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„Notfallplan Gas“ macht Industrie Sorgen

6. April 2022

Bei einem Lieferstopp von Gas aus Russland könnte der Staat die Gasreserven der Industriebetriebe beschlagnahmen.

Kein Embargo für russisches Gas lautet die offizielle österreichische Haltung. „Die Ansage ist politisch nicht unproblematisch“, sagt Siegfried Menz, Obmann der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Wo angesichts der mutmaßlichen Kriegsverbrechen russischer Soldaten gegenüber ukrainischen Zivilisten in Butscha eine rote Linie gezogen und doch mit einem Embargo reagiert werden soll, darauf wusste Menz am Dienstag in einer Pressekonferenz aber keine Antwort.

Was die Industrie jetzt brauche, sei mehr Klarheit in Bezug auf den „Notfallplan Gas“, dessen erste Stufe, die Frühwarnstufe, die Regierung vergangene Woche aktiviert hatte. „Es ist höchste Zeit, die Stufen zwei und drei vorzubereiten“, forderten Menz und Andreas Mörk, Industriespartengeschäftsführer der WKO.

Schwarzes Szenario

Bis zur letzten Stufe bleibt die Gasversorgung der Haushalte und kritischer Infrastruktur unangetastet, jene der Industrie wird aber nach Prioritäten abgedreht. Die Gasreserven der Industriebetriebe können im Notfall sogar verstaatlicht werden. Merz und Mörk forderten am Dienstag einen rechtlichen Rahmen für Entschädigungen, sollte es zu Beschlagnahmungen kommen.

Für die heimische Industrie wäre das Szenario eines Gaslieferstopps, nach welchem die Versorgung für fünf bis sechs Wochen reichen würde, ein düsteres: In der Stahlindustrie, bei der Herstellung von Glas und in Gießereien käme es zu einem Komplettausfall der Schmelzprozesse und millionenteure Schäden an den Produktionsanlagen, warnten die Branchenvertreter. Die Herstellung von pharmazeutischen Produkten würde zum Stillstand kommen, in der Halbleiterproduktion sowie bei der Herstellung von Hygieneprodukten und Verpackungen würden irreparable Schäden an den Anlagen entstehen, die ein Wiederhochfahren in kurzer Zeit nicht möglich machen würden. Außerdem würden zahlreiche Fernwärmesysteme zur regionalen Versorgung von Haushalten zusammenbrechen. Kurzfristige Alternativen für den Ausfall russischer Importe seien nicht verfügbar, so die WKO. „Es ist Aufgabe der Politik und der Versorger, intensiv nach möglichen Ersatzlieferungen für den Notfall zu suchen,“ forderten die Industrie-Sprecher.
Österreich muss dabei EU-weite Lösungen für Alternativen nutzen. Man wolle allerdings bald wissen, „wo die 1600 Quadratkilometer Photovoltaikanlagen, die 6000 Windräder und 110 Wasserkraftwerke stehen sollen“, forderte Menz. Dafür seien in den kommenden zehn Jahren 43 Milliarden Euro erforderlich. Einmal mehr forderten sie die Beschleunigung von Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren.

Wiener Zeitung

Kalter Entzug von russischem Gas

6. April 2022

Bis Ende 2022 sollen die Gasimporte aus Russland um zwei Drittel sinken. Das sieht ein Plan der EU vor. Eine Studie zeigt nun, dass dies technisch ginge, aber ungemein sportlich wäre.

Im Moment scheint alles einer Idee untergeordnet zu sein: sich möglichst rasch aus dem Würgegriff Russlands bei Gas zu befreien, koste es, was es wolle. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen hat vor knapp einem Monat den Plan öffentlich gemacht, bis Ende des Jahres die russischen Gaseinfuhren nach Europa um zwei Drittel zu reduzieren. Ist das realistisch?

Die international tätige Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) hat die getroffenen Annahmen einem Härtetest unterzogen. Quintessenz der Analyse: Das Vorhaben ist technisch machbar, aber sehr herausfordernd.
Kurz die Eckdaten, um die es geht. Die EU-27 importieren jährlich rund 150 Milliarden Kubikmeter (m3) Erdgas aus Russland. Das sind etwa 40 Prozent der auf dem Kontinent insgesamt verbrauchten rund 380 Milliarden m3 pro Jahr. Zwei Drittel der Menge zu reduzieren hieße, 100 Milliarden m3 in den verbleibenden gut acht Monaten durch andere Lieferanten, andere Energieträger zu ersetzen – oder einen Teil des bisher verbrauchten Gases einzusparen.
Tatsächlich sehen die Brüsseler Pläne vor, dass zehn Milliarden m3 zusätzliches Pipelinegas aus Ländern wie Norwegen, Algerien oder Aserbaidschan nach Europa kommen. Den Großteil der entstehenden Lücke – bis zu 50 Milliarden m3 – soll mit zusätzlichen Importen von Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG) gedeckt werden, wobei insbesondere an die USA und Katar als Lieferländer gedacht wird.

Der Standard

Wie aus CO2 ein Kreislaufprodukt wird

6. April 2022

Wo nur schwer auf fossile Brennstoffe verzichtet werden kann, sollen Carbon-Capture-Methoden Treibhausgase an der Quelle abfangen. Eine Möglichkeit ist, so gewonnenes CO2 wiederzuverwerten.

Der Druck, angesichts des Ukraine-Krieges auf Gas aus Russland zu verzichten, birgt die Chance, den Umstieg auf erneuerbare Energie zu forcieren. Gleichzeitig ist klar, dass es auch Rückschritte zu Kohle und Öl geben wird, sollte es zu Embargos oder Lieferstopps kommen. Spätestens bei einer erneuten Zunahme bei diesen CO2-intensiven Energieträgern stellt sich die Frage, warum hier noch keine CO2-Abscheidetechniken üblich sind. Immerhin liegt es nahe, das Treibhausgas dort abzufangen, wo es hoch konzentriert vorhanden ist – in den Abgasströmen der Kraftwerke und Industrieanlagen.

An der Verfügbarkeit der Technologie liegt es nicht. „Verfahren zur CO2-Abscheidung sind auch im großtechnischen Maßstab durchaus vorhanden“, erklärt Irmela Kofler, die sich im Forschungsinstitut K1-MET mit der Emissionsreduzierung in Energiesystemen beschäftigt. „Federführend ist hier allerdings der nordamerikanische Raum.“ In Kanada wird etwa mit dem Boundary Dam Carbon Capture Project eine der weltweit größten Abscheideanlagen betrieben. Sie ist Teil eines Kohlekraftwerksblocks, der Energie für 100.000 Haushalte liefert.

Die Abscheideanlagen in Nordamerika sind meist Teil von Ansätzen zu Carbon Capture and Storage (CCS). Das CO2 in die Erde zu pressen, um es dort dauerhaft zu lagern, ist – nicht nur in den USA und in Kanada – eine wesentliche Strategie im Kampf gegen den Klimawandel. Sie ist aber durchaus umstritten. Gewarnt wird vor der Schwierigkeit, Lecks auszuschließen, und vor Verunreinigungen des Grundwassers.

Der Standard

Putins lauteste Gegner in Europa

6. April 2022, Vilnius

Der Baltenstaat geht im Konflikt mit dem 261 Mal größeren Russland voran. Als erstes EU-Land hat er sich jetzt von russischem Gas losgesagt — und den Botschafter aus dem Land geworfen.

Im Herzen von Vilnius, der Hauptstadt Litauens, gibt es seit Kurzem eine "Straße der ukrainischen Helden". Sie führt zur russischen Botschaft: eine symbolische Geste und aus Moskauer Sicht gewiss ein Affront. Aber auch nicht viel mehr. In diesen Tagen aber wurde die Botschaft Schauplatz eines größeren diplomatischen Eklats: Der Hausherr muss gehen. Litauen wirft den russischen Botschafter aus dem Land und holt seinen Vertreter aus Moskau heim. Es stuft also die diplomatischen Beziehungen zu Russland herab — eine Antwort auf "russische Kriegsverbrechen", auf die Bilder mutmaßlicher Massaker nahe Kiew.

Auch in Rom, Berlin oder Paris wurden russische Diplomaten des Landes verwiesen. Aber niemand sonst in der EU hat den Botschafter vor die Tür gesetzt. Litauen geht voran. Das kennt man. Das hat Methode. Im Konflikt mit Russland schlüpft der kleine Baltenstaat seit Jahren in die Rolle des Vorreiters und Einpeitschers. Meistens ist es so: Keiner ergreift härtere Maßnahmen und keiner verlangt weitreichendere Sanktionen als Litauen (zuweilen im Verbund mit den anderen baltischen Staaten). Und keiner trägt rhetorisch dicker auf. Erst neulich warnte Chefdiplomat Gabrielius Landsbergis, wer Moskau noch Gas abkaufe, finanziere "russische Kriegsverbrechen".

Die Presse

Heimische Industrie befürchtet irreparable Schäden

6. April 2022

Russisches Gas. Abrupter Importstopp könnte Produktionsanlagen beeinträchtigen Siegfried Menz Obmann WKÖ-Sparte Industrie

Die Lage in der österreichischen Industrie ist derzeit noch gut, die Auftragsbücher sind voll. „Wir wissen aber nicht, wie lange noch“, sagt Siegfried Menz, Obmann der Industrie-Bundessparte der Wirtschaftskammer Österreich. Denn der Preisanstieg bei Energie, der Fachkräftemangel und die Materialengpässe hätten sich durch den Krieg in der Ukraine verstärkt.

Wie sich die neuerlichen Lockdowns in China, der Privatkonsum und Angstsparen angesichts der aktuellen Krisen entwickeln würden, sei noch völlig offen. „Die Probleme, die der Krieg in der Ukraine bringt, sind leider sehr groß“, bestätigt Andreas Mörk, Geschäftsführer der Industrie-Bundessparte.

Der Produktionswert der heimischen Industrie habe sich zwar zuletzt deutlich auf 202,2 Milliarden Euro gesteigert, doch handle es sich hier nicht um nachhaltiges Wachstum. „Es ist vor allem den Preissteigerungen bei Gas und Rohstoffen geschuldet, die sich hier niedergeschlagen haben“, sagt Mörk. Er nennt ein paar Beispiele: Der Stromgroßhandelspreis sei im Vergleich zum April des Vorjahres um 163 Prozent gestiegen, der Gaspreis um 465 Prozent und der für die heimische Industrie wichtige Nickelpreis um 125 Prozent. Das drücke die Liquidität der Unternehmen und verringere deren Marge. Eine derartige Situation habe man in den vergangenen Jahrzehnten so nicht erlebt. Auch wenn die Auftragslage nach den beiden Corona-Jahren derzeit wieder stabil sei, müssten viele Unternehmen wegen Problemen in der Lieferkette wieder häufiger Kurzarbeit anmelden.

Geringes Gewicht

Sorgen macht der heimischen Industrie ein plötzlicher Importstopp russischen Gases. Das würde vor allem in Betrieben der chemischen sowie der Stahl-, Glas-, Papier- und Zementindustrie zu irreparablen Schäden an den Produktionsanlagen führen. Außerdem würde es sich auch bei der Beschäftigung auswirken, die Zahl der zur Kurzarbeit Angemeldeten würde weiter steigen.

Kurier

Flüssiggas kann Lücke nicht füllen

5. April 2022, Wien

Preise für LNG könnten sinken. Auch Kapazitäten gibt es. Doch das reicht nicht, um russisches Gas zu ersetzen, so E-Control-Gaschefin Millgramm.

Flüssiges Gas in Tankern aus den USA und dem Nahen Osten soll helfen, Europas Abhängigkeit vom russische Pipeline-Erdgas zu verringern. Aber was kann das so genannte Liquefied Natural Gas, kurz LNG, für die Versorgung tatsächlich leisten? Und was wird das kosten?

In Österreich spielt LNG bislang fast keine Rolle. Zahlen, wie viel LNG importiert wird, gibt es bei der E-Control nicht, sagt Carola Millgramm. Sie leitet die Gasabteilung bei der Regulierungsbehörde. Rund 80 Prozent des in Österreich genützten Gases stammen ja aktuell aus Russland (davon verbraucht rund ein Drittel die Industrie). Der Rest kommt von anderen Handelsplätzen, etwa Deutschland, Norwegen oder den Niederlanden -hier könnte auch LNG mit dabei sein, sagt Millgramm, aber: "Wir wissen das nicht."

Die Preise für das in Europa eingekaufte Flüssiggas waren zuletzt hoch, weil es sich um sehr kurzfristige Verträge handelte. "Das waren alles Spotmarktpreise", erklärt Millgramm. Würde man künftig längerfristige Lieferverträge abschließen, die sich über fünf bis zehn Jahre erstrecken, wären auch bessere Preise möglich, betont sie. "Der LNG-Markt ist ein Weltmarkt. Das ist der Unterschied zu Erdgas-Pipelines." Es gebe Wettbewerb, Einkäufer, die ihr Geschäft verstünden, und viele kleine Lieferanten, etwa Ägypten oder andere afrikanische Länder, die Flüssiggas nach Europa liefern könnten.

Tiroler Tageszeitung