2024 Artikel gefunden:

Die neue Energiewelt

14. Juni 2022

Gastkommentar

Die jüngsten Geschehnisse haben deutlich gemacht, dass wir für den Ölausstieg noch nicht bereit sind.

Wie sich die Preise von Rohöl, Raffinerieprodukten und Erdgas in den kommenden zwölf Monaten entwickeln werden, das fragen sich viele Investoren und Verbraucher. Denn in den vergangenen acht Monaten hat sich der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte Brent zunächst von rund 70 auf mehr als 130 US-Dollar fast verdoppelt, um anschließend wieder 20 Prozent abzugeben. Mittlerweile liegt die Notierung bei rund 120 US-Dollar, aber sie schwankt nach wie vor spürbar.

Allzu sehr überraschen sollte das nicht. Denn der Ölpreis ist aktuell nicht nur Ausdruck von Angebot und Nachfrage, sondern auch ein Spielball geopolitischer Entwicklungen, getrieben vom Ukraine-Krieg. Er befindet sich im Spannungsfeld zwischen der hohen Nachfrage nach Energie und dem erklärten Willen, den Abschied von fossilen Energieträgern zu beschleunigen, um dem Klimawandel Grenzen zu setzen.

Leere Lager und steigender Ölpreis durch Ukraine-Krieg

Ein Rückblick: Die Corona-Pandemie führte weltweit zu einem deutlichen Rückgang der Nachfrage nach Rohöl und raffinierten Ölprodukten. Die Menschen fuhren weniger Auto und flogen seltener oder gar nicht mehr in den Urlaub. Auch in der Industrie war die Stimmung mau und daher der Energiebedarf deutlich reduziert. Um den Preis stabil zu halten, reagierte die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und setzte der niedrigen Nachfrage ein niedriges Angebot entgegen. Sie kürzte die Produktion.

Als dann das Pandemiegeschehen langsam in den Hintergrund trat und die Nachfrage wieder anstieg, die Produktion aber zunächst gleich blieb, setzte der Ölpreis zu einem kleinen Höhenflug an. Die Lager leerten sich. Dann begann der Krieg, und der Ölpreis ging förmlich durch die Decke. Zur bereits erhöhten Nachfrage kam die Unsicherheit angesichts drohender Lieferstopps und etwaiger Embargos vor dem Hintergrund leerer Lager.

Wiener Zeitung

Die CO2-Steuer kann warten

8. Juni 2022

Den Klimaeffekt bringen bereits die Energiepreise, wichtiger ist die Langfriststrategie

Die CO₂-Bepreisung ist das wichtigste klimapolitische Projekt der Grünen und war das entscheidende Argument für ihren Eintritt in die Koalition mit einem sicherlich schwierigen Partner. Die Verhandlungen mit der ÖVP über die erste Stufe zogen sich in die Länge und haben aus ökologischer Sicht ein eher mageres Ergebnis gebracht. Kein Wunder, dass die Verschiebung des Starttermins vom 1. Juli auf den 1. Oktober bei Umweltorganisationen und der Parteibasis für Unmut sorgt. Viele sehen darin ein weiteres Abrücken der türkis-grünen Regierung von ihren Klimazielen, an deren Erreichbarkeit ohnehin gezweifelt wird.

Doch die harsche Kritik an den Grünen ist unberechtigt. Die Verschiebung um drei Monate ist ein geringer Preis dafür, dass trotz explodierender Energiepreise die Regierung ihren Klimakurs grundsätzlich beibehält und der Zorn geplagter Bürgerinnen und Bürger sich nicht noch mehr gegen sie richtet. Im Gegenzug hat die Regierung auf gravierendere Maßnahmen wie einen Preisdeckel oder eine Senkung der Mineralölsteuer verzichtet. Letzteres geschah in Deutschland, wo die Grünen ebenfalls mitregieren, und wird sich nicht so leicht rückgängig machen lassen.
Eine Verschiebung der CO₂-Bepreisung um drei Monate spielt für die Frage, ob Österreich im Jahr 2040 die angestrebte Klimaneutralität erreicht, keine Rolle. Außerdem ist das Ziel der CO₂-Steuer ein Lenkungseffekt, der Menschen dazu bringt, weniger Treibhausgase in die Luft zu blasen. Dafür sorgen derzeit ohnehin die hohen Öl- und Gaspreise – auch wenn es jedem im Land lieber wäre, wenn das Geld ins heimische Budget und nicht nach Russland oder Saudi-Arabien fließen würde.

Die Verschiebung scheint mit einigen sinnvollen Korrekturen des ursprünglichen Beschlusses verbunden. Es ist politisch klug, die Einführung zeitlich an die Auszahlung des Klimabonus zu koppeln; das dämpft den Volkszorn. Ein einheitlicher Betrag für alle beseitigt die Bevorzugung ländlicher Gemeinden, für die es zwar ein paar sachliche Argumente gab, die aber vor allem als schwarze Klientelpolitik wahrgenommen wurde. Und wenn es den Grünen gelingt, in den Verhandlungen mit der ÖVP weitere Zugeständnisse wie etwa ein früheres Aus für Gasthermen im Neubau herauszuschlagen, dann zahlt sich das Zugeständnis für sie wirklich aus.

Der Standard

Geheimdienst warnte vor OMV-Chef

8. Juni 2022, Wien

Energie. Ex-OMV-Vorstand Rainer Seele wird für die Abhängigkeit von Russland verantwortlich gemacht. Ein Dienst warnte Österreich 2015. Seeles Bestellung war eine bewusste Entscheidung.

Österreich lebt mit Russland in einer Zwangsehe — 80 Prozent des heimischen Gasverbrauches werden von Russland gedeckt. Eine schnelle Scheidung ist also unmöglich. Die Schuld an der Misere gibt man nun vor allem einem: Ex-OMV-Vorstand Rainer Seele. Er hat maßgeblich zur Transformation des Energiemarktes gen Russland beigetragen. Darum hat ihm die Aktionärshauptversammlung am vergangenen Freitag auch die Entlastung versagt. Konnte man wirklich nicht wissen, wohin er führt? Im Gegenteil: Der "Presse" liegen Informationen vor, dass ein westlicher Geheimdienst Österreich sogar ausdrücklich vor Seele gewarnt hat.

Gas ist auf der ganzen Welt nicht nur eine Ware, sondern ein Politikum. Insofern werden große Firmenübernahmen oder personelle Veränderung auch im Ausland mit Argusaugen beobachtet. So geschehen im Jahr 2015, als Österreich einen neuen OMV-Vorstand suchte. Die Wahl fiel auf den Norddeutschen Rainer Seele. Im befreundeten Ausland schrillten die Alarmglocken, Österreich wurden geheimdienstliche Informationen zugetragen. Succus: Putin selbst würde Seele als OMV-Spitze fördern, denn das sei den Interessen Russlands nur dienlich. Seeles Einsatz als Vorstand der OMV würde Österreich in eine größere Abhängigkeit von Russland bringen. Was mit dem Dokument passierte? Wie in Österreich so oft: nichts.

Die Presse

Die Wirtschaft tobt über Leonore Gewessler

8. Juni 2022

Energieversorgung. Mit der Energiekrise eskaliert es zwischen Wirtschaft und Energieministerin Leonore Gewessler gewaltig. Die Unternehmen fühlen sich von der Grünen ignoriert — und sind von der "Wirtschaftspartei" ÖVP enttäuscht.

Das Papier ging am vergangenen Freitag auf diskreten Wegen an einige ausgewählte Medien. Ein geheimes Papier aus der Industriellenvereinigung — allemal eine Story wert. "Industrielle wollen wegen Krise Klimaentscheidungen aussetzen", titelte eine Zeitung, "Industriellenvereinigung bremst bei Klimaschutz", eine andere. Aufgebrachte Umweltorganisationen kamen in allen Berichten ausführlich zu Wort. Jetzt stellt sich für so manche die Frage, ob das Timing gar so zufällig war — immerhin war IV-Präsident Georg Knill am Sonntagabend zur ORF-Sendung "Im Zentrum" eingeladen. Und dort ging es um die Ungewissheit im Land angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas. Zufall oder auch nicht, allein der Argwohn zeigt recht deutlich: Mit der Energiekrise eskaliert die Stimmung zwischen Wirtschaft und Grünen ganz gewaltig.

In der Industriellenvereinigung ist man angesichts der Aufregung, die das Papier verursacht hat, einigermaßen überrascht. Es sei ein internes Argumentarium, heißt es, das den Mitgliedern des Bundesvorstands zur Verfügung gestellt worden sei. Und von geheim könne keine Rede sein: Vor zwei Monaten habe die Industriellenvereinigung in Tageszeitungen einen offenen Brief an Energieministerin Leonore Gewessler veröffentlicht, der einen ähnlichen Inhalt wie das "Geheimpapier" hatte: nämlich die Forderung, die "falsch umgesetzte Dekarbonisierung" zu stoppen. Und: "Anstehende Gesetzesvorhaben dürfen nicht zu einer weiteren Belastungslawine für unsere Industrie werden." Es brauche "ein sofortiges Aussetzen sämtlicher Beschlüsse", die den Standort unter Druck setzen würden.

Viel Lärm um nichts also? Keineswegs. Die Episode zeigt vielmehr, dass die Nerven gerade ziemlich angespannt sind. Die Industrieunternehmen sehen in der Energiekrise eine existenzielle Bedrohung und fürchten weitere klimapolitische Belastungen. Die Grünen wiederum empört die Aussicht, dass Maßnahmen zur Energiewende aufgeweicht werden könnten. Also eine Pattsituation. Um die Dialogbereitschaft ist es nicht gerade zum Besten bestellt. Eigentlich ist sie nicht existent.

Und da kommt das Energieministerium der grünen Leonore Gewessler ins Spiel. Für die Sorgen der Wirtschaft scheint sie nicht unbedingt ein offenes Ohr zu haben. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar wurde zwar alsbald ein Treffen der Sozialpartner mit ihr vereinbart. Es wurde freilich zweimal verschoben. Stattgefunden hat es schließlich am 20. April, also fast zwei Monate nach Kriegsbeginn. Und auch dieses Treffen, das rund eineinhalb Stunden dauerte, war für die Sozialpartnerspitzen eine herbe Enttäuschung. Beziehungsweise ein einziges Ärgernis: Seitens des Ministeriums wurden zwei Powerpoint-Präsentationen gezeigt — in der einen ging es um das Gasnetz, in der anderen um die heimischen Speicherstände. Das war's.

Die Presse