Energieversorgung. Mit der Energiekrise eskaliert es zwischen Wirtschaft und Energieministerin Leonore Gewessler gewaltig. Die Unternehmen fühlen sich von der Grünen ignoriert — und sind von der "Wirtschaftspartei" ÖVP enttäuscht.
Das Papier ging am vergangenen Freitag auf diskreten Wegen an einige ausgewählte Medien. Ein geheimes Papier aus der Industriellenvereinigung — allemal eine Story wert. "Industrielle wollen wegen Krise Klimaentscheidungen aussetzen", titelte eine Zeitung, "Industriellenvereinigung bremst bei Klimaschutz", eine andere. Aufgebrachte Umweltorganisationen kamen in allen Berichten ausführlich zu Wort. Jetzt stellt sich für so manche die Frage, ob das Timing gar so zufällig war — immerhin war IV-Präsident Georg Knill am Sonntagabend zur ORF-Sendung "Im Zentrum" eingeladen. Und dort ging es um die Ungewissheit im Land angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas. Zufall oder auch nicht, allein der Argwohn zeigt recht deutlich: Mit der Energiekrise eskaliert die Stimmung zwischen Wirtschaft und Grünen ganz gewaltig.
In der Industriellenvereinigung ist man angesichts der Aufregung, die das Papier verursacht hat, einigermaßen überrascht. Es sei ein internes Argumentarium, heißt es, das den Mitgliedern des Bundesvorstands zur Verfügung gestellt worden sei. Und von geheim könne keine Rede sein: Vor zwei Monaten habe die Industriellenvereinigung in Tageszeitungen einen offenen Brief an Energieministerin Leonore Gewessler veröffentlicht, der einen ähnlichen Inhalt wie das "Geheimpapier" hatte: nämlich die Forderung, die "falsch umgesetzte Dekarbonisierung" zu stoppen. Und: "Anstehende Gesetzesvorhaben dürfen nicht zu einer weiteren Belastungslawine für unsere Industrie werden." Es brauche "ein sofortiges Aussetzen sämtlicher Beschlüsse", die den Standort unter Druck setzen würden.
Viel Lärm um nichts also? Keineswegs. Die Episode zeigt vielmehr, dass die Nerven gerade ziemlich angespannt sind. Die Industrieunternehmen sehen in der Energiekrise eine existenzielle Bedrohung und fürchten weitere klimapolitische Belastungen. Die Grünen wiederum empört die Aussicht, dass Maßnahmen zur Energiewende aufgeweicht werden könnten. Also eine Pattsituation. Um die Dialogbereitschaft ist es nicht gerade zum Besten bestellt. Eigentlich ist sie nicht existent.
Und da kommt das Energieministerium der grünen Leonore Gewessler ins Spiel. Für die Sorgen der Wirtschaft scheint sie nicht unbedingt ein offenes Ohr zu haben. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar wurde zwar alsbald ein Treffen der Sozialpartner mit ihr vereinbart. Es wurde freilich zweimal verschoben. Stattgefunden hat es schließlich am 20. April, also fast zwei Monate nach Kriegsbeginn. Und auch dieses Treffen, das rund eineinhalb Stunden dauerte, war für die Sozialpartnerspitzen eine herbe Enttäuschung. Beziehungsweise ein einziges Ärgernis: Seitens des Ministeriums wurden zwei Powerpoint-Präsentationen gezeigt — in der einen ging es um das Gasnetz, in der anderen um die heimischen Speicherstände. Das war's.
Die Presse