kurier