Energie. Komme kein Gas mehr, drohe Österreich ein Produktionseinbruch wie in der ersten Coronawelle, sagen Forscher. Die Regierung müsse rasch handeln — und auf Hilfe der EU bauen.
Gute Nachrichten: Langsam, aber doch nimmt die eiserne Gasreserve des Landes Gestalt an. Die Bundesregierung habe um 958 Millionen Euro die ersten 7,7 Terawattstunden (TWh) Erdgas für die strategische Reserve aufgekauft, vermeldete das Klima- und Energieministerium am Dienstag. Damit kommt Österreich immerhin über einen kalten Wintermonat. In Summe will der Staat 20 TWh Gas selbst einlagern, mithilfe der Versorger sollen die Gasspeicher im Herbst zu 80 Prozent gefüllt sein. Vergangene Woche verfügte die Koalition zudem, dass der Gasspeicher Haidach, der bisher nur Deutschland versorgt hatte, auch an das österreichische Netz angebunden werden soll. Die Vorbereitungen für den Ernstfall eines Stopps russischer Gaslieferungen laufen also.
Aber all das sei nicht genug, warnen die Forscher des Complexity Science Hub Vienna (CSH), die zuletzt in der Coronapandemie viel an Aufmerksamkeit gewonnen haben. Sie haben sich angesehen, wie das Land und seine Industrie im Detail betroffen wären, wenn plötzlich kein Gas mehr aus Russland käme — und wie sich die Regierung heute schon idealerweise auf dieses Szenario vorbereiten sollte. "Ohne geeignete Gegenmaßnahmen drohen substanzielle wirtschaftliche Schäden", warnt CSH-Leiter Stefan Thurner. Auf gut gefüllten Gasspeichern darf sich Österreich jedenfalls nicht ausruhen. Im Ernstfall könnte es die bessere Wahl sein, das gebunkerte Gas mit dem Rest der EU zu teilen.
Modelliert haben die Komplexitätsforscher einen Stopp russischer Gaslieferungen ab Juni. Österreich kämen schlagartig 80 Prozent seiner Gasimporte abhanden, Haushalte und Stromversorger wären zwar noch versorgt, die Industrie aber käme rasch in Bedrängnis. Die betroffenen Unternehmen würden mehr als fünf Milliarden Euro an Bruttoproduktion im Monat verlieren. "Das ist in etwa dieselbe Größenordnung wie in der ersten Coronawelle", so Thurner. Alle Überlegungen, wie die restlichen Mengen am besten auf die Branchen verteilt werden sollten, seien in seinen Augen zweitrangig. Entscheidend sei vielmehr, dass die Politik schon jetzt gegensteuere, um den möglichen Gasschock so klein wie möglich zu halten.
Die Presse